K. Schulz (Hg.): Handwerk in Europa

Titel
Handwerk in Europa. Vom Spätmittelalter bis zur Frühen Neuzeit


Herausgeber
Schulz, Knut
Reihe
Schriften des Historischen Kollegs 41
Erschienen
München 1999: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
313 S.
Preis
€ 54,80
Dr. Marcel Boldorf, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Mannheim

Der Sammelband geht auf ein Kolloquium zum Thema "Verflechtungen des europäischen Handwerks vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Wanderschaft, Selbstverständnis, Verhaltensweisen und Erfahrungswerte" zurück, das vom 18. bis 21. April 1996 im Historischen Kolleg gehalten wurde. Der Herausgeber Knut Schulz wirft in einer eher komplexen als klaren Einleitung ein Bündel an Fragen auf, die den Sammelband durchziehen sollen. Sie konzentrieren sich auf den Aspekt der Wanderung, der die Verflechtung des europäischen Handwerks erst ermöglichte. Durch die Auslandswanderung der Handwerker entstand ein intra-urbanes Netz, welches während des betrachteten Zeitraums in Süddeutschland seine push-Faktoren entwickelte. In der Weite des europäischen Raumes, welche quellenmäßig kaum erfaßbar ist, lassen sich aus den lokal überlieferten Quellen Rückschlüsse auf großräumige Prozesse und gegenseitige Abhängigkeiten ziehen. Weitere Fragen, die damit verbunden sind, beziehen sich auf die Stellung des Handwerks in europäischen Austauschprozessen, für die auch andere Trägergruppen denkbar sind - wie Kaufleute/Handel und Studenten/Universität. Über die Epochengrenze um 1500 hinweg gab es starke Kontinuitäten in der Geschichte des Handwerks, z.B. dessen Zunftstruktur, die Gesellenwanderung, manchmal die Pflicht, nicht nur die Neigung der Handwerker zur Wanderung.

Das erste Kapitel "Rom als zentraler Ort europäischer Begegnungen" rückt die religiöse Funktion der Metropole in den Mittelpunkt. Die Beiträge von Christiane Schuchard und Arnold Esch untersuchen in dieser Hinsicht die Rolle besonderer Gruppen von Handwerkern in Rom. Schuchard wendet sich der Entwicklung der Anima-Bruderschaft vom 15. bis zum frühen 16. Jahrhundert zu. Dieser Vereinigung gehörten zahlreiche Deutsche an, und zwar nicht nur Kleriker, sondern auch Laien, Männer wie Frauen. Für gut die Hälfte der Mitglieder ließ sich eine Mitgliedschaft von weniger als einem Jahr nachweisen. Es handelte sich z.B. um Pilgergruppen, die bei einem temporären Aufenthalt die Mitgliedschaft erwarben. Oft waren Handwerker auch Mieter von Anima-Häusern. So ergibt sich ein Bild von deutsch-römischen Kontakten im klerikalen Umfeld. Aus ähnlicher Motivation besuchten viele Buchdrucker, deren Gewerbe Ende des 15. Jahrhunderts eine Blütephase erlebte, die Stadt Rom. In Eschs Beitrag kommt nicht die wirtschaftliche Bedeutung der ersten und zweiten Generation der Buchdrucker zur Sprache, sondern deren religiöse Motivation zur Wanderung. Viele von ihnen waren Kleriker, die die Kunst des Buchdrucks erlernt hatten, damit sich die Tore der heiligen Stadt öffneten, für andere war das Erlernen dieses Handwerks ein Durchgangsstadium, um den Klerikerstatus zu erwerben. Der abschließende Beitrag von Ludwig Schmugge und Hans Braun geht auf die Ausstrahlung Roms als geistliches Zentrum ein. In Fallstudien aus Städten der Diözesen Basel und Konstanz gehen die Autoren Fällen von illegitimen Geburten nach. Obgleich sich geistlicher und weltlicher Dispens seit mehreren Jahrhunderten nachweisen lassen, ließen die Zünfte der alemannischen Städte diese Legitimation nur zu, wenn die Aufnahme der bürgerlichen unehelich Geborenen in den geistlichen Stand bevorstand. Für die Aufnahme in die Zunft fanden die päpstlichen Verfügungen hingegen keine Beachtung, so dass den Illegitimen der Eintritt in öffentliche Ehrenämter verschlossen blieb.

