B. Riehle: Eine neue Ordnung der Welt. Föderative Friedenstheorien

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Titel
Eine neue Ordnung der Welt. Föderative Friedenstheorien im deutschsprachigen Raum zwischen 1892 und 1932


Autor(en)
Riehle, Bert
Erschienen
Göttingen 2009: V&R unipress
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 53,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Reinhold Lütgemeier-Davin, Kassel

Bert Riehle, nach dem Abschluss seines Studiums an der Universität Tübingen Sachbearbeiter im Archiv für christlich-demokratische Politik in St. Augustin, untersucht in seiner Dissertation sechzig Autoren, die im deutschsprachigen Raum zwischen 1892 und 1932 auf sehr unterschiedlichem Reflexionsniveau, mit sehr unterschiedlicher gedanklicher Durchdringung und politischer Wirksamkeit »föderative Friedenstheorien« entwickelt haben; alle miteinander Entwürfe, die durch die Schaffung einer globalen oder regionalen Staatenföderation internationalen Frieden erreichen wollten. Um die Übersichtlichkeit zu erleichtern, werden die Theorieansätze den Ideenkreisen Pazifismus, Nationalismus, Imperialismus, Kontinentalismus und Sozialismus zugeordnet. Innerhalb dieser Ideenkreise wird eine alphabetische Ordnung nach Autoren vorgenommen und folglich nicht nach der Bedeutung, Reichweite oder Wirksamkeit der jeweiligen Ideen differenziert.

Nach einem darstellenden Teil werden die Konzeptionen unter Rückgriff auf Theorien Internationaler Beziehungen miteinander verglichen. Bert Riehle beansprucht für sich, einen Beitrag zur Historischen Friedensforschung, zur Historischen Europaforschung, zur deutschen Ideengeschichte, zur Theoriegeschichte der Internationalen Beziehungen und zur Historischen Komparatistik zu leisten.

Nach diesen vollmundig vorgetragenen Ankündigungen dürfte eine systematisierte Einführung in den Vergleich unterschiedlicher Forschungsansätze zur Friedenssicherung auf globaler wie europäischer Ebene im diachronen Vergleich ebenso erwartet werden wie eine Bewertung des wissenschaftlichen Ertrages und der politischen Wirkungsmächtigkeit. Nichts davon wird eingelöst, wenngleich Bert Riehle eine Fülle von Theorien Internationaler Beziehungen anspricht, diese aber nur unzureichend und oberflächlich auf die ausgewählten historischen Entwürfe herunterbricht.

Allein seine Auswahlkriterien sind unscharf: Die Konzeptionen sollen einen politischen Bund vorsehen, der mindestens Frieden, definiert als Abwesenheit zwischenstaatlicher Gewalt, anstrebt; sie sollen ein Mindestmaß an Gehalt und Struktur aufweisen, in den zeitlichen Rahmen passen und von einem identifizierbaren Autor publiziert worden sein. In unterschiedlicher Ausführlichkeit werden die Ansätze vorgestellt, nachdem in einem oft wertlosen und unvollständigen „Biogramm“ der Autor mit Geburtsjahr, Ort und Beruf genannt wird, wenn überhaupt. Häufig erhebt Riehle in seinen Anmerkungen Vorwürfe gegen die dargestellten Ansätze, zum Beispiel, dass sich „nur wenige wirklich substantielle Aussagen“ finden ließen, „keine neuartigen Gedanken“ formuliert würden, der Autor „an der Oberfläche“ bleibe, eklektisch arbeite, wenig originell sei, überhaupt „geringe Substanz“ konstatiert werden müsse. Gewiss, diese harschen Vorwürfe dürften in der Mehrzahl der Fälle zutreffen. Es fragt sich dann allerdings, weshalb die Entwürfe es überhaupt verdienen, analysiert zu werden. Und überdies: Diese Anwürfe treffen auf die Dissertation selbst in erheblichem Maße zu.

Die Zuordnung mancher Konzepte zu den Ideenkreisen erscheint überaus befremdlich, zum Beispiel: Neben ausgewiesenen und in der Friedensbewegung aktiven Autoren wie Schücking, Wehberg, Umfrid und Nippold wird auch Erzberger als Vertreter eines pazifistischen Ansatzes gewertet. Als Verfechter einer Mitteleuropa-Konzeption wird Richard von Kralik dem nationalistischen Ansatz zugewiesen, zugleich aber zugegeben, dass man ihn „trotz seiner massiven Ausrichtung auf das Deutsche“ „nicht als typischen Nationalisten“ bezeichnen könne (S. 118). Kurios das Verdammungsurteil – anders kann man es nicht nennen –, der Sozialphilosoph und Gründer der Österreichischen Liga für Menschenrechte Rudolf Goldscheid vertrete einen imperialistischen Ansatz. Später wird immerhin einräumt, sein Konzept stelle „eine recht ungewöhnliche Mischung aus Imperialismus und Pazifismus dar, wobei er von einem engen Zusammenhang zwischen Frieden und Demokratie ausgeht.“ (S. 304) Völlig abwegig schließlich die Zuordnung von Walther Borgius und Harry Graf Kessler zum sozialistischen Ansatz. Die genannten Einordnungen können überhaupt nicht nachvollzogen werden, sie erscheinen willkürlich, es mangelt an hinreichender Differenzierung.

Hinzu kommen nicht ausreichende Recherchen im Detail: Die meist banalen Bemerkungen zur Biographie wurden bereits erwähnt. In den Text eingestreut ist zum Beispiel folgende Aussage: „Lammasch und Schücking sind auch Politiker und zudem maßgeblich an der internationalen (Schieds-)Gerichtsbarkeit beteiligt, während sich Nippold vor dem Ersten Weltkrieg im ‚Verband für internationale Verständigung’ für zwischenstaatliche Verständigungsmaßnahmen einsetzt.“ (S. 241f.) Hierbei bleibt Wesentliches unerwähnt: zum Beispiel, dass Lammasch niemals einer pazifistischen Organisation angehörte und mehrfach als Berater des österreichischen Hofes fungierte; oder dass der liberale Völkerrechtler Schücking ebenfalls führend zum „Verband für internationale Verständigung“ gehörte. Welchen Aussagewert soll also der vorgebrachte Befund haben?

Dürftig oder gar wertlos sind solche Erkenntnisse wie diese: „In räumlicher Hinsicht liegt die Mehrzahl der Geburtsorte [der Autoren] in einem Gebiet, das ungefähr durch die Eckpunkte Bern - Wien - Berlin - Osnabrück begrenzt wird.“ (S. 179) Oder: „Auch wenn die genaue politische Orientierung vieler Autoren nicht bekannt ist, kann man annehmen, dass die meisten in den Bereich ‚liberal bis sozialistisch’ einzuordnen sind.“ (S. 180)

Sein Gesamtergebnis: Die Konzepte könnten als „Fundgrube“ für aktuelle Problemfelder dienen, dabei sei aber „die Forderung nach ausreichender Fachkompetenz bei der Erstellung der Konzeptionen zu nennen - ‚engagierter Dilettantismus’ allein genügt nicht.“ (S. 310f.) Dem ist nun wirklich nichts hinzuzufügen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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