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Titel
Unterhaltung mit Anspruch. Das Hörspielprogramm des NWDR-Hamburg und NDR in den 1950er Jahren


Autor(en)
Kobayashi, Wakiko
Reihe
Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 26
Erschienen
Münster 2009: LIT Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Boll, Düsseldorf

Die Untersuchung von Wakiko Kobayashi beschäftigt sich mit dem Hörspielprogramm des Nordwestdeutschen, bzw. Norddeutschen Rundfunks (NWDR/NDR) in den 1950er-Jahren. Sie behandelt damit eine Zeit, in der das Hörspiel in Hamburg unter seinem für die Gattung stilprägenden Nestor Heinz Schwitzke eine Blütezeit erlebte. Zwei systematische Erkenntnisinteressen liegen der Studie zugrunde. Zum einem interessiert sich die Autorin für das Hörspiel als spezifische literarische Form mit eigenem ästhetischen Konzept, das neben den etablierten Medien von Buch und Zeitschrift auf öffentliche Anerkennung zielte. Zum anderen fragt die Autorin nach der Funktion des Hörspiels innerhalb der geistigen Neuorientierung der Nachkriegsgesellschaft. Welche Sinn- und Identifikationsangebote hielt es für sein Publikum bereit?

Welche Breitenwirkung das Hörspiel in den 1950er-Jahren erreichte, machen ein paar Zahlen deutlich. Laut einer Umfrage von 1955 erlangte es – nach den freilich noch beliebteren Bunten Abenden mit Volksmusik und Ratespielen – auf einer Beliebtheitsskala von 0 bis 100 den Indexwert 68. Vor der Etablierung des Fernsehens war das Hörspiel zur besten Sendezeit am Abend zwischen 20 Uhr und 22 Uhr ein gern gehörter Gast in deutschen Wohnzimmern. Allein der NWDR-Hamburg/NDR produzierte durchschnittlich 110 Hörspiele im Jahr, davon ca. 80 Originalbeiträge, also Stücke, die allein für den Funk geschrieben wurden und damit schon belegen, dass das Radio entgegen eines damaligen Vorurteils durchaus eine eigenständige literarische Öffentlichkeit repräsentierte. Das bekannteste Beispiel hierfür dürfte Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ sein, das der NWDR 1947 erstmals ausstrahlte und das erst danach vom Autor fürs Theater bearbeitet wurde.

Die Liste der Rundfunkautoren klingt heute noch imposant: Allen voran Günter Eich, dessen Werk von Heinz Schwitzke in besonderer Weise gefördert wurde. Weitere Stammautoren des Senders waren unter anderem: Fred von Hoerschelmann, Wolfgang Hildesheimer, Horst Mönnich und Friedrich Dürrenmatt, um die sich ein weiterer Kreis von Autoren etablierte, die nicht so häufig, aber regelmäßig für den Sender schrieben, Autoren der älteren Generation, aber auch schon früh Vertreter der „Gruppe 47“: Heinrich Böll, Wolfdietrich Schnurre, Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Max Frisch, Dieter Wellershoff, Martin Walser.

Wie sah sie nun aus die Hamburger Hörspieldramaturgie und welche Ziele verfolgte sie? Wakiko Kobayashi zeigt, dass das Hörspiel ob der Höherbewertung des gedruckten vor dem gesprochenen Wort zunächst als Stiefkind des Literaturbetriebes behandelt wurde. Es galt lange bloß als elektronischer Vermittler zwischen der Welt der Bücher und den Hörern und wurde als eigenständige literarische Gattung kaum ernst genommen. Nicht wenige freie Autoren teilten sogar diese Ansicht. Das Schreiben für den Funk zählte für sie zuerst als finanzieller Zugewinn in einer Branche, die man – damals nicht anders als heute – als intellektuelles Prekariat bezeichnen kann.

