Cover
Titel
Ritual, Ceremony and the Changing Monarchy in France, 1350-1789.


Autor(en)
Bryant, Lawrence M.
Reihe
Variorum Collected Studies Series 937
Erschienen
Farnham, Surrey 2010: Ashgate
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
£ 72.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ronald G. Asch, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Lawrence Bryant gehört mit Ralph Giesey, Sarah Hanley und anderen zu jenen angelsächsischen Historikern, die – zum Teil in der Nachfolge von Ernst Kantorowicz – die Rituale und die Selbstdarstellung der französischen Monarchie vor allem im 15. und 16. Jahrhundert zu ihrem bevorzugten Forschungsgebiet gemacht haben. Schon knapp zwei Jahrzehnte bevor sich in der deutschen Frühneuzeitforschung1 die Geschichte der symbolischen Kommunikation und öffentlicher Zeremonien als ein wichtiges Forschungsfeld durchsetzte, hatten Bryant und andere wegweisende Studien vorgelegt, die zum Teil von ganz ähnlichen Fragen ausgingen.

Der vorliegende Band vereint nun die wichtigsten Aufsätze Bryants aus den vergangenen rund 30 Jahren, angefangen mit einem kleinen Beitrag aus dem Sixteenth Century Journal von 1976 („Parlementaire Political Theory in the Parisian Royal Entry Ceremony“) bis hin zu dem abschließenden Kapitel eines 2007 erschienenen Sammelbandes („From Communal Ritual to Royal Spectacle: Some Observations on the Staging of Royal Entries, 1450-1600“). Bryant hat der Sammlung eine kurze Einleitung vorausgeschickt, in der er noch einmal deutlich macht, dass Rituale und öffentliche zeremonielle Inszenierungen vor 1600 selten das Werk eines einzelnen Akteurs – also des Königs oder seiner Berater und Diener – waren, sondern viele Instanzen an ihrer Ausgestaltung teilnahmen: die parlements, allen voran das Pariser parlement, ebenso wie die städtischen Magistrate oder hohe Adlige und geistliche Würdenträger, gelegentlich auch die Ständeversammlungen. Auch aus diesem Grunde blieben die „royal rituals“ wandelbar und erreichten vor 1600 kaum je eine für immer gültige kanonisierte Form. Sie waren eben nicht, wie die Zeremonialliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts es zu suggerieren versuchte, Ausdruck einer „timeless universal truth of monarchy as the perfected form of government“ (S. 1). Da die Form feierlicher königlicher Einzüge in eine Stadt, aber selbst der Krönung oder Grablegung nicht ein für alle Mal fixiert war, verzichtet Bryant auch auf eine Unterscheidung zwischen Ritualen als performativen Handlungen, die eine langfristig gültige Gestalt hatten und daher auch in dieser Form stets wiederholt werden konnten, und Zeremonien, unter die man etwa ein wandelbares Hofzeremoniell subsumieren könnte. Erst mit dem Sieg einer Monarchie, die sich als absolut verstand und den „constitutional discourse“, der ältere Staatsrituale geprägt hatte, nach 1600 aus der Öffentlichkeit und aus der Repräsentation des Königtums verbannte, wurden die Rituale der Monarchie stärker fixiert und versteinerten gewissermaßen, verloren gegenüber dem Hofzeremoniell aber auch an Bedeutung.

Gerade für das Mittelalter galt im Übrigen, so Bryant in einem Aufsatz von 1994, dass öffentliche zeremonielle Inszenierungen ihren besonderen Charakter dadurch erhielten, dass in ihnen unterschiedliche Symbolsprachen und politische Botschaften amalgamiert wurden – zusammengehalten nur durch den Bezugspunkt, den die Krone und der König als „floating center“ (ein Begriff, den Bryant Derridas Kritik an Lévi-Strauss entlehnt) darstellten. Ja, so Bryant, hätten eine einzige Sprache und eine Botschaft sich durchgesetzt, so hätten diese Zeremonien und Rituale ihre Vitalität und Kraft geradezu verloren (S. 68). Erst mit der Renaissance setzte sich eine stärkere systematische Durchinszenierung öffentlicher Auftritte des Königs nach einer leitenden Idee durch. Allerdings, so Bryant an anderer Stelle, auch für den Monarchen des 18. Jahrhundert galt noch, dass seine Gesten oft vieldeutig blieben und gerade dies ihre politische Wirksamkeit im Sinne einer Integration unterschiedlicher Interessengruppen garantierte: „The king performed and each party could ‚read’ a royal gesture in its own way […]” („Royal Ceremonies and the Revolutionary Strategies of the Third Estate“, S. 287). Hier bietet sich vielleicht ein Vergleich mit dem Zeremoniell im Heiligen Römischen Reich an, das ja auch oft durch vieldeutige Gesten gekennzeichnet war, die besonders bei Rechtsstreitigkeiten jeder Seite erlaubten, irgendwie das Gesicht zu wahren, ohne dass in der Sache selbst eine Entscheidung fiel. So viel anders waren die Dinge in der absoluten Monarchie Frankreich offenbar dann auch nicht immer.

Unter den Aufsätzen des Bandes sei noch ein Beitrag über Zeremonialpolitik im Frankreich Heinrichs II. erwähnt („Politics, Ceremonies and Embodiments of Majesty in Henry II’s France“, 1992). Bryant setzt sich hier mit einer Darstellung Franz I. als nackter gallischer Herkules auf einem Triumphbogen auseinander, der 1549 beim Einzug Heinrichs II. in Paris aufgestellt wurde. Warum diese etwas befremdliche heroische Nacktheit eines Königs? Offenbar sollte damit das Bild des Königs als Krieger (der gallische Herkules hatte sich die Menschen durch die Kraft des Wortes zu Untertanen gemacht, nicht durch Gewalt), aber wohl auch als Verkörperung eines sakralen Königtums zurückgewiesen werden im Sinne eines humanistischen Reformprogramms, das die konfessionellen und politischen Konflikte in der französischen Gesellschaft zu überwinden suchte. Heinrich II. ließ sich auf diese Form der Repräsentation und auf die Möglichkeit, sich als Heros, der über den Parteien stand, zu inszenieren, nicht wirklich ein. Sie fand aber einen Nachhall nicht nur in gewandelter Form bei Heinrich IV., sondern, wie Bryant meint, sogar bei Ludwig XIV., der sich in seiner Selbstdarstellung weit von den traditionellen Formen monarchischer Repräsentation entfernte. In dem berühmten Staatsporträt von Rigaud glaubt Bryant Anklänge an den gallischen Herkules zu entdecken, denn immerhin stellte Ludwig seine nahezu unbekleideten Beine deutlich zur Schau und nahm auch eine ähnliche Körperhaltung ein wie der nackte Herkules mit seiner Keule (S. 153).

Das ist vielleicht etwas zu spekulativ, aber als Ganzes geben diese neun durch eine Einleitung ergänzten Aufsätze doch auch jenen Lesern zahlreiche Anregungen, deren Forschungsgebiet nicht die französische Monarchie zwischen dem Hundertjährigen Krieg und dem Tod Heinrichs IV. ist.

Anmerkung:
1 Die Mediävistik, die sich in Deutschland allerdings in dieser Hinsicht eher auf das frühe und hohe Mittelalter konzentrierte, war der Erforschung der Frühen Neuzeit hier freilich vorangegangen.