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Titel
Ausgestellte Arbeit. Industriemuseen und ihr Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel


Autor(en)
Roeckner, Katja
Reihe
Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 21
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
183 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Abeck, Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V., Dortmund

Das Westfälische Industriemuseum, dessen korrekte Bezeichnung LWL-Industriemuseum Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur lautet, hatte in 2009 gleich dreifach Anlass zum Feiern: vor 40 Jahren wurde die dortige Maschinenhalle als erstes Industriegebäude in der BRD unter Denkmalschutz gestellt, zehn Jahre später, 1979 erfolgte die Gründung des dezentralen Westfälischen Industriemuseums (mit heute acht Standorten) und 1999 öffnete Zeche Zollern seinen Dauerausstellungsbetrieb. In dieses Jubiläumsjahr passt die Dissertation von Katja Roeckner, in der sie Zollern als eines von drei deutschen Industriemuseen daraufhin untersucht, welche Geschichtsbilder und welches Geschichtsbewusstsein sie vermitteln, welche Interpretationsangebote der Industriegeschichte sie anbieten und wie sie den Strukturwandel thematisieren.

Roeckner beginnt mit einer Skizze der relativ jungen Geschichte dieser historischen Institution und formuliert im Sinne des Geschichtsdidaktikers Jörn Rüsens, der Historischen Museen allgemein als Teil der Geschichtskultur die Aufgabe einer Sinnstiftung zuweist, dass die Industriemuseen ihre Gründung dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Orientierung angesichts des wirtschaftlichen Strukturwandels und der Veränderungsdynamik verdanken. Da die Industriemuseen „Auskunft geben über den Werdegang unserer Industriegesellschaft“ (Helmut Bönnighausen, 1979; Leiter des Westf. Industriemuseums bis 2005), diese jedoch noch nicht zu ihrem endgültigen Abschluss gelangt ist, befinden sich nach Roeckner auch die Industriemuseen in einem laufenden Verfahren, über das die Forschung noch kein endgültiges Urteil gefällt hat. Daher fordert sie, dass diese „spezialisierten Geschichtsmuseen“ (S. 12) mit Ausstellungen und Katalogen einen Diskussionsbeitrag zum aktuellen Geschehen zu liefern hätten. Zuzustimmen ist ihr in der Einschätzung, dass der Blick zurück eine Reflektion über Gegenwart und Zukunft evozieren sollte.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Der Einleitung folgt ein Überblick über Verlauf und Beurteilung des wirtschaftlichen Strukturwandels seit den 1940er-/1950er-Jahren, der in seinen Anfängen durchaus positiv wahrgenommen wurde. Roeckner schaut hier über den nationalen Tellerrand hinaus, verweist auf wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten aus Frankreich und Großbritannien sowie auf verschiedene De-Industrialisierungstheorien.

In dem folgenden Kapitel „Das Industriemuseum“ beschreibt Katja Roeckner Voraussetzungen und Umstände für die Gründung der ersten Industriemuseen. Sie legt die Vorreiterrolle Großbritanniens und der dortigen „industrial archaeology“ dar. Dabei sah in (West-)Deutschland der reflexartige Umgang mit stillgelegten Montan-Arealen lange Zeit nur deren Zerstörung vor. Im Ruhrgebiet hieß es noch Ende der 1980er-Jahre: „Alles platt machen, ... , um GE-Gebiete (Gewerbegebiete, S.A.) für neue Ansiedlungen und neue Arbeitsplätze zu schaffen“.1 Gegenüber der Industriearchäologie vermochten sich hier die Begriffe „Industriedenkmalschutz“ und „Industriekultur“ zu etablieren. Roeckner zeichnet hier die eigens erwähnte Unterschutzstellung der Maschinenhalle Zollerns, für deren Erhalt sich unter anderem die Fotografen Bernd und Hilla Becher engagierten, sowie die Einrichtung der „Referenten für Industriedenkmalpflege“ auf rheinischer und westfälischer Seite in NRW in den 1970er-Jahren nach und erinnert an die Bedeutung des von Hermann Glaser zu Beginn der 1980er-Jahre eingeführten Begriffs „Industriekultur“.2 Erstaunlicherweise verweist Roeckner in diesem Zusammenhang nicht auf die Bedeutung von Industriedenkmalpflege und Identität, obwohl die Landesregierung in NRW bereits im „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975” von 1970 die Erhaltung wichtiger technik-historischer Bauten – „Fördertürme, Maschinenhallen, Schleusen und Schachtgebäude“ – zu einem kulturpolitischen Schwerpunkt erklärt hatte.3 Das Zechensterben hatte begonnen und die Eisen- und Stahlindustrie zeigte erste Anzeichen von Schwäche. Die bis dahin gültige (Selbst-)Wahrnehmung als Montanregion begann zu bröckeln und für die regionale Identität gewann die historische Industrie-Bausubstanz (zuerst langsam und nur bei wenigen) an Bedeutung.

