D. Heimes: Koblenzer Bürgerschaft

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Titel
Sozialstruktur und soziale Mobilität der Koblenzer Bürgerschaft im 17. Jahrhundert.


Autor(en)
Heimes, Daniel
Erschienen
Trier 2007: Kliomedia
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 28,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Aumüller, Archivschule Marburg

Mit der im Jahr 2006 an der Universität Trier eingereichten und von Helga Schnabel-Schüle und Franz Irsigler betreuten Dissertation unternimmt es der Autor nicht nur, die Koblenzer Sozialstruktur im 17. Jahrhundert zu erforschen, sondern auch die Intra- und Inter-Generationen-Mobilität der Koblenzer Bürger zu analysieren. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren hatten Untersuchungen zur städtischen Sozialstruktur und demographischen Bevölkerungsentwicklung ihre Blütezeit und waren grundlegend für das Verständnis der sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen in der Frühen Neuzeit. Daniel Heimes gelingt es in knapper und stringenter Weise, neue Erkenntnisse zur Koblenzer Sozialgeschichte zusammen zu tragen, die die älteren Forschungen von Etienne François und Ingrid Bátory zu Koblenz ergänzen und zum Teil revidieren.1 So kann der Autor schlüssig darlegen, um nur eines der Ergebnisse der Arbeit hier zu erwähnen, dass die Pestepidemie 1667/68 sowie das französische Bombardement von 1688 entgegen den bisherigen Annahmen und im Gegensatz zu den Folgen des Dreißigjährigen Krieges kaum Auswirkungen auf die demographische Entwicklung von Koblenz hatten.

Die Arbeit ist klar strukturiert und in drei Teile gegliedert. Im ersten einleitenden Teil erläutert der Autor zunächst die Fragestellung, Methoden und Definitionen sowie die von ihm benutzten Quellen. Den zweiten und ausführlichsten Teil unterteilt er in drei Abschnitte. Zunächst geht Heimes auf die Stadt Koblenz als Forschungsgegenstand ein und erläutert die bisherigen Forschungsergebnisse. Hierauf widmet er sich der Koblenzer Sozialstruktur, um anschließend die soziale Mobilität der Koblenzer Bürgerschaft zu erörtern. Der Schlussteil fasst die Ergebnisse der Arbeit nochmals zusammen. Überhaupt ist es ein Markenzeichen dieser Arbeit, am Schluss eines jeden Kapitels eine kurze Zusammenfassung über den jeweiligen Inhalt zu bieten, wobei häufige Redundanzen für einen höheren Lerneffekt, aber weniger Lesevergnügen sorgen.

Um die Sozialstruktur und soziale Mobilität untersuchen zu können, geht der Autor davon aus, dass der soziale Stand einer Person grundlegend auf dessen ökonomischem Vermögen beruht und durch die Faktoren Macht und Ansehen ergänzt oder nötigenfalls korrigiert werden muss. Anders als Erik Fügedis Dezilenmethode2, die eine starre und willkürliche Unterteilung der Bürgerschaft vornimmt, geht Heimes einen neuen Weg. Er nimmt Wolfgang Laufer3 folgend den Standpunkt der Quellen ein und prüft, wer nach deren Aussagen als arm oder wohlhabend galt, und erstellt anhand dieser Angaben ein ökonomisches Schichtungsmodell der Koblenzer Bürgerschaft, das er dann um die Aspekte Macht und Ansehen bzw. politische und soziale Aspekte ergänzt. Dieses Schichtungsmodell – den Begriff verwendet Heimes synonym zu jenem der Sozialstruktur – unterteilt er in eine Unterschicht sowie je in eine untere und obere Mittel- bzw. Oberschicht.

Um dies leisten zu können, bedarf es einer eingehenden Quellenkritik, die Heimes gut gelungen ist. Dem ökonomischen Ansatz entsprechend sind die Hauptquellen die verschiedenen in Koblenz angelegten Steuerlisten. Ausführlich beschreibt und erläutert er die unterschiedlichen Listentypen. Dabei wägt er sorgfältig ab, was mit welchem Listentyp erreicht werden kann. Der kleinste gemeinsame Nenner, dessen es bedarf, um die erhobenen Daten sinnvoll miteinander vergleichen zu können, ist die Konzentration auf die männliche Bürgerschaft. Das heißt Fremde, Adelige, die Geistlichkeit, landesherrlich Privilegierte wie Diener und Beamte, aber auch die nichtbürgerliche Unterschicht fallen aus Mangel an Quellen aus der Untersuchung heraus. Ebenfalls bedauerlich ist es, dass Frauen nur in Form von Witwen in der Untersuchung erscheinen. Denn die Herstellung von Netzwerkbeziehungen, die soziales Ansehen, aber auch ökonomischen Güter vermitteln, findet – wie gerade jüngere Forschungen zeigen – auch über die kognatische Linie statt. So vergibt sich die Arbeit an dieser Stelle die Chance, neue Ansätze der Kulturgeschichte aufzugreifen, und verharrt in einer etwas patriarchalisch anmutenden Sichtweise. Dies ist bedauerlich, aber angesichts der Quellenlage und -auswahl verständlich. So ist die große Stärke dieses Buches, die fokussierte Herangehensweise, auch dessen größte Schwäche, da alles, was abseits des Fokus' liegt, unbeachtet bleiben muss.

