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Titel
Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985


Autor(en)
Kleinschmidt, Christian
Reihe
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 1
Erschienen
Berlin 2002: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
453 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Torsten Bathmann, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Nicht erst mit Volker Berghahns Untersuchung der Geschichte von „Unternehmern und Politik in der Bundesrepublik“ aus dem Jahr 1985 begann die historische Forschung sich der Geschichte der Unternehmer der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen. 1 Aber die von Berghahn vertretene These der langsamen „Amerikanisierung“ der westdeutschen Industriekultur 2 nach 1945 avancierte seitdem zu einem der fruchtbarsten Ansatzpunkte unternehmenshistorischer Forschung mit sozialgeschichtlicher Perspektive. Vor allem rückte diese Fragestellung die Problematik des Mentalitäten- und Einstellungswandels der deutschen Unternehmer in den Mittelpunkt der unternehmenshistorischen Diskussion, wenngleich oder gerade weil Berghahn ein eher beschränkter Quellenbestand der Unternehmen zur Verfügung stand und daher stärker auf die Publikationen der Unternehmerverbände zurückgriff.

Christian Kleinschmidt hat mit der hier angezeigten Studie zum „produktiven Blick“ deutscher Unternehmer nach 1945, einer 1999 von der Universität Bochum angenommenen Habilitationsschrift, die These von der „Amerikanisierung“ der deutschen Unternehmer aufgegriffen und in Teilen maßgeblich konkretisiert und modifiziert. Seine Ergebnisse überzeugen vor allem durch die Untersuchung eines erstaunlich breiten Archivmaterials von Unternehmen wie Krupp, Mannesmann, Siemens, Glanzstoff, Hüls, der Bayer AG, Freudenberg & Co. und Volkswagen, obwohl diese Quellennähe auch die Schwierigkeit mit sich brachte, für die Zeit nach 1975 mit dem Problem der Unzugänglichkeit von Akten und Unterlagen umgehen zu müssen. Die Lücke hat Kleinschmidt mit 11 Zeitzeugeninterviews zu ergänzen versucht. So entstand eine profunde und aus den Quellen heraus geschriebene Studie zu Auffassungen und Wahrnehmung vermeintlich „eigener“ und „fremder“ Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmern in der Zeit von etwa 1945 bis 1990.

Kleinschmidt hat zudem den bekannten „Amerikanisierungs“-Ansatz zur Analyse von Unternehmer-Mentalitäten durch einen wichtigen Aspekt erweitert: durch eine vergleichende Gegenüberstellung der Wahrnehmung von amerikanischen und japanischen (!) Managementmethoden durch deutsche Unternehmer und leitende Manager 3. Dieser Ansatz erlaubt Kleinschmidt sowohl eine genauere Periodisierung als auch qualitativ genauere Einschätzung von Adaptions- und Wahrnehmungsprozessen deutscher Unternehmer in den Jahrzehnten zwischen 1945 und den späten 1980er Jahren, indem unterschiedliche Adaptionssituationen, spezifische Transferkanäle, unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber auch eine unterschiedliche Interessenlage bei der Analyse des „amerikanischen“ bzw. „japanischen“ Leitbildes durch deutsche Unternehmer benannt werden konnten.

Der Vergleich macht die mentalitätsgeschichtliche Zäsur der 1960er Jahre sehr deutlich: Ende der 1960er Jahre verlor der Blick der Unternehmer nach USA und auf die US-Unternehmen an Bedeutung, gleichzeitig gewann die „japanische Herausforderung“ zunehmend an Gewicht. 4 Verantwortlich war dafür weniger eine Zunahme an Flexibilität und Auslandsorientierung deutscher Unternehmer, als externe Faktoren wie die Globalisierung der Märkte, der wirtschaftliche Strukturwandel und der Aufstieg japanischer Unternehmen zu ernst zu nehmenden Konkurrenten.

Das weist jedoch nicht zwangsläufig auf eine gesteigerte Lernbereitschaft deutscher Unternehmer hin. Im Gegenteil erkennt Kleinschmidt in der eher geringschätzigen und sporadischen Wahrnehmung japanischer Managementmethoden in den vorhergehenden Jahrzehnten ein Indiz für die „Lernblockaden“ deutscher Unternehmer (401), die diese erst langsam abgebaut hätten. Zwei Faktoren mußten zusammentreffen, um diesen Lernprozeß auszulösen: zum ersten bedurfte es der Wahrnehmung von Krisenerscheinungen in den und im Umfeld der „eigenen“, also deutschen Unternehmen, vor allem in Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, und zum zweiten mußten zeitgleich „fremde“ Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, um als Leit- oder Vorbilder an Attraktivität zu gewinnen. Das erklärt, warum deutsche Unternehmer Anfang der 1970er Jahre „japanische“ Management- und Produktionsmethoden zunehmend als richtungsweisend ansahen.