Das zweite Kapitel wendet sich dem Nordwesten Europas zu und untersucht die regionale Vielfalt im Zunftwesen der Niederlande vom 13. bis 16. Jahrhundert (Wim Blockmans), Gilden und Wanderung am Beispiel der Niederlande (Piet Lourrens, Jan Lucassen) und die Wanderung zentraleuropäischer Handwerker nach England im Spätmittelalter (Jens Röhrkasten). Eine gewisse Parallele zum ersten Kapitel stellt der letzte dieser Beiträge her, indem er die Wanderung von Deutschen und Niederländern nach England betrachtet, die neben Schotten, Iren und Franzosen die bedeutendsten ausländischen Gemeinschaften bildeten (anteilsmäßig bis zu 76 Prozent in Cambridge). Der Zuzug konzentrierte sich auf den Raum London. Die Handwerker kamen, um zeitweilig ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die Ausbildung zu vervollständigen und manchmal auch, um sesshaft zu werden. Es standen also - anders als in Rom - wirtschaftliche Ambitionen im Vordergrund, auch wenn sich die Motive nicht direkt aus den Quellen herauslesen lassen. Die beiden anderen Beiträge dieses Abschnitts befassen sich mit der Handwerkermigration nur am Rande. Bei dem einen stehen Fragen der Handwerkerorganisation im Vordergrund, bei dem anderen die Innovationsfähigkeit der Gilden, wobei abschließend kurz auf die Haltung der Gilden zur Immigration eingegangen wird.

Das dritte Kapitel zu "Fremdbewertung und Selbstverständnis im Wandel" wird durch die Untersuchung der Quelle "Speculum vite humane" des Rodericus Zemorensis von Dietrich Kurze eröffnet, die dank ihrer Fußnoten und anderem Beiwerk zum längsten Text des Bandes avanciert. Hiernach setzt sich Martin Kintzinger mit Handwerk und Bildung im Mittelalter auseinander, ergänzt durch ein Diskussionsvotum von Kurt Wesoly zur Literalität. Erst Wilfried Reininghaus wendet sich wieder der Migration der Handwerker zu, indem er einige Anmerkungen zur Notwendigkeit von Theorien, Konzepten und Modellen macht. Migration, die eine dauerhafte Ortsveränderung impliziere, unterscheidet er dabei von der temporären Wanderung der Handwerker. Er lenkt den Blick auf Gruppen von Handwerkern, bei denen die Mobilität - im Gegensatz zum städtischen Zunfthandwerk - zur Ausübung ihrer Tätigkeit gehörte, wobei hier der Übergang zum Vagabundieren, dem "ewigen Gesellen", fließend war. Das Wanderungsgeschehen hing von Informationen über Zielorte und -regionen ab. Der Beitrag endet mit einer Regionalanalyse Westfalens.

Einen gelungenen Einstieg in das vierte Kapitel "Migration und Technologietransfer" schafft Rainer S. Elkar mit seinen "kritische[n] Anmerkungen zum Thema Wissenstransfer durch Migration". Migration solle im bildungsgeschichtlichen Zusammenhang nicht überbewertet werden, meint er, weil die Rezeption der Bildungsziele des Gesellenwanderns stark von den bildungsbürgerlichen Ideen des 18. Jahrhunderts geprägt sei. Statt dessen weist er auf die starke institutionelle Reglementierung der mittelalterlichen Welt hin, die die Diffusion von Produkt- und Prozessinnovationen behinderte. Auch in den weiteren Beiträgen dieses Kapitels wird die europäische Verflechtung im technischen Bereich deutlich herausgearbeitet: bei Rudolf Holbach, der den Zusammenhang von Gewerbeförderung, Innovation und Migration behandelt, und bei Franz Irsigler, der die überregionale Verflechtung der Papierer vom 14. bis 17. Jahrhundert betrachtet. Abschließend widmet sich Suraiya Faroqhi in einem anderen Kulturraum, dem Osmanischen Reich, der Migration in staatlicher Regie beim Ortswechsel nach Istanbul.

Der Sammelband erweckt vor allem in seinen Anfangsteilen den Eindruck, dass es zu den einleitend kompliziert dargelegten Fragen nur wenige originäre Forschungen gibt und daher auf Untersuchungen zurückgegriffen wurde, die mit dem Leitthema zumindest am Rande zu tun haben. Nur wenige Beiträge vermögen die von Reininghaus eingebrachten Fragestellungen der historischen Migrationsforschung aufzugreifen. Vielleicht entspringt die angesprochene Komplexität der Einleitung aber auch der Notwendigkeit, all die heterogenen Beiträge unter ein Dach zu bringen. Gleichwohl gelingt es in Teilen, insbesondere bei den Beiträgen im vierten Kapitel zum Technologietransfer, übergreifende europäische wirtschaftliche und soziale Prozesse zu thematisieren, die auf Migration beruhten.

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