J. H. Ulbricht (Hrsg.): Weimar 1919

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Titel
Weimar 1919. Chancen einer Republik


Herausgeber
Ulbricht, Justus H.
Erschienen
Köln 2009: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Bloch, Berlin

Im September 2008 hat der Thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus das Jahr 2009 zum „Jahr der Demokratie“ ausgerufen: der 90. Jahrestag der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung, der 60. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes sowie der 20. Jahrestag des Mauerfalls rechtfertigten einen Rückblick auf den schwierigen Weg, den die demokratische Entwicklung in Deutschland hat nehmen müssen, an dessen Ende aber ein in sich gefestigtes, auf dem Vertrauen der Bürger aufbauendes, lebendiges und demokratisches Gemeinwesen stehe.1 Diesem Programm der demokratischen Traditionspflege sieht sich auch die Stadt Weimar verpflichtet, die die verfassungsgebende Nationalversammlung 1919 beherbergt und die der ersten deutschen Demokratie ihren Namen gegeben hat. Am 6. Februar 2009 wurde im Stadtmuseum Weimar die Sonderausstellung „Weimar 1919 – Chancen einer Republik“ eröffnet, die die Erinnerung an die ersten Gehversuche der Weimarer Republik mit Ereignissen der Stadt- und Landesgeschichte, Meta- und Binnenperspektive miteinander verknüpft. Der Kurator der Ausstellung, Justus H. Ulbricht, hat, um diese Botschaft auch über Weimar hinauszutragen, einen reich bebilderten Sammelband vorgelegt, als dessen Beiträger der Jenaer Politikwissenschaftler Michael Dreyer, der Regionalhistoriker Jürgen John (ebenfalls Jena) und die Hamburger Sozialhistorikerin Ursula Büttner gewonnen werden konnten.

Jürgen John spürt in seinem Beitrag den „Thüringer Demokratie- und Gestaltungspotenzialen nach 1918“, vor allem der Frage nach Umbruch oder Kontinuität nach. Zu Recht weist er darauf hin, dass „Republiktreue ohne Fachkompetenz“ zur Stabilisierung der Weimarer Republik nicht ausgereicht hätte, dass die Republikgründer mithin auf das „Bündnis mit den alten Eliten des Kaiserreiches angewiesen“ waren, deren „Demokratiefähigkeit“ den hiermit verbundenen Herausforderungen jedoch nicht immer standgehalten hätte. Insbesondere das akademische Milieu entwickelte sich rasch zu einer antirepublikanischen Bastion, die sich selbst als „unpolitisch“ definierte, die aber gerade dadurch ihre „Distanz zum parlamentarischen System“ (S. 23) zum Ausdruck brachte. Die Gleichsetzung des „Systems von Weimar“ mit dem „System von Versailles“ eröffnete der antirepublikanischen Parole gerade unter Studenten und Professoren neue Anhängerschichten und ließ die Demokratie als angelsächsischen Import zur Schwächung des Reiches erscheinen. Im jungen Freistaat Thüringen erwiesen der „Bauhausstreit“ sowie die Kontroverse um die Schul- und Universitätsreform des Innenministers Max Greil (SPD) eindrücklich das durch die Revolutionsereignisse kaum geschwächte Selbstbewusstsein der konservativen Eliten, die sich – nach einer kurzen Phase des Abwartens – bald schon wieder zu Wort meldeten. Gerade in Thüringen prallten die unterschiedlichen Deutungsmuster hart aufeinander.