Das erklärt auch, warum deutsche Unternehmer in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sich vor allem an als überlegen und vorbildlich wahrgenommenen US-Unternehmen orientierten (17). Kleinschmidt macht in seiner Untersuchung deutlich, durch welche Kanäle und auf welchen, teils verschlungenen Bahnen, deutsche Unternehmer sich Wissen über diese US-Unternehmen aneigneten, etwa durch Mentoren in den Unternehmen, durch alte Vorkriegskontakte, durch Publikationen, Berater, Seminare und Reisen. Zudem fällt sein Urteil sehr differenziert in Hinblick auf jene Bereiche aus, in denen der „amerikanische“ Einfluß eher erfolgreich und in welchen er eher erfolglos war.

Als erfolgreich muß dieser Einfluß wohl im Bereich des Schließens einer „technologischen Lücke“ nach dem Zweiten Weltkrieg, auch im Bereich der „Public Relations“, also der Öffentlichkeitsarbeit, wie auch im Bereich des Marketings und der Werbemethoden angesehen werden, zögerlicher und mit zeitlicher Verspätung folgte dann auch die Kenntnisnahme vom Controlling und dem EDV-Einsatz im Rechnungswesen seit den 1970er Jahren, also in einer Zeit, in der das leuchtende Vorbild Amerika die ersten Risse zu zeigen schien. Weniger erfolgreich erwiesen sich dagegen die Bemühungen von US-amerikanischen Unternehmensberatern und Manager-Gurus wie Peter F. Drucker auf dem Gebiet der „Human Relations“, der Industriellen Beziehungen, des Abbaus der unternehmensinternen Hierarchien und der Managerausbildung. Hier erwiesen sich deutsche „Werksgemeinschafts“- und „Betriebsführer“-Traditionen als besonders dauerhaft. „Gruppenarbeit“ und flache Hierarchien konnten sich kaum in deutschen Unternehmen durchsetzen, die Heranziehung des Manager-Nachwuchses erfolgte weniger in „Business Schools“, als durch eine Kombination von betriebsinterner und universitärer Ausbildung, „Harzburger Modell“ und „Führungsakademien“, also als „typisch deutsch“ angenommene Modelle überwogen amerikanische Bemühungen um Einführung von kooperativem (nicht korporatistischem!) Denken.

Kleinschmidts Buch gliedert sich grob in vier Teile: die Einleitung, die Analyse des „amerikanischen Leitbildes“, dann des „japanischen Leitbildes“ und das abschließende Resümee. Das Kapitel über „Amerikanische Leitbilder“ ist problem- und themenorientiert organisiert, nicht chronologisch. Diese Anordnung unterstreicht in besonders gelungener Weise die Ergebnisse seiner Untersuchungen. Er kann für die jeweils unterschiedlichen Unternehmensbereiche die Veränderungen von Amerikaorientierung und Leitbild-Adaption nachzeichnen. Er macht die vielfältigen Zäsuren, die manchmal recht frühe (z.B. in der Chemie-Branche in Hinblick auf Erwerb von Patent-Lizenzen) und manchmal erst späte (z.B. in der Schwerindustrie im Bereich Marketing) Hinwendung zu den Methoden von US-Unternehmen deutlich. Durch den Vergleich wird zusätzlich die große mentalitätshistorische Bedeutung der Wahrnehmung amerikanischer Management- und Produktionsmethoden deutlich.

Diese zweifellos großen Verdienste der Arbeit werden jedoch durch einige semantische und konzeptionelle Ungereimtheiten getrübt.

Zum ersten: Kleinschmidt organisiert sein Kapitel über das „japanische Leitbild“ chronologisch, nicht thematisch. Das wirkt gegenüber dem „Amerika“-Kapitel unharmonisch und auch unübersichtlich. Der direkte Vergleich der Wahrnehmung einzelner Unternehmens-Bereiche verliert hier an argumentativer Schärfe.

