C. Bertelsmeier-Kierst: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit

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Titel
Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa.


Herausgeber
Bertelsmeier-Kierst, Christa
Reihe
Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
X, 349 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Tebruck, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Der von der Marburger Mediävistin Christa Bertelsmeier-Kierst herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die anlässlich des 800. Geburtstags der heiligen Elisabeth von Thüringen (1207–1231) im November 2007 in Marburg an der Lahn veranstaltet wurde. Der Band enthält insgesamt 16 Tagungsbeiträge aus den unterschiedlichen Fachrichtungen, die sich mit Hagiographie, Heiligen- und Reliquienverehrung und der Frömmigkeitsgeschichte des Mittelalters befassen.

Am Anfang steht der Beitrag der Herausgeberin Christa Bertelsmeier-Kierst, die die Entwicklung der Frauenfrömmigkeit vom frühmittelalterlichen Damenstift über das Doppelkloster der Reformära bis zu den Beginen und Mendikanten des 13. Jahrhunderts skizziert und dabei vor allem das durch Jungfräulichkeit und compassio mit dem leidenden Christus geprägte Leitbild der virgines Christi diskutiert. Zu Recht weist sie darauf hin, dass zu den Leitmotiven und zur Praxis der religiösen Frauenbewegung um 1200 – im Vergleich zur spätmittelalterlichen Zeit – noch vergleichsweise großer Forschungsbedarf besteht.

Der Kunsthistoriker Harald Wolter-von-dem-Knesebeck wendet sich dem unmittelbaren Umfeld Elisabeths von Thüringen zu und stellt die beiden bedeutenden, im landgräflichen Hauskloster Reinhardsbrunn (südwestlich von Gotha) um 1200/1208 bzw. 1208/1213 für den thüringischen Hof angefertigten Prachtpsalter vor, von denen der ältere (der sogenannte Elisabethpsalter, heute in Cividale) benediktinisch-hirsauische Traditionen mit der adligen Frömmigkeit am Hof in Verbindung brachte, während der jüngere (der sogenannte Landgrafenpsalter, heute in Stuttgart) mit seinen großformatigen Darstellungen neutestamentlicher Szenen als der modernere zu gelten hat und die Andacht der mit den beiden Psaltern betenden Elisabeth stärker geprägt haben dürfte.

Christian-Frederik Felskau vergleicht in seinem Beitrag die dem Vorbild der heiligen Elisabeth von Thüringen verpflichteten Fürstinnen aus der Piasten- und der Přemyslidendynastie und differenziert dabei zwischen Hedwig von Schlesien (1174–1243), die er in größerer Nähe zur „überkommenen Lebensperspektive hochadeliger Witwen“ (S. 61) sieht, und den beiden Přemyslidinnen Anna (1204–1265) und Agnes von Böhmen (1211–1282), die wie ihr thüringisches Vorbild – aber im Unterschied zu Elisabeth stets im Konsens mit ihrem dynastisch-höfischen Umfeld – Hospitäler gründeten und damit für eine „Modulierung des Modells Elisabeth“ im Sinne einer „institutionalisierte[n] caritas weiblicher Laien im 13. Jahrhundert“ stehen (S. 72).

Mirosław Mroz widmet sich der aus thüringischer Ministerialität stammenden Jutta von Sangerhausen (†1260), die ihre letzten Lebensjahre als Eremitin unter dem Schutz des Dominikaners und ersten Kulmer Bischofs Heidenrich von Leipzig (1245-1263) im Wald bei Kulmsee (heute Diözese Thorn) verbrachte und dabei eremitische Kontemplation mit dem Dienst an den Armen verband. Ihre an Elisabeth von Thüringen orientierte Spiritualität, die mit ihrem Interesse am Missionsgedanken indes auch eigene Züge aufwies, wurde in der Frauenmystik des späten Mittelalters (beginnend mit Mechtild von Magdeburg) intensiv rezipiert.