Während die linkssozialdemokratische Regierung des Ministerpräsidenten August Frölich (SPD) den neuen Staat als Reformlaboratorium begriff, innovative Strömungen in Kunst und Wissenschaft förderte und fortschrittliche Professoren berief, eskalierte die Situation mit dem Regierungseintritt der KPD im Oktober 1923 endgültig. Die bürgerlichen Parteien DDP, Thüringer Landbund, DVP und DNVP schlossen sich zu einem „Ordnungsbund“ zusammen, um der sozialistisch-kommunistischen Landesregierung eine geschlossene Phalanx entgegenstellen zu können. Ein solches Bündnis der die Republik im Reich tragenden Demokraten mit der republikfeindlichen Rechten mag – so ist John zuzustimmen – durchaus als ein Akt der „Entliberalisierung“ des Bürgertums zu verzeichnen sein. Gleichwohl hätte die Frage wohl Beachtung verdient, ob die SPD in Thüringen durch ihr Bündnis mit der – nicht weniger republikfeindlichen – KPD die potentiellen Partner nicht vorsätzlich verprellt und geradezu in die Umklammerung der Rechten getrieben hatte. Eine „Weimarer Koalition“, also das Bündnis von Sozialdemokraten, Linksliberalen und Zentrumskatholiken, hätte dem Gedanken der Republik in Thüringen vielleicht eher gedient als die schwärmerische Reformpolitik der Ära Frölich.

Bei dem Beitrag Ursula Büttners handelt es sich um das Schlusskapitel ihrer jüngst erschienenen Monographie „Weimar. Die überforderte Republik“.2 Auch sie weist den an die SPD gerichteten Vorwurf, „die politische Umwälzung nicht energisch und konsequent genug durch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen abgesichert zu haben“, zurück. Zur Kooperation mit dem alten Militär- und Beamtenapparat hätte es „keine Alternative“ gegeben (S. 55). Das Hauptproblem, mit dem die Republik konfrontiert gewesen wäre, hätte in der „Immobilität“ und Verantwortungsscheu der sie tragenden Parteien bestanden. Zudem erwiesen sich neben den außenpolitischen Herausforderungen, vor allem der Reparationsfrage, die „unrealistisch hohen Erwartungen“ der Anfangszeit als schwere Hypothek: „Nirgends in der Welt ist die Demokratie konsequenter durchgeführt als in der neuen deutschen Verfassung“, rühmte Reichsinnenminister Eduard David (SPD) am 23. Juli 1919. „Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt“ (S. 94). Eine Demokratie aber, der – wie Michael Dreyer schreibt – „der Wille der demokratischen Politiker zur Zusammenarbeit“ fast völlig fehlte (S. 48), konnte solche Verheißungen nur schwer erfüllen. Insbesondere die (Volks-)Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten enthüllte, wie Büttner zutreffend schreibt, die verbreitete Sehnsucht nach autoritärer Staatsführung, nach einem starken Staat, der den als unfruchtbar begriffenen Parteienstreit überwölben und letztlich ausschalten sollte. In der Folge kehrte die politische Rechte von ihrem bislang konservativ-gouvernementalen Kurs ab; in der DNVP „setzte sich der radikale, strikt antiparlamentarische alldeutsche Flügel durch“ (S.63), und damit kamen jene Leute zum Zuge, die den Staat letztlich der nationalsozialistischen Bewegung auslieferten – eine verhängnisvolle, doch angesichts einer 1930 noch immer knappen Mehrheit staatstreuer Wähler keine zwangsläufige Entwicklung.3

