H. Kiesel (Hg.) : Ernst Jünger - Carl Schmitt Briefe

Titel
Ernst Jünger - Carl Schmitt. Briefe 1930-1983


Herausgeber
Kiesel, Helmuth
Erschienen
Stuttgart 1999: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
893 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Schlak

Wenn der Schlachtenlärm verzogen ist, die Sieger ihren Sieg geniessen, schreiben die Verlierer die Geschichte. Denn sie müssen sich erklären, was sich für die vom Triumph Geblendeten von selbst versteht: den Zug der Zeit. Der Aristokrat Alexis de Tocqueville und nicht ein Fackelträger der neuen Leuchtfeuer diagnostizierte die demokratische Revolution. Die Selbstaufklärung der modernen Gesellschaft entstammt aus dem Geist des Ancien régime.

Auf die Geschichte der Verlierer darf man gespannt sein. Nur wer sind diese tragischen Gestalten unseres Jahrhunderts? Verlierer sind keine Opfer. Ihnen droht weder Vernichtung noch Kerker oder Folter. Stand- und Rangabwertung zeichnen ihr Schicksal. Am Ende des Jahrhunderts, das die Masse auf die politische Bühne zog, stehen Bürger und Soldat auf der Verliererseite. Nur noch in Schwundformen sind diese beiden großen Figuren des 19. Jahrhunderts bei uns zu finden. Der moderne Massenmensch ist mindestens soweit von den bürgerlichen Lebensformen entfernt wie der Weltanschauungskrieger humanitärer Kreuzzüge von dem Soldaten des Europäischen Staatenkrieges. Die ästhetische Leerstelle verlangt nach Platzhaltern. Seit geraumer Zeit werden diese Rollen im Selbstgespräch der Republik mit Carl Schmitt und Ernst Jünger besetzt. "So verlieren seit über hundert Jahren nach einem geheimen Gesetz alle diejenigen die Kriege, die mir sympathisch sind" schrieb Jünger im April 1940 an den Staatsrat Schmitt. (90)

Nun liegt ihre gesammelte Korrespondenz vor. In dem nicht kleinen Kreis der Schüler und Leser hatte man ihr entgegengefiebert. Man erhoffte sich von den beiden konservativen Scharfdenkern kurz vor dem Ende des Millenniums letzte Worte. Besonders Ernst Jünger verstand es, diese Erwartung zu bedienen. Jünger hat in seinen späten Tagebüchern seine Korrespondenz zum mythischen Kern seiner schriftstellerischen Existenz erklärt. So konnte es unlängst passieren, daß mit viel publizistischem Aufwand längst bekannte Briefe Adolf Hitlers an Ernst Jünger veröffentlicht wurden. Kurz vor seinem Tod hat Ernst Jünger seinen Briefwechsel mit dem Maler Rudolf Schlichter freigegeben. Aber wer ist nur dieser Bohemien und Freund hoher Schnürstiefel im Vergleich zu Carl Schmitt! Nun erst glaubte man Einblick in den Arkana-Bereich unserer Zeit zu bekommen.

Wer sich aber von der Edition den großen Kommentar zu den Krisen und Kriegen unseres Jahrhunderts verspricht, wird enttäuscht werden. Einschnitte wie die Machtergreifung der Nationalsozialisten werden gar nicht besprochen, andere, wie der Beginn des Rußlandfeldzuges, von Ernst Jünger lakonisch knapp: "Heute meldete mir meine Ordonanz zum Frühstück den Beginn des Krieges mit Rußland; ich nahm das auf >als wenn man so'n Butterbrot ißt<, wie mein Großvater, der Knabenlehrer zu sagen pflegte." (120)