Wie ungerechtfertigt dieses Vorurteil jedoch in ästhetischer Hinsicht war, macht die Autorin deutlich, wenn sie unter dem Stichwort „Hörspiel der Innerlichkeit“ das dramaturgische Konzept der Redaktion ausleuchtet. Dezidiert nicht erzählerisch sollte das Hamburger Hörspiel sein. Eher schon diente die antike Tragödie, übersetzt in einen christlichen Wertekanon, als Vorbild. Dramatis persona war idealerweise der Einzelne, das Individuum im Angesicht eines übermächtigen Schicksals, das in einen Gewissenskonflikt führte, der nach einer einsamen „sittlichen Entscheidung“ (Schwitzke) verlangte. Dieses Pathos der Innerlichkeit war von der Redaktion bewusst gegen den lauttönenden Volksempfänger der Nationalsozialisten gesetzt, der zwölf Jahre lang versucht hatte, das Kollektiv auf Linie zu bringen. Der hohe, abstrakte Ton ewiger Werte des christlichen Abendlandes spiegelt ganz den Zeitgeist der ersten Nachkriegsjahre, wie er im Zeitschriftenboom Ende der 1940er-Jahre gepflegt wurde und in der Hamburger Hörspielredaktion dann einen sehr langen Nachhall in der Ära Schwitzke fand. Kobayashi sieht zu Recht in ihm zugleich eine Entlehnung aus der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, der seinerzeit wie nun auch nach 1945 wieder eine „künstlerisch-literarische“ zu Lasten einer „politisch-journalistische(n) Öffentlichkeit“ (S. 54) aufwertete. So überrascht es auch nicht, dass seine Macher das Hörspiel als reines Dichtertum verstanden und von den Möglichkeiten des Radios als Toncollage nur wenig Gebrauch machten. Von Alfred Anderschs parallel entwickelter Idee des Features als einer „Montage-Kunst par excellence“ hielt man hier nicht viel. Formale Experimente brachte erst das so genannten Neue Hörspiel, das in den 1960er-Jahren in die Tonstudios einzog.

Dabei befand sich die Redaktion dem eigenen Selbstverständnis nach am Puls der Zeit. Keines der drängenden Themen ließ sie aus: Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus, Schuld, Heimatvertriebene, Wirtschaftswunder, Ost-West-Konflikt, Atombombe. Die Autorin liefert überzeugende Inhaltsanalysen zu einer Reihe thematisch exemplarischer Hörspiele, die das belegen. Sie zeigt jedoch auch, dass das ästhetische Ideal der Innerlichkeit seinen Gegenstand oftmals eher verschleierte als kritisch durchdrang. So wird beispielsweise die Weltkriegserfahrung vom stellvertretenden literarischen Ich zu einer allgemeinen existentiellen Grenzerfahrung entpolitisiert und Schuld zu einem universellen Schuldzusammenhang stilisiert, bei dem am Ende Alle gleichermaßen schuldig und nicht schuldig erschienen. Sehr gut war die Autorin mit ihrer Entscheidung beraten, neben den Manuskripten auch die oft sehr ausführlichen Ansagetexte und Kommentare zum Programm, so genannte Paratexte, mit in ihre Untersuchung einzubeziehen. Sie offenbaren einen pädagogischen Impetus den Hörern gegenüber, der zuweilen an moralische Gängelung grenzte und zeigen, wie leicht das Pathos der Sittlichkeit in Tyrannei umschlagen konnte. So lautete die Weihnachtsbotschaft der Hörspielredaktion vom 24. Dezember 1957 an diejenigen, die sich von der Verheißung, „von dem Kind gerettet“ zu werden, nicht angesprochen fühlten: „Sie kommen sich reich, klug und fortschrittlich vor – sie ahnen nicht, wie arm und erbärmlich sie sind.“ (S. 200)

Wakiko Kobayashis Programmgeschichte zum Hamburger Hörspiel stellt eine gehaltvolle Ergänzung da in einem Forschungsbereich, der bislang entweder das deutsche Hörspiel auf ganzer Breite in Sicht nahm oder aber Studien zu Werk und Wirkung einzelner Hörspielautoren unternahm, etwa zu Günter Eich, Dieter Wellershoff oder Martin Walser. Allerdings fällt in diesem Zusammenhang auch ein Versäumnis auf. Im Rahmen einer Programmgeschichte, die sich auf eine einzelne Redaktion konzentriert, hätte man sich erheblich mehr Auskunft über das Personal der Redaktion gewünscht. Wer kam wann, wie und warum zum Rundfunk? Aus welchen politischen, sozialen und beruflichen Milieus stammten die Mitarbeiter? Nicht einmal eine Karrierebiographie zum Leiter der Redaktion, Heinz Schwitzke, findet sich. Über die Dramaturgen, deren Einflussnahme auf das Programm immer wieder betont wird, erfährt man leider kaum mehr als ihre Namen.

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