Michael Dreyer widmet seinen Beitrag der Untersuchung der demokratischen Redekultur in der Nationalversammlung und nimmt dabei vor allem die Reden Friedrich Eberts vom 6. Februar und Hugo Preuß' vom 24. Februar 1919 in den Blick, die hier in Gänze abgedruckt sind. Harry Graf Kessler, Zaungast der Verhandlungen, fand Eberts Rede „schön und würdig“, namentlich soweit sie die Grenzen der Verhandlungsbereitschaft gegenüber der Entente zum Ausdruck brachte: Man solle, so Ebert, die deutsche Republik nicht vor die „verhängnisvolle Wahl Verhungern und Schmach“ stellen. „Auch eine sozialistische Volksregierung und gerade diese muß daran festhalten: lieber ärgste Entbehrung als Entehrung“ (S. 117). Das „Thema der Freiheit und der Selbstbestimmung“ verortet Dreyer in seiner ebenso knappen wie profunden Analyse nicht nur als Grundmotiv der Ebertschen Rede, sondern der Nationalversammlung überhaupt: „Es ist eines der tragischen Momente der Weimarer Republik, dass dieser Geist eines solidarischen, freiheitlichen und gemeinschaftlichen Aufbruchs unter den Demokraten der neuen Republik nicht lange Bestand hatte“ (S. 121). Die Rede Preuß', laut Kessler eine „unendlich langweilige, farb- und temperamentlose, schwerfällige und schleppende Rede“ (S. 80), entbehrte tatsächlich nicht eines resignativen Elements. Nicht alle seine Vorhaben, namentlich soweit sie die Neugliederung des Reichs betrafen, hatte Preuß, der von Ulbricht fälschlicherweise als Staatssekretär im „preußischen Innenministerium“ vorgestellt wird (S. 150, tatsächlich: Reichsamt des Inneren), durchzusetzen vermocht. Gleichwohl markierte die Präsentation und Begründung des maßgeblich von ihm inspirierten Verfassungsentwurfes einen „Höhepunkt seines Lebens“ (S. 138) – und, so ist zu ergänzen, einen Höhepunkt der demokratischen Entwicklung in Deutschland gleichermaßen. Nicht nur Dreyer, der als sein Biograph als Preuß-Kenner par excellence gelten muss, sondern auch die anderen Beiträger des vorliegenden Sammelbandes weisen mit Nachdruck auf die Kontinuitäten zwischen den Verfassungswerken von 1919 und 1949 hin: Mag das Grundgesetz, wie Dreyer schreibt, auch „in vieler Hinsicht sorgfältiger und schlicht besser gebaut“ sein, so baute es doch wesentlich auf den Weimarer Vorarbeiten auf (S. 47). Die alten Verdikte, die die Weimarer Verfassung für jede Fehlentwicklung haftbar und für das Scheitern der Republik verantwortlich machten, sind mittlerweile einer gerechteren Beurteilung gewichen; und auch Hugo Preuß, ihr lange vergessener und viel gescholtener „Vater“, erlebt zur Zeit eine Wiederentdeckung als der wegweisende liberale Staatsdenker, der er war und als der er aus der Demokratiegeschichte in Deutschland nicht wegzudenken ist.4

Alles in allem ist ein schöner Ausstellungsband entstanden, der, sich an eine breitere Öffentlichkeit wendend, sich nicht in Detail- und historische Streitfragen verbeißt, sondern in übersichtlicher und durchaus anschaulicher Weise die Anfänge der Weimarer Republik, den optimistischen Blick in eine damals noch unbekannte Zukunft zu reflektieren vermag und – insbesondere durch die vom Leiter des Weimarer Stadtarchivs Jens Riederer und der Weimarer Historikerin Christine Rost aufgestellte Chronik der Jahre 1918-20 – eine solide Überblicksdarstellung bietet. Hoffen wir, dass Michael Dreyer mit seiner Prognose Recht behält, dass das Interesse an der Weimarer Republik, an ihren Institutionen und Vertretern wächst und dass das Negativimage, das ihr lange noch anhaftete (und zum Teil noch immer anhaftet), einer kritischen, doch unvoreingenommenen Deutung weicht. Der vorliegende Sammelband hat das Seine hierzu getan.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://thueringen.de/imperia/md/content/tsk/aktuell/aufruf_zum_jahr_der_demokratie_2009.pdf> (08.06.2009).
2 Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
3 Zur Entwicklung der DNVP vgl. jetzt: Maximilian Terhalle, Deutschnational in Weimar. Die politische Biographie des Reichstagsabgeordneten Otto Schmidt(-Hannover) 1888-1971, Köln 2009.
4 Michael Dreyers Jenaer Habilitationsschrift „Hugo Preuß (1860-1925). Biographie eines Demokraten“ wird demnächst erscheinen. Eine von der Hugo-Preuß-Gesellschaft betreute fünfbändige Werkausgabe der Gesammelten Schriften Preuß' ist zurzeit in Arbeit.

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