J. D. Greene u. a. (Hrsg.): Atlantic History

Titel
Atlantic History. A Critical Appraisal


Herausgeber
Greene, Jack D.; Morgan, Philip D.
Reihe
Reinterpreting History
Erschienen
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 17,65
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Afflerbach, School of History, University of Leeds

Jack Greene und Philip D. Morgan, beide Professoren an der John Hopkins University, haben dieses Buch herausgegeben, das die aufstrebende Forschungsrichtung „Atlantic History” einer „kritischen Würdigung” unterzieht. „Atlantic History” ist, wie wir gleich im ersten Satz des Buches erfahren, „ein analytisches Konstrukt” (S. 3). Es hat sich, wie dem sehr informativen Einleitungskapitel von Jack Greene und Philip D. Morgan zu entnehmen ist, als Forschungsbereich zuerst an der John Hopkins University durchgesetzt und von dort aus international verbreitet. Auf die Frage, was „Atlantic History“ nun genau ist, werden in diesem Buch vielfache Definitionen angeboten. Eine davon stammt von John Elliot, der „Atlantic History” als die Untersuchung der „creation, destruction, and re-creation of communities as a result of the movement, across and around the Atlantic basin, of people, commodities, cultural practices, and values” beschreibt (S. 3).

Das Buch enthält dreizehn Beiträge renommierter Spezialisten. Sie definieren hier, was „Atlantic History” ist, welchen heuristischen Wert dieses Konzept hat und wo seine Grenzen liegen. Es geht auch darum zu klären, mit welchen anderen Fragestellungen „Atlantic History” konkurriert oder sich ergänzt.

Die ursprüngliche Idee, den Atlantik als Ganzes zu sehen, dürfte mit der Erforschung des atlantischen Dreieckhandels in der frühen Neuzeit zu tun haben. Diese Handelsstruktur lässt sich tatsächlich nur durch eine Gesamtschau auf den Atlantik, seine geographische und klimatische Struktur, die Wind- und Strömungsverhältnisse sowie die spezifischen Wirtschaftsformen (z.B. Zucker, Sklaven) befriedigend beantworten. Sie muss Europa, Afrika und die beiden Amerikas gleichermaßen umfassen, und zwar nicht nur die unmittelbaren Küstenregionen, sondern auch die anderen Teile der Kontinente, die durch dieses atlantische System geprägt wurden. Für diese frühneuzeitliche Periode macht das Konzept deshalb sehr viel Sinn, obwohl es mit einem Begriff der Gegenwart einen Zustand der Vergangenheit beschreibt. Wie allgemein bekannt, hier aber auch in einem Beitrag von Joyce Caplin nochmals hervorgehoben, gab es in der frühen Neuzeit keine Vorstellung von einem einheitlichen „Atlantik”. Die Zeitgenossen hatten andere Bezeichnungen, sahen verschiedene Ozeane dort, wo wir einen sehen, und unterschieden vor allem die nord- und südatlantische Zone.

Die unterschiedliche Terminologie allein ist natürlich kein Todesurteil für dieses Konzept. Allerdings muss sich „Atlantic History”, als Geschichte des Großraums Atlantik, auch der Konkurrenz der jeweiligen Imperialgeschichten (Spanien, Portugal, England, Frankreich, Holland) stellen; diese werden in dem Band jeweils auch mit einem eigenen Kapitel gewürdigt. Die Frage ist hier, wie sie sich mit dem Konzept der „Atlantic History“ kombinieren lassen. Sie wird unterschiedlich beantwortet. Trevor Burnard hebt in seinem Beitrag über den britischen Atlantik hervor, dass die klassischen Untersuchungen, die sich auf die Geschichte des britischen Atlantiks beschränkten, in ihren Ergebnissen dem Konzept „Atlantic History” keineswegs unterlegen seien. Sie hätten ein klares Konzept gehabt und deshalb auch klare Ergebnisse hervorgebracht. „Atlantic History” hingegen sei eine erheblich vagere Bezugsgröße (S. 130).