Klaus Niehr schreibt den Reliquienbehältnissen, die kunstvoll das in ihnen geborgene Gebein nachbilden und zugleich Mittel der öffentlichen Präsentation waren, die Funktion zu, den geteilten Körper der Heiligen wieder ganz erscheinen zu lassen, ihre Vita zu erzählen („Spezialform der Hagiographie“, S. 104) und die Authentizität der Reliquie zu verbürgen. Für die bildlichen Darstellungen, die im Rahmen der außerordentlich rasch nach dem Tod Elisabeths einsetzenden Verehrung entstanden, konstatiert er einen Rückgriff auf einen tradierten „Typenvorrat“ an Bildern (S. 93), in den die neue Heilige eingepasst werden musste. Damit prägten, so Niehr, die mit hoher Geschwindigkeit nach Tod und Kanonisation produzierten Bilder die Hagiographie und den Kult der heiligen Elisabeth wesentlich mit und wirkten zugleich als Medium der „Dauerhaftigkeit“ (S. 95) lange nach. Ihre Grenzen dürfte diese Deutung allerdings in dem zu wenig in den Blick gerückten Befund haben, dass die frühesten Aufzeichnungen über das Leben und die Wunder der Heiligen bereits 1232/'33 bis 1235/'36 entstanden. Sie waren die unmittelbar zur Verfügung stehenden Vorlagen für die frühesten bildlichen Darstellungen in den Glasfenstern der über dem Marburger Grab der Heiligen errichteten Kirche und auf dem in dieser Kirche aufgestellten Schrein. Wie in der Interpretation dieser Bildwerke tradierte, idealtypische Formen auf der einen, und Originalität und Individualität der Vita und der Verehrung Elisabeths auf der anderen Seite miteinander vermittelt werden können, wäre deshalb noch einmal eingehend zu diskutieren.

Stefan Morent liefert einen Beitrag zur Frage der Entstehung des für den liturgischen Festtag der heiligen Elisabeth von Thüringen geschaffenen Heiligenoffiziums Letare Germania, das im Vergleich zu dem zweiten, ebenfalls noch im 13. Jahrhundert entstandenen Elisabethoffizium Gaudeat Hungaria als das ältere und breiter rezipierte zu gelten hat. Auch wenn Morent die Frage nach dem Verfasser und dem Komponisten letztlich offen lassen muss, kann er eine Reihe von weiterführenden Hinweisen geben. So sieht er weder Belege für eine besondere Nähe des Offiziums zur Elisabeth-Vita des Caesarius von Heisterbach, der ältesten Vita (um 1236/'37), noch stehe der Text in Verbindung mit den Bemühungen Kaiser Friedrichs II. um den Kult der neuen Heiligen, an deren Reliquienerhebung der Staufer Pfingsten 1236 beteiligt war. Vielmehr verweise die handschriftliche Überlieferung auf das Prämonstratenserinnenkloster Altenberg, dem die jüngste Tochter Elisabeths, Gertrud, ab 1248 vorstand und aus dem einer der ältesten Textzeugen des Offiziums stamme.

Anette Löffler stellt im Gegensatz zur älteren Forschungsmeinung in ihrem Beitrag die hohe Bedeutung der Elisabeth-Verehrung in der Liturgie des Deutschen Ordens heraus und verweist auf die Einheitlichkeit und die dichte Überlieferung der für die Festtage der Heiligen verwendeten Festformulare in den liturgischen Handschriften des Deutschen Ordens.

Hans-Walter Stork ordnet mit seinem Beitrag die Wallfahrt Kaiser Karls IV. und seiner Gemahlin Elisabeth zum Marburger Grab der Heiligen 1357 in die Pilger- und Reliquienfrömmigkeit des Luxemburgers ein, der drei Elisabeth-Reliquien erwarb, aber wohl kaum nachhaltig wirkende Impulse für die Marburger Wallfahrtstradition setzte.