Zum zweiten: Kleinschmidt konzentriert sich in seiner Analyse auf die Dokumentation der Rezeption von US-amerikanischen Management- und Vermarktungsmethoden durch deutsche Unternehmer. Dabei wird Beobachtungs- und Handlungsebene der Unternehmer nicht immer semantisch klar auseinandergehalten. Das führt zu Mißverständnissen. So deutet Kleinschmidt das Aufkommen von „Anglizismen“ in der Manager-Sprache als einen klaren Hinweis für „Amerikanisierung“ (232). Wenige Seiten weiter gibt er jedoch zu, daß „Amerikanisierung“ auch bei völligem Ausbleiben einer englischen Terminologie vorliegen konnte (248). Darüber hinaus läßt er außer acht, daß die Verwendung von Anglizismen eine Modeerscheinung sein konnte, jedoch ohne praktische Auswirkungen auf Organisation und Praxis des Unternehmens. Kleinschmidt versäumt es hier, semantisch klarer zu argumentieren. Es mag wohl sein, daß sein Urteil auf adäquater Analyse der Quellen beruht. Es bleiben aber zumindest Zweifel durch die Darstellung der Ergebnisse.

Zum dritten: Dieses Unbehagen wird gestützt durch den Umstand, daß Kleinschmidt bisweilen die Zeitzeugeninterviews nicht nur als Quellen vergangener Lebenswege, sondern auch als Autoritäts-Zitate mit abschließender Erklärungskraft verwendet. Daß z.B. die japanische Automobilindustrie von der deutschen nur selektiv wahrgenommen wurde, sei der Grund dafür gewesen, was der langjährige VW-Chef Carl H. Hahn dann rückblickend so beschrieb: „Die Japaner zeigten uns alles, aber wir sahen nichts.“ (348). Eine solche Darstellung ist tautologisch, nicht explikativ.

Viertens schließlich: besonders in der Analyse der Wahrnehmung japanischer Management- und Produktionsmethoden hätte man sich detailliertere Erklärungen gewünscht. Die Feststellung, daß viele Unternehmer Japan und Japaner bis in die 1970er Jahre mit „Arroganz und Überheblichkeit“ beobachteten (334) ist zwar informativ, aber der an dieser Stelle bemühte Hinweis auf unterschiedliche Theorien der Fremdheitsforschung, auf interpretative Soziologie und Organisationstheorie, sowie auf „Ansätze (der) verhaltenswissenschaftlichen Theorie der Unternehmung und die Theorie des Organisationslernens“ (alle 334!) erschlagen den Leser, hindern jedoch am Verstehen. Dagegen bleiben einige Fragen noch zu beantworten: Welche Geschichte hatten einzelne Stereotypen? Welche waren originär europäisch, welche wurden durch japanische Selbstwahrnehmung gestützt? Wo änderten sich die einzelnen Bilder, wo wurde der Mythos vom japanischen Manager, vom „Samurai in Nadelstreifen“ erfunden? Schließlich drücken sich in diesen stereotypen Bildern auch Selbstbilder aus, die teilweise alt, teilweise eine Neuschöpfung der Nachkriegszeit sein konnten. „Deutsches Konsensmodell“ war kein „japanischer Harmonismus“ - warum nicht?

Daß Kleinschmidts empirienahe Untersuchung diese Fragen aufgeworfen hat, ist kein Makel, sondern ein Gewinn, denn sie konkretisiert damit in vielen Details die oft pauschal formulierte „Amerikanisierungs“-These und sie eröffnet manchen Seitenblick auf alternative Forschungsansätze der mentalitätshistorischen Forschung, jenseits von „Amerikanisierung“ und „Westernisierung“.

Anmerkungen:
1 Berghahn, Volker: Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik, Frankfurt/Main 1985; die engl. Ausgabe erschien unter dem programmatischen Titel: The Americanziation of German Business, Lemington/Spa 1986.
2 ebd., S. 18.
3 Bisher wurden einzelne nationale „Amerikanisierungs“-Prozesse nebeneinandergestellt, aber nicht explizit miteinander verglichen. Siehe dazu; Zeitlin, Jonathan/Herrigel, Gerry (Hg.): Americanization and Its Limits. Reworking US Technology and Management in Post-War Europe and Japan, Oxford u.a. 2000; Kipping, Bjarnar (Hg.): Americanisation of European Business. The Marshall Plan and the transfer of US management models, London/New York 1998.
4 Das Bild der „japanischen Herausforderung“ schließt aber an das Diktum von der „japanischen Konkurrenz“ und nicht an das der „gelben Gefahr“ an, die Kleinschmidt anführt (330-331). Vgl. etwa den ganzseitigen Aufsatz von Heinz Stadlmann: Die japanische Konkurrenz, FAZ, Nr. 286, Samstag, den 8.12.1962, S. 5, und das semantische Vorbild von Max Nitzsche: Die japanische Konkurrenz, in: Preußische Jahrbücher 117 (1904), S. 225-243.

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