Anschließend geht Roeckner näher auf den Begriff „Industriemuseum“ ein, der zwar nicht derart diffus wie der der „Industriekultur“ ist, sich aber auch nicht exakt fassen lässt. So gibt es daneben zum Beispiel „Museen für Arbeit“, „Häuser für Technik und Arbeit“ oder „Museen für Industriekultur“. Das Charakteristische der Industriemuseen sei nach ihrer Definition dreierlei: das Selbstverständnis als ein sozialhistorisches Museum, die Abgrenzung gegenüber dem Technikmuseum und die Unterbringung in einem stillgelegten Industriegebäude (S. 52 und 55).

Die Kurzdarstellung der Gründungsintentionen und Schwerpunkte des Deutschen Museums, des Bergbau-Museums, des Berliner Technikmuseums, der Arbeitsschutzausstellungen sowie von Firmenmuseen verdeutlichen Roeckners Aussage, dass es keine trennscharfe Abgrenzung zwischen Industrie, Technik-, Freilicht- oder Heimatmuseen gibt und dass das entscheidende Kriterium der sozial- und alltagsgeschichtliche Schwerpunkt ist.4 Daran knüpft die Vorstellung der „Pioniere“, des Rüsselsheimer Museums und des Ruhrlandmuseums an. Natürlich werden auch die beiden dezentralen Industriemuseen in NRW, das LVR- sowie das LWL-Industriemuseum (Landschaftsverband Rheinland (LVR) und Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)), aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung dieses Museumstyps vorgestellt, ebenso deren Nachfolgeeinrichtungen, das Museum für Arbeit in Hamburg und bereits hier kurz das Museum für Technik und Arbeit in Mannheim. Es folgt ein Exkurs in die DDR-Geschichte und eine knappe Skizze der Entwicklung in England, Frankreich und den USA. Die Charakterisierung des Anfang 2010 auf Zollverein eröffnenden Ruhr Museums als Industriemuseum am Ende dieses Kapitels widerspricht jedoch dessen Selbstdarstellung „nicht als klassisches Industriemuseum, sondern als Gedächtnis und Schaufenster der neuen Metropole Ruhr.“5

Auf knapp 90 Seiten untersucht Roeckner in einem weiteren Kapitel anhand von drei Industriemuseen im Detail den musealen Umgang mit dem Thema Strukturwandel – Zollern II/IV als Zentrale des größten deutschen Industriemuseums, das Mannheimer Landesmuseum als Mischform zwischen Technik- und Industriemuseum und das Sächsische Industriemuseum als Museumsgründung der 1990er-Jahre. Methodisch wendet sie dafür die Rüsen'sche Differenzierung der Geschichtskultur (und somit auch der Museumsarbeit) in eine politische, eine wissenschaftliche und eine ästhetische Dimension an. Sie fragt nach den Motiven der beteiligten Personen und Initiativen („Gründungsbeschluss und Konzeptentwicklung“), nach den jeweiligen „Geschichtsinterpretationen“ („Ausstellungsinhalte – wissenschaftliche Dimension“) und zuletzt nach dem Umgang mit den Objekten („Denkmalnutzung und Ausstellungsgestaltung – ästhetische Dimension“). Auf diese Weise gelingt es Roeckner, die Veränderungen der Industriemuseumslandschaft anschaulich nachzuzeichnen, und zwar derart, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser Häuser offensichtlich werden. So stand bei Zollern der Erhalt und die Zugänglichmachung eines Industriedenkmals neben dem Wunsch, die Sozial- und Alltagsgeschichte umzusetzen, um somit auch die Geschichte des so genannten kleinen Mannes zu berücksichtigen. Auch wenn sie dies umgesetzt sieht, vermisst Roeckner hier weitgehend den Gegenwartsbezug. Indem das Museum zu wenig den Strukturwandel thematisiere, würde es „oft nostalgisch“ wirken und zur „Perpetuierung altindustrieller Mentalitäten“ beitragen (S. 107f.).6 Sie beanstandet die geringe Zahl an Originalexponaten in der Dauerausstellung und den fehlenden Bezug zwischen den Objekten, dem Thema und dem Schauplatz, der ehemaligen Waschkaue von Zeche Zollern II/IV. Hätte sie allerdings die mit den Jahren hinzugekommenen Abteilungen und die Wechselausstellungen in ihre Betrachtung mit einbezogen (was sie prinzipiell unterlassen hat), hätte ihre Kritik positiver ausfallen müssen.