Die Ratsprotokolle dienen Heimes, um die Aspekte der Macht und des Ansehens zu erläutern. Anhand der Protokolle lassen sich die Ratsmitglieder ausfindig machen, die qua Amt über ein besonderes Sozialprestige verfügten. Die Ratsmitgliedschaft sieht Heimes als geeignetes Mittel zur Präzisierung der Oberschicht und zur Abgrenzung jener von der Mittelschicht.

Eine Prozessionsordnung und eine Prozessionsbeschreibung nutzt der Autor, um soziale Distinktion zwischen Nichtzünftigen und Zünftigen sowie unter den Zünften auszumachen. Ob allerdings die Hierarchien in Koblenz so starr, unbestritten und über Jahrhunderte gleichförmig waren, wie Heimes annimmt, kann – zumindest angesichts der Forschungsergebnisse für andere Städte4 – nicht unangezweifelt bejaht werden.

Dies schadet der Qualität des Ganzen nur zum Teil. Zumal die Ergebnisse sauber herausgearbeitet sind und plausibel klingen. So scheint sich etwa in Koblenz die Zunftzugehörigkeit positiv oder zumindest stabilisierend auf die soziale Mobilität ausgewirkt zu haben, solange es sich nicht um stark konjunkturell abhängige Zünfte handelte, wie jene der Weingärtner. Der hohe Anteil von Witwen in der Unterschicht zeigt allerdings deutlich, dass der Tod des männlichen Familienvorstands ein großes Armutsrisiko barg. Lediglich der Statistiker hätte sich angesichts der zum Teil sehr geringen Fallzahl belastbarere Datenmengen gewünscht, die aber aufgrund der Quellenlage nicht zu erbringen waren.

Bedauerlich ist, dass die Arbeit und deren Ergebnisse nicht in den weiteren Forschungskontext der vormodernen Stadtgeschichte eingeordnet werden. Ein Blick über den Koblenzer und Trierer Tellerrand hinaus hätte der Arbeit nicht geschadet. Der zum Teil recht trockene Stil, der bei statistischen Untersuchungen nahezu unvermeidlich ist, macht das Buch von Heimes nur zum Teil zu einem Lesevergnügen. Im Rahmen der Quellen und des gewählten methodischen Ansatzes gelingt es ihm aber, solide Kärrnerarbeit zu verrichten und besonders für die Koblenzer Stadtgeschichte neue Aspekte zu eröffnen und ältere Forschungen zu ergänzen bzw. zu korrigieren.

Wirklich ärgerlich an der Arbeit ist dagegen das mangelhafte Lektorat des Verlags. Bei vielen wortgleichen Redundanzen wäre eine Überarbeitung angebracht gewesen, auch sollten die im Text genannten Quellen mit den Angaben im Quellenverzeichnis übereinstimmen. So erscheinen die Kirchenbücher überhaupt nicht in den Quellenangaben. Wenn es schon kein Sachregister gibt, das gerade bei einer solchen Arbeit hilfreich wäre, so sollte wenigstens das Namensregister dem in wissenschaftlichen Arbeiten üblichen Standard entsprechen. Maximilian II. Emanuel von Bayern erscheint etwa unter Bayern, spanische und schwedische Könige ebenso wie Kaiser Karl V. hingegen unter ihren jeweiligen Vornamen. Die beigefügten Abbildungen und Statistiken sind anschaulich und hilfreich, wenngleich eine weitere Aufschlüsselung, beispielsweise welche Zunft welchen Anteil an der jeweiligen Schicht hatte, wie es etwa für die Krämerzunft geboten wird, nützlich gewesen wäre.

Anmerkungen:
1 Etienne François, Koblenz im 18. Jahrhundert. Zur Sozial- und Bevölkerungsstruktur einer deutschen Residenzstadt, Göttingen 1982; Ingrid Bátori, Geschichte der Stadt Koblenz, 2 Bde., Aalen 1992.
2 Erik Fügedi, Steuerlisten, Vermögen und soziale Gruppen in mittelalterlichen Städten, in: Ingrid Bátori (Hrsg.), Städtische Gesellschaft und Reformation, Stuttgart 1980, S. 58-96.
3 Wolfgang Laufer, Die Sozialstruktur der Stadt Trier in der frühen Neuzeit, Bonn 1973.
4 Andrea Löther, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit, Köln 1999; Marian Füssel, Hierarchie in Bewegung. Die Freiburger Fronleichnamsprozession als Medium sozialer Distinktion in der Frühen Neuzeit, in: Patrick Schmidt / Horst Carl (Hrsg.), Stadtgemeinde und Ständegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, Berlin 2007, S. 31-55.

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