Bilderschlachten

Veranstalter
Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, das European Media Art Festival (EMAF), die Kunsthalle Dominikanerkirche und das Museum Industriekultur in Osnabrück, initiiert durch die Friedensstadt Osnabrück. (14134;10454)
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14134;10454
Ort
Osnabrück
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.04.2009 - 04.10.2009

Publikation(en)

Cover
Schneider, Thomas F.; Nöring, Hermann; Spilker, Rolf (Hrsg.): Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg. Technik - Medien - Kunst. Göttingen 2009 : Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-36759-9 440 S. mit ca. 400 z.T. farb. Abb. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lucia Halder, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn

Grünlich flimmernde Nachtaufnahmen, Zielvideos einschlagender Missiles, für den Body Count drapierte getötete Zivilisten – so stellte man sich im Jahr 1999 eine Bilderschlacht vor, wenn Nato-Sprecher Jamie Shea in einem Interview zum Kosovo-Krieg unverblümt verkündete: „Wir müssen Bilder mit Bildern bekämpfen“1. Auch zehn Jahre später hat diese Vorstellung ihre Gültigkeit nicht eingebüßt. Für die Macher der Osnabrücker Ausstellung „Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg“ sind die oben genannten Bilder aber nur ein Markstein in der langen Geschichte der visuellen Kriegsberichterstattung. In ihrer ebenso ambitionierten wie gelungenen Ausstellung gehen sie der Frage nach, wie die technologische Entwicklung das Bild vom Krieg verändert hat. Das Kooperationsprojekt veranschaulicht dabei, wie technische Neuerungen immer auch neue Bildformen und -Mechanismen generierten und wie sich Strukturen und Inhalte der Kriegsberichterstattung durch technische Innovationen von der Antike bis zur Gegenwart verändert haben. Zusätzlich ergänzen zahlreiche Positionen zeitgenössischer Kunst den historischen Ansatz und ermöglichen dem Besucher einen anderen Blickwinkel auf das Sujet.

Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile, die sich in den drei beteiligten Häusern in künstlerischen, technischen und historischen Exponaten wiederfinden. „2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg“ lautet der Untertitel der Ausstellung. Der beleuchtete Zeitraum ist weniger inhaltlich determiniert, als dem Jubiläumsjahr der Schlacht im Teutoburger Wald geschuldet. Den Einstieg in die Ausstellung im Museum für Industriekultur liefern dementsprechend Berichte unterschiedlicher antiker Autoren über die Varusschlacht im Museum für Industriekultur. Hier wird darüber hinaus den technischen Grundlagen der Kriegsberichterstattung von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg nachgespürt: Dazu zählten Boten zur Nachrichtenübermittlung im römischen "cursus publicus“-System, Signaltürme, die das Sonnenlicht zur sogenannten Heliografie nutzten, optische und später die elektrische Telegrafie des 19. Jahrhunderts, Brieftauben zur Überwindung feindlicher Linien, Feldpost- und Feldtelegrafie sowie Holzschnitte, Schlachtenbilder und Fotografie. Eine der Leitthesen der Ausstellung – es habe niemals objektive Berichte aus dem Krieg gegeben – wird besonders bei den frühen Illustrierten des 19. Jahrhunderts mit bemerkenswerten Auflagenhöhen deutlich. Sie zeigen, wie groß der Wunsch war, den chaotischen Charakter des Krieges durch Nachrichten und Bilder zu strukturieren, zu zivilisieren und zu ordnen.2 Die relativ zurückhaltende Ausstellungsarchitektur lässt den zahlreichen technischen Objekten, wie beispielweise dem Typendrucktelegrafen von Hughes oder einer Plattenkamera des frühen 20. Jahrhunderts ihren nötigen Raum. Leider ist nicht an jeder Stelle eine ansprechende und konservatorisch einwandfreie Bestückung der Vitrinen gelungen, so dass einige der sehenswerten Objekte aus der Sammlung des Museum Industriekultur ihre Aussagekraft einbüßen.

Der zweite Teil der Ausstellung in der Kunsthalle Dominikanerkirche umfasst die medienhistorische Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert „von der Erfindung der Propaganda bis zur Handykamera“. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Entwicklung der Propaganda in Bildtypologien wie Feindbildern, Opferbildern, Bildern des Sieges und der Niederlage sowie die Fortschreibung der Mediengeschichte durch Hörfunk, Film, Fernsehen, Computer und Internet sowie dem damit verbundenen Aufbrechen traditioneller Übermittlungswege. Mit dem Stichwort „Information Warfare“ tritt eine neue Dimension von Nachrichtenübermittlung und Berichterstattung in den Vordergrund. An zahlreichen audiovisuellen Stationen kann der Besucher Interviews, Ausschnitte aus Kriegsfilmen oder bedeutenden Sequenzen, wie beispielsweise Peter Arnetts legendärem Report vom Dach eines Bagdader Hotels, die so genannte „Powell-Point-Präsentation“ oder den Beschuss des Palästinenserjungen Mohammed Al-Durah sehen. Die kommentarlose Präsentation des You Tube-Videos der Hinrichtung Saddam Husseins lässt die Frage aufkommen, ob hier nicht die Gelegenheit versäumt wurde, über Grenzen des Bildgebrauchs zu diskutieren und auch dem Betrachter die Frage zu stellen, ab wann er selbst die Verantwortung für die Bilder übernehmen müsste. Bei den Aufnahmen der versehentlichen Bombardierung eines Personenzuges durch Geschosse der Nato und die anschließende Manipulation der Bilder ist die Kontextualisierung beispielsweise einwandfrei gelungen.