Lothar Vogel diskutiert die ältesten Schriftquellen zum Wirken der heiligen Elisabeth und datiert die im Rahmen des Kanonisationsprozesses entstandene, in zwei Fassungen überlieferte Aufzeichnung der Zeugenaussagen von vier Dienerinnen Elisabeths über das heiligmäßige Leben ihrer Herrin auf den Winter 1234/'35 (Kurzfassung) und nach Mai 1236 (Langfassung) und sieht in letzterer eine stärker hagiographische Tendenz.

Monika Rener verweist auf die hohe Bedeutung der hagiographischen Tradition für die Spiritualität Elisabeths und schreibt dabei insbesondere der aus dem thüringischen Königshaus des 6. Jahrhunderts stammenden heiligen Radegund, deren Vita aus der Feder des Venantius Fortunatus (oder ihre Bearbeitung durch Hildebert von Lavardin) Elisabeth gekannt haben dürfte, Vorbildfunktion zu.

Stephanie Haarländer arbeitet heraus, dass der bedeutendste Hagiograph der heiligen Elisabeth, Dietrich von Apolda, ihr – für den Heiligenstand in der traditionellen Hagiographie immer als problematisch wahrgenommenes – Verheiratetsein dadurch positiv aufwertet, dass er ihren Gemahl, Landgraf Ludwig IV., ebenfalls hagiographisch stilisiert und Ludwig und Elisabeth als heiliges Paar darstellt.

Kristin Böse differenziert zwischen den beiden im 15. Jahrhundert entstandenen Elisabeth-Bildteppichen aus dem Zisterzienserinnenkloster Wienhausen (bei Celle) und dem Kanonissenstift Heiningen (bei Wolfenbüttel), indem sie in ersterem das Leitmotiv von Heiligkeit im höfisch-aristokratischen Kontext, im zweiten den Bruch Elisabeths mit der höfischen Welt thematisiert sieht.

Die letzten vier Beiträge widmen sich der Rezeption der Elisabeth-Verehrung in der ältesten altfranzösischen Prosalegende und ihrer Versbearbeitung von Rutebeuf um die Mitte des 13. Jahrhunderts (Barbara Fleith und Martina Backes), den verschiedenen deutschsprachigen Legendarien von der mittelhochdeutschen Bearbeitung der legenda aurea um 1300 bis hin zur Elisabeth-Vita des Eisenacher Chronisten Johannes Rothe aus dem frühen 15. Jahrhundert (Martin Schubert), den Illustrationen in der oberrheinischen Bearbeitung der Elisabeth-Vita Dietrichs von Apolda aus dem 15. Jahrhundert, den Bildern im Krumauer Bildercodex aus dem 14. Jahrhundert und den nicht vollendeten Illustrationen in der Chronik des Wigand Gerstenberg aus dem 15. Jahrhundert (Ulrike Bodemann) sowie abschließend der Elisabeth-Dichtung des in Wittenberg und Marburg tätigen Humanisten Johannes Eisermann (1518) und der 1511 erstmals im Druck erschienenen Prosalegende des Herforder Fraterherrn Jacobus Montanus Spirensis (Klaus Kipf).

Den Band, der mit der Fülle seiner Beiträge an den reichen Forschungsstand zu Leben und Verehrung der heiligen Elisabeth von Thüringen anknüpft1 und zugleich wichtige Impulse zur weiteren Diskussion gibt, beschließt ein sehr nützliches Register der Handschriften und Frühdrucke sowie ein Personenregister (S. 341–348).

Anmerkung:
1 Siehe die im Juni 2007 erschienene zweibändige Publikation zur Dritten Thüringer Landesausstellung in Eisenach: Elisabeth von Thüringen - eine europäische Heilige. Band 1: Aufsätze, Band 2: Katalog. Im Namen der Wartburg-Stiftung Eisenach und der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter Mitarbeit von Uwe John und Helge Wittmann hrsg. von Dieter Blume und Matthias Werner, Petersberg 2007.