Fast jeder Brief ist mit Lekürehinweisen gespickt. Eifrig streiten sich zwei Bildungsbürger um die Klassiker - Poe oder Melville. Wer ist der größte Prophet der Zeit? Jünger mag dabei von Schmitts Kunst, Abseitiges ans Licht zu fördern, mehr profitiert haben. Ob Vico oder Hamann, Bloy oder Malraux - meist kam der Hinweis von Carl Schmitt. "Sie haben mir", schreibt Jünger einmal, "den Blick für manche Dinge recht geschärft." (6) Bisweilen entsteht so der Eindruck, daß zwei Leser aus dem Frieden ihrer Bibliothek auf das Schlachtfeld Europa vertrieben wurden. Fast vergisst man, daß es einmal eine deutsche Jugend gab, die sich an den Schriften der beiden konservativen Revolutionäre stärkte und züchtigte. Hier werden keine Begriffe mehr in die polemische Situation geworfen. Nur noch Internisten bekommen die Schrift Über den Schmerz geliehen.

Jünger kannte, wie oft angemerkt wurde, nur zwei Perspektiven. Eine stereoskopische Optik für seine subtilen Käferjagden und eine planetarische, mit der er den Elementarkräften der Zeit auf der Spur war. Menschliches, Allzumenschliches wird man bei Jünger vergeblich suchen. Wer sich selbst kommentiert, hat er in einem Epigramm in seiner Sammlung Blätter und Steine (1934) notiert, begibt sich unter sein Niveau. Doch das ist natürlich die Hoffnung des Lesers. Er möchte ein Blick hinter die Maske werfen. Aber nur ganz selten bricht das Leben in das bildungsbürgerliche Spiel der beiden Leser hinein. Die Trauer um seinen Sohn Ernstel, der in den letzten Wochen des Krieges fällt, gibt für einen Moment den Blick auf die Psyche Jüngers frei. "Ernstel entbehre ich sehr.(...) In den letzten beiden Jahren verlor ich den Vater, den Sohn und die Vaterstadt." (188) Das sind seltene Introspektionen. Ansonsten wahren die beiden Haltung. "De nobis ipsis silemus" - Über uns selbst schweigen wir - könnte als Motto über diesem Briefwechsel stehen. (192) Nun wäre es müßig, fehlende Selbstauskünfte einzuklagen.Von Autoren der Neuen Sachlichkeit kann man keine romantische Seelenwühlerei erwarten, und schon gar nicht strenge Gewissensexerzitien. Jeder Briefwechsel entspringt eben einer konkreten Situation.

Eine Hoffnung für die deutsche Demokratie stellte Ernst Jünger, wie Thomas Mann einmal notierte, ganz sicher nicht da. Für Jünger wie für Schmitt war die Weimarer Demokratie schlechtes Theater, ein fader Nachgeschmack des 19. Jahrhunderts. Wer den Briefwechsel liest, um ein weiteres Mal zwei unverbesserliche Reaktionäre zu stellen, wird auf seine Kosten kommen. "Mein Orientierungspunkt damals (1936) war (und bleibt)", schreibt der greise Carl Schmitt noch 1981 in einem seiner letzten Briefe, "die ungeheuerliche Dummheit von Versailles 1919/20." (447) Gegen diesen Schandfrieden hatte Schmitt in den 30er Jahren seine Positionen und Begriffe formuliert. Und auch Jünger ist anfangs der 30er Jahre noch längst nicht der weltabgewandte Beobachter. Von désinvolture ist wenig zu spüren, wenn er eine Politik fordert, die einer grundlegenden Entscheidung bedarf und "Anteil nehmen" (15) möchte an der neuen Zeit. Mit Schmitt teilt er die Ablehnung des "leeren Geschwätzes" (7), des "Kulturschleims des 19. Jahrhunderts" (12). Und als Carl Schmitt das Politische als Unterscheidung von Freund und Feind definiert, schreibt Jünger zurück: "Ihnen ist eine besondere kriegstechnische Erfindung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert." (7)