Weshalb haben Bilder in kriegerischen Auseinandersetzungen seit Mitte des 20. Jahrhundert so an Bedeutung gewonnen und warum hat sich die Kriegsberichterstattung in einen Berichterstattungskrieg entwickelt? Dieser Frage wird in Osnabrück leider nicht dezidiert nachgegangen und so wird nicht deutlich, dass sich nicht nur die Aufzeichnungs- und Übermittlungstechnik verändert hat, sondern auch der Charakter des Krieges; und damit einher gehend eine Veränderung des Bildgebrauchs vom Propagandainstrument zur Waffe.3 Dafür liefert der internationale Terrorismus das aktuellste und deutlichste Beispiel. Umso mehr verwundert es, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Initialzündung zur bislang größten „Bilderschlacht“ des 21. Jahrhundert in der Ausstellung kaum thematisiert wird. Das Phänomen, dass Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen, von denen es keine Bilder gibt, es nicht in die Tagesnachrichten schaffen und somit in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, bleibt leider ebenso unerwähnt.

An jedem der drei Ausstellungsorte wird mit zahlreichen herausragenden Objekten aus Geschichte, Technik und Kunst an einer Gesamterzählung visueller Kriegsberichterstattung gearbeitet. An manchen Stellen verstärkt sich jedoch der Eindruck, die Ausstellungsmacher hätten sich damit etwas zu viel vorgenommen. Die Verbindung der unterschiedlichen Erzählstränge der Ausstellung droht gelegentlich der Aufmerksamkeit des Besuchers zu entgleiten und ist an manchen Punkten, nicht nachvollziehbar. Unbedingt muss jedoch das Verdienst der Kuratoren gewürdigt werden, sich eben nicht nur auf den immer wieder in Visual History-Kreisen anzutreffenden Dreiklang von Krimkrieg, Vietnamkrieg, Golfkrieg beschränkt zu haben. So bringt die Ausstellung eine Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen und deren visuelle Kodierung zum Vorschein, die bisher in vielen Veröffentlichungen vernachlässigt wurden, wie beispielsweise der deutsch-französische Krieg, die Napoleonischen Kriege oder der deutsch-dänische Krieg. Sie zeigt, dass die Geschichte der visuellen Kriegsberichterstattung eine lange Tradition hat, die nicht erst mit der Erfindung der Fotografie einsetzt und dass es viel mehr Zäsuren und Wendungen gibt, als den in den frühen 1990er-Jahren postulierten pictorial turn. Insbesondere die Verbindung von historischen Entwicklungen mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen schafft interessante Bezugspunkte, eröffnet neue Denkräume und kann dem Besucher Denkanstöße jenseits der historischen Ereignisgeschichte liefern.

Der Begleitband zur Ausstellung bietet zahlreiche interdisziplinäre Beiträge, die eine Vertiefung des Themas erlauben. Die präsentierten Kunstwerke werden ausgiebig erläutert, jeder Objekttext ist nachzulesen. Ebenso große Mühe hat sich das Kuratorenteam um Hermann Nöring (European Media Art Festival), Thomas Schneider (Erich Maria Remarque-Friedenszentrum), Rolf Spilker (Museum Industriekultur) und André Lindhorst (Kunsthalle Dominikanerkirche) mit dem Begleitprogramm gegeben. Vorträge und eine Tagung über den Einfluss technischer Innovationen auf das Bild des Krieges in den Medien und Künsten flankieren die Ausstellung. Für Jugendliche und Schulen liegt ein Schwerpunkt auf der Vermittlung von Medienkompetenz. Schülergruppen können sich zum Beispiel von Gleichaltrigen unter dem Motto "Schüler führen Schüler" durch die Ausstellung begleiten lassen. Auf der Webseite zur Ausstellung sind zudem zahlreiche Informationen und ein Rundgang durch die Ausstellung verfügbar.4

Nicht ohne Ironie endet die Ausstellung mit der puristischen Präsentation eines steinzeitlichen Beils im Foyer des Erich-Maria-Remarque Friedenszentrums. Archaisch anmutend wirft das Objekt den Besucher Jahrtausende vor den Anfang der Ausstellung zurück. Auch zu dieser Zeit hatten die Menschen in den Höhlen von Lascaux und Altamira bereits Zeugnisse für den Glauben an die Macht eines Bildzaubers hinterlassen. Man entkommt ihnen also nicht, „die Bilder bestimmen das Geschehen“5, um noch einmal mit Jamie Shea zu sprechen. Die Aussage des in militärischen Diensten stehenden PR-Experten, getroffen zur Zeit des von allerlei Bildzauber begleiteten Nato-Bombardements in Rest-Jugoslawien, ist immer noch aktuell. Daher ist es umso wichtiger, Ereignisse und ihre Visualisierung immer wieder kritisch zu hinterfragen und in historischer Perspektive zu verstehen. Die Osnabrücker Ausstellung liefert dazu einen definitiv gelungenen Ansatz.

Anmerkungen:
1 Zitiert nach: Peter Blechschmidt, Bilder mit Bildern bekämpfen, in: Süddeutsche Zeitung, 4.8.1999.
2 Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder, Paderborn 2004.
3 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002.
4 <http://www.bilderschlachten.de