Das Konzept gerät auch von einer anderen Seite unter Feuer. Den einen ist „Atlantic History” zu unhandlich und zu umfassend; den anderen ist es immer noch nicht weit genug. Denn tatsächlich gibt es Probleme, bei denen auch der Atlantik als Bezugsrahmen nicht mehr ausreicht; hier sei etwa an den Silberhandel erinnert, der auch Teile des Pazifischen Raums umfasste. Daher muss sich „Atlantic History“ auch von Konzepten der Globalgeschichte absetzen, deren Vorteile hier von Nicholas Canny diskutiert werden. Außerdem gibt es noch das Konzept der Kontinentalgeschichte, das hier, für Nordamerika, von Peter H. Wood vorgestellt wird. Er glaubt, dass eine Betrachtung des amerikanischen Kontinents vor allem den indigenen Perspektiven gerechter wird. Hier ist vielleicht auch der Anknüpfungspunkt an die Kritik, dass „Atlantic History” eine neue, politisch korrekte Version von europäisch dominierter Imperialgeschichte sei.

Der Band ist, in seiner Gesamtheit, überraschend kritisch im Umgang mit einem Konzept, dem die meisten Beiträger durch ihre eigenen Forschungen doch eng verbunden sind. Trotzdem werden auch die Stärken der „Atlantic History” hinreichend deutlich. Sie ist eigentlich eine Notwendigkeit, wenn der Atlantik selbst, das heißt der maritime Aspekt, in den Vordergrund gestellt wird. Dies ist für die frühe Neuzeit, von den spanischen und portugiesischen Entdeckungsfahrten bis hin zum Ende des 18. Jahrhunderts, die gegebene und zwangsläufige Perspektive für das auf Kolonialwirtschaft, Segelschiffen und Sklavenhandel basierende atlantische Handelssystem. Der Atlantik war, wie Russell-Wood schreibt, beispielsweise für die Portugiesen „kein Hindernis, aber eine Gelegenheit” (S. 96). Dies gilt auch für die anderen Nationen, die den Atlantik wirtschaftlich nutzten. Sehr zu Recht wird in diesem Band mehrfach darauf hingewiesen, dass allein schon die maritimen Aspekte der „Atlantic History“ bedeutend genug sind – und teilweise doch vernachlässigt werden. Ein Beispiel ist der Kabeljaufang bei Neufundland. Um 1580 brachten circa 500 Schiffe einen Fang von 200.000 metrischen Tonnen nach Europa – was hinsichtlich des Volumens und des Wertes den europäischen Handel mit dem Golf von Mexiko übertraf (S. 12).

Eine wichtige Stärke dieses Bandes ist, dass er gleichzeitig die Funktion eines Literaturberichts erfüllt. Die Anmerkungen zu den dreizehn durchweg informativen Kapiteln enthalten eine sehr gute Übersicht der aktuellen Forschungen zum Thema „Atlantic History“. Allein deshalb wird dieser Band sehr nützlich sein. Als kleiner Kritikpunkt sei allerdings vermerkt, dass in diesem Band, in dem über Vor- und Nachteile eines so multinationalen Konzeptes diskutiert wird, die Angelsachsen unter sich bleiben. Dies bezieht sich nicht nur auf die Beiträger – allesamt hochkarätige Wissenschaftler von US-amerikanischen, britischen und irischen Universitäten –, sondern auch auf die sehr weitgehende, fast exklusive Verwendung englischsprachiger oder ins Englische übersetzter Literatur.

Als Fazit bleibt festzustellen, dass diese kritische Würdigung der „Atlantic History“ für alle, die sich wissenschaftlich mit dem Atlantik in der frühen Neuzeit beschäftigen, als kritische Reflektion über die eigenen Forschungsansätze sowie als Literaturbericht von großem Nutzen sein wird.