C. Defrance u.a. (Hrsg.): WBG Deutsch-Französische Geschichte

Cover
Titel
WBG Deutsch-Französische Geschichte. Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963


Autor(en)
Defrance, Corine; Pfeil, Ulrich
Reihe
Deutsch-Französische Geschichte 10
Erschienen
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Thiemeyer, Département de Géographie et Histoire, Université Cergy-Pontoise

Die deutsch-französischen Beziehungen gehören seit Jahrzehnten zu einem bevorzugten Forschungsfeld der Geschichtswissenschaften. Das hat gewiss politische Gründe, eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen alimentiert dieses Gebiet. Andererseits waren die deutsch-französischen Beziehungen aber auch von besonderer Dramatik geprägt und fanden deswegen in besonderer Weise das Interesse der Forschung. Deren Vielfalt ist inzwischen auch für Experten nur noch schwer überschaubar. Der vorliegende Band ist Teil einer vom Deutschen Historischen Institut in Paris herausgegebenen elfbändigen Darstellung der deutsch-französischen Geschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart, die gleichzeitig in deutscher und französischer Sprache erscheint. Die Reihe soll einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand geben und gleichzeitig deutsche und französische Forschung miteinander verzahnen.

Corine Defrance und Ulrich Pfeil bearbeiten die deutsch-französische Geschichte zwischen 1945 und 1963. Wie alle Bande der Reihe ist auch dieser Band dreigeteilt. Ein erstes Kapitel gibt einen Überblick über die Epoche, ein zweiter resümiert unter dem Titel „Fragen und Perspektiven“ die wichtigsten Forschungskontroversen während der dritte und letzte Abschnitt eine thematisch gegliederte, umfassende Bibliographie zum Thema bietet. Diese Struktur hat sich bereits in verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Handbuch-Reihen bewährt und tut dies auch hier.

Der Überblick über die deutsch-französische Geschichte zwischen 1945 und 1963 beschäftigt sich sinnvollerweise nicht nur mit den bilateralen Beziehungen, sondern verweist auch auf die Parallelität der deutschen und französischen Geschichte vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Soziale Not, gesellschaftliche und politische Entwurzelung, politische Säuberungen waren eben nicht nur ein deutsches Problem dieser Zeit, sondern prägten – mit gewiss anderen Akzentsetzungen – auch die französische Geschichte in diesem Zeitraum. Gleiches gilt für die wirtschaftliche Entwicklung ab 1950, die in beiden Ländern auch mit verklärenden Begriffen („Trentes glorieuses“ hier, „Wirtschaftswunder“ dort) in die Erinnerung eingegangen ist. Dies war der Hintergrund, vor dem die zunächst äußerst schwierigen politischen Beziehungen geknüpft wurden. Corine Defrance und Ulrich Pfeil machen deutlich, dass diese Entwicklung von der „Erbfeinschaft zur Entente Elémentaire“ nur vor dem gleichzeitig ablaufenden gesellschaftlich-kulturellen Ausgleich zwischen beiden Nationen stattfinden konnte. Gerade die Verknüpfung der Gesellschaftsgeschichte mit der politischen Geschichte ist eine der großen Stärken dieses Bandes, die bislang an diesem Beispiel noch nie so deutlich und überzeugend herausgearbeitet wurde. Unter dieser Perspektive wird der „Elysee-Vertrag“ vom Januar 1963 auch weniger als der Beginn der engen deutsch-französischen Entente gesehen als vielmehr als Endpunkt einer Entwicklung, die nicht zuletzt auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene begann. Die enge politische Kooperation, so die These, sei ohne die bereits zu Beginn der 1950er-Jahre einsetzende enge gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung zwischen beiden Ländern nicht möglich gewesen. Dabei laufen Defrance und Pfeil nicht etwa in die Falle, von einem Primat der Gesellschaft (oder Wirtschaft) gegenüber der Politik und Diplomatie zu sprechen. Gemäß ihrer überzeugenden These bedingte beides einander, das Beispiel des Elysee-Vertrages zeigt, dass unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts politische Entscheidungen nicht ohne gesellschaftliche Basis getroffen werden können, andererseits aber die gesellschaftliche Verflechtung auch politischer Institutionen bedarf.

Der Abschnitt „Fragen und Perspektiven“ fasst die wichtigsten Forschungskontroversen zur deutsch-französischen Geschichte zwischen 1945 und 1963 zusammen. Vor allem die Diskussionen um die französische Besatzungspolitik in Deutschland, die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten und die Forschung über die „anderen deutsch-französischen Beziehungen“ zwischen der DDR und Frankreich werden kenntnisreich referiert. Verdienstvoll ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Forschungen über die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen einbezogen werden.

Wie bei jeder Synthese kann man auch auf Defizite hinweisen: Das betrifft beispielsweise die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten, die in diesem Band ausschließlich als Handelsbeziehungen wahrgenommen werden. Dabei zeigen die Diskussionen um die Rolle der Montangemeinschaft und auch der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in beiden Ländern, dass verschiedene Wirtschaftskulturen in Deutschland und Frankreich für permanente Diskussionen zwischen beiden Ländern sorgten, die im Übrigen bis in die Gegenwart nicht abgeschlossen sind. Soziale Marktwirtschaft und Planification waren auf den ersten Blick gegensätzliche Konzepte, die aber in ihrer konkreten Ausgestaltung so unterschiedlich nicht waren. Gleichwohl haben die verschiedenen wirtschaftlichen Ideologien die deutsch-französische Kooperation immer wieder verzögert und erschwert.

Doch soll durch diesen Hinweis der insgesamt sehr positive Gesamteindruck des Bandes nicht geschmälert werden. Corine Defrance und Ulrich Pfeil haben ein Buch geschrieben, das nicht nur kenntnisreich in die deutsch-französische Geschichte und ihre Probleme zwischen 1945 und 1963 einführt, sondern auch durch zahlreiche Hinweise auf Forschungsdesiderate zur weiteren Beschäftigung mit diesem Thema einlädt.

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