Hier trafen sich zwei in der Diagnose ihrer Zeit. Jünger hatte dafür 1929 in einem Essay die programmatische Formel gefunden: Die totale Mobilmachung. Carl Schmitt kam in seinen Schriften mehrmals auf diese Formel zu sprechen. In der totalen Mobilmachung sah er die Aufhebung aller Trennungen, mithin das Ende des Staates. Als Etatist war er ein Theoretiker des Begrenzten und nicht des Totalitären. Der Nietzscheaner Jünger wollte dagegen die Moderne mit ihren eigenen Mitteln sprengen. Das Errichten neuer Hierachien setzt, wie Jünger in den 20er Jahren in seinen Mobilmachungsschriften unablässig schreibt, die totale Zerstörung voraus. Aber dieser artilleristische Jargon ist schon Ende der 30er Jahre kaum mehr zu hören. Nur noch selten sucht ihn nun der Dämon der Langeweile heim, der den Leutnant im 1. Weltkrieg in das Schlachtengetümmel stoßen ließ.

Über weite Strecken des Briefwechsels begegnen sich Schmitt und Jünger mit semantischen Samthandschuhen. Sie tauschen ihre Schriften und versichern sich ihrer Wertschätzung. Dissonanzen, die sich anmelden, werden sofort von bürgerlichen Höflichkeitsformeln überstimmt. Nur einmal reagiert Jünger böse, als Carl Schmitt ihn in der Nachkriegszeit auf die Gefahr aufmerksam macht, privat zu werden. Hier wird auf einmal deutlich, daß ein unausgesprochenes Wort zwischen ihnen liegt. "Ich bin aber auch berechtigt, Ihnen in der Sache Rat zu erteilen; ich habe das angesichts der folgenschwersten Entscheidung ihres Lebens nachgewiesen, und Sie werden sich der Nacht entsinnen, in der ich Sie auf der Friedrichsstraße verließ und in großer Trauer war. Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich. Wäre ich damals Ihrem Rat und Beispiel gefolgt, so würde ich heute gewiß nicht mehr am Leben sein". (247)

Jünger hatte Schmitt 1933 geraten, nach Serbien zu seinen Schwiegereltern zu gehen, um ein fundamentales Staatsrecht auszuarbeiten. Carl Schmitt konnte damals der Versuchung nicht widerstehen, Kronjurist des Dritten Reiches zu werden. 1933 schieden sich ihre Wege. Jünger entzog sich dem Werben der Nationalsozialisten und ging in die Provinz. Später in die innere Emigration. Einsilbig antwortet Carl Schmitt nun auf den Vorwurf: "Capisco et obmutesco" - Ich verstehe und verstumme. (248) Was er wirklich dachte, hat er seinem Glossarium anvertraut, das sich als geheimer Subtext zum Briefwechsel lesen lässt: "Ist das nicht die Rabulistik eines Ich-verrückten Rechthabers? Nachwirkung seines Mescalin-Experiments?"

Viel Neid und Mißgunst auf Jünger, der die Orden des neuen Staates nicht verweigert, schwingen in diesen privaten Notaten mit. Jünger erscheint hier als der Grundtypus des Opportunisten, der sich nicht entscheiden kann, und darum immer von den Wellen des Zeitgeistes getragen wird. "Ernst Jünger", heißt es am 27. Januar 1949, "wird reifer und reifer. Jetzt ist er bald reif für den Nobel-Preis." Für Schmitt war Jünger ein occasionelles Gemüt, eigentlich ein Romantiker. Wer hören will, kann auch aus dem Briefwechsel einen Widerwillen an Jüngers manieristischem Denkstil heraushören. Jüngers Bildersprache, die so ganz die konkrete Freund-Feind Situation aus dem Auge verliert, findet der Staatsrechtler einfach "entzückend". (219) Jünger ist ein Erzähler, ein Meister des aphoristisch zugespitzten Wortes, aber kein Theoretiker des Begriffs. Sein Stil ist ausschweifend und erhaben, ganz anders als die knappe, kühle und nüchterne Diktion Carl Schmitts.