Bei dem Museum in Mannheim, das Roeckner aufgrund seiner langen Entstehungsgeschichte untersucht hat, die in den 1960er-Jahren begann und erst 1990 zur Eröffnung führte, und in der sich über lange Zeit Technik- und Sozialhistoriker nicht über das Konzept verständigen konnten, verwundert ein wenig die Auswahl. Denn der große Anteil von Technikhistorie und Naturwissenschaft in der Dauerausstellung, der mit dem neuen Namen TECHNNOSEUM sogar betont wird 7, steht im Gegensatz zu dem von Roeckner als Alleinstellungskriterium angeführten sozial- und alltagsgeschichtlichen Schwerpunkt eines Industriemuseums. Was sie indes bedauert ist nicht das Fehlen sozialhistorischer Aspekte, sondern das Fehlen einer von ihr als relevant erachteten Identitätshilfe mittels "Präsentation der Stärken der eigenen Region" (S. 138).

Am besten bewertet Roeckner das erst in 2003 eröffnete Industriemuseum in Chemnitz, das mit Funktionsvorstellungen konzipiert und realisiert wurde, die Roeckner befürwortet: nämlich Identitätsstiftung über die positive, zugleich kritisch-reflektierte Darstellung von regionaler Tradition und Selbstbild. Dies sieht sie erfolgreich umgesetzt mittels einer Fokussierung auf die Menschen in Sachsen (und nicht nur – wie in Dortmund - auf die Arbeiter), durch einen freien und assoziativen Zugang, eine ausführliche Berücksichtigung wirtschaftshistorischer Aspekte sowie eine starke Gegenwartsorientierung.

Am Ende ihrer Arbeit formuliert Roeckner drei Forderungen an die Industriemuseen allgemein: eine stärkere Hervorhebung des Gegenwartsbezugs der präsentierten Geschichtsthemen, eine Darstellung der Industriegeschichte vor allem als Wandel der Arbeitsbedingungen und -anforderungen und eine Berücksichtigung offener Fragen und Kontroversen, wie zum Beispiel die Globalisierung. Nur so könnten diese Museen ein Ort der Diskussion sein, ein „lebendige[r] Teil der Bildungslandschaft“ (S. 169). Darin ist Katja Roeckner zuzustimmen. Skepsis ruft jedoch ihr an vielen Stellen vorgetragenes Plädoyer für eine Orientierungs- und Identitätsaufgabe der Industriemuseen hervor, dem eine Tendenz zur Beschönigung sozial- und alltagshistorischer Ereignisse inne wohnt. An der vom Internationalen Museumsrat (ICOM) formulierten Primärtugend des Museums, der „Entwicklung und Verbreiterung von Wissen", sollte nicht gerüttelt werden.

Anmerkungen:
1 Karl Ganser, Eine Bauausstellung in hübsch-hässlicher Umgebung, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, 1 (2009), S. 15-19. Ganser war Leiter der Internationalen Bauausstellung Emscher Park GmbH (1989-1999).
2 Das Denkmalschutzgesetzt in NRW wurde relativ spät 1980 erlassen (Hessen besaß seit 1902 ein solches), wies jedoch mit der Formulierung „Entwicklung der Produktions- und Arbeitsverhältnisse“ die weitreichendste Formulierung zum Schutz des industriellen Erbes auf.
3 Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur (Hrsg.): Einblicke in Industriedenkmalpflege und Denkmalschutz. Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen, o. J. o. O., S. 7.
4 So auch jüngst Thomas Parent, Arbeit und Alltag. Zur Geschichte und Konzeption von Industriemuseen, in: Blätter für Technikgeschichte, Bd. 69/70, Wien 2008, S. 55-72. Parent ist stellvertretender Leiter des LWL-Industriemuseums.
5 <http://www.ruhrmuseum.de/de/museum/ruhrmuseum.jsp> (30.11.09).
6 Wobei es Katja Roeckner leider unterlässt, diese „altindustrielle Mentalität“ näher darzustellen. Dabei hatte sie zuvor noch die prinzipiellen Bedenken von Jörn Rüsen, dass Museumsexponate auch nostalgisch „den Blick auf die Wirklichkeit“ verstellen können, mit einer gewissen Vehemenz geleugnet (S. 91).
7 Die Umbenennung erfolgte Anfang 2010, um so auch "bundesweit für Aufmerksamkeit zu sorgen"; <http://www.landesmuseum-mannheim.de/tp601.htm> (05.01.2010).

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