Dem Leser steht zum Glück ein kompetenter Kommentar des Literaturwissenschaftlers Helmuth Kiesel zur Seite, der den Weg durch die vielfältigen Anspielungen und Zitate erleichtert. Der ist auch notwendig. "Durch Eilboten" läßt Schmitt im Mai 1935 Ernst Jünger mitteilen, daß er einen freien Tag nutzt, "um in Wolfenbüttel den Joel Jolson zu stellen." (48) Jolson ist, wie der Kommentar weiß, der jüdische Name von Friedrich Julius Stahl. Carl Schmitt arbeitete zu dieser Zeit an seinem Leviathan-Buch und las, ganz im Einklang mit dem rassistischen Geist der Zeit, den Nachlass von Stahl auf 'zersetzende Schriften'. Was verbirgt sich hinter der christlich-deutschem Maske? Zu den betrüblichen Kapiteln des Briefwechsels zählen Schmitts antisemitische Invektiven. Schon in seiner satirischen Jugendschrift Schattenrisse (1913) hatte Schmitt in einer kleinen Typologie des Deutschen unter der Kategorie "Undeutsche" Walter Rathenau geführt. Nun stellt er in einem Brief an Jünger genüßlich fest, daß der jüdische Kunsthistoriker Panofsky, der den Hass-Gesang der SA "Juda verrecke" mit "eher werden die Recken verjuden" persiflierte, festgenommen wurde. (164)

Am Ende sprechen zwei Überlebende, denen neben den Freunden, die Feinde, Mitspieler am großen historischen Drama, verloren gehen. Carl Schmitt sammelt langsam wieder einen neuen Schülerkreis um sich, wird aber weiter vom Establishment gemieden. "Ich bin jetzt noch einsamer als sonst", klagt er im Januar 1958, "schon beinahe in einer metaphysischen Einsamkeit." (347) Und im November 1972: "Man läßt einen nicht einmal mehr in Ruhe sterben." (386) Am Ruhm Ernst Jüngers hat Carl Schmitt gelitten und viel Gift in seinen geheimen Notaten verspritzt. Auf dem Sterbebett im sauerländischen Plettenberg soll er aber, so wird kolportiert, noch gemurmelt haben: "Ernst Jünger ist ein zuverlässiger Freund."

Der Briefwechsel gewährt wichtige Einblicke in das semantische Feld des verlorenen Postens. In den 20er Jahren waren Carl Schmitt und mehr noch Ernst Jünger - wie sich der von beiden geschätzte Léon Bloy auf die Visitenkarte drucken ließ - Abbruchunternehmer. Abgebrochen werden sollte die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts.

Zu den seltsamen Ironien der Geschichte zählt, daß zwei konservative Avantgardisten, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts den Bürger als antiquierte Gestalt verabschiedeten, nach der deutschen Katastrophe eine Rolle einnahmen, die der des Bürgers verzweifelt nahekam. Nun standen sie der neuen Republik und ihrer toleranten Kultur genauso fremd gegenüber wie einst der Bürger der Welt der Technik und des Verkehrs. 1970 schreibt Carl Schmitt entrüstet an Ernst Jünger: "Ein katholischer Bischof in Holland setzt sich für die Trauung von Homosexuellen ein; es gab Zeiten in der Geschichte des Christentums, in denen ein solcher Bischof als nicht gültig ordiniert und alle seine Amtshandlungen für null und nichtig behandelt worden wären." (377) Die Erfahrungsschicht, aus der diese katholische Wut auf die moderne Welt kriecht, ist unserer liberalen Welt kaum noch vermittelbar.

Die Schriften der konservativen Revolutionäre, hat Hermann Lübbe einmal gesagt, wirken heute wie Abdrücke, die seltene Tiere im Urgestein hinterlassen haben. Wer sich auf Spurenlese versteht, exotische Tiere nicht fürchtet und kulturkritischer Diätetik nicht abgeneigt ist, sollte einen Blick in den Briefband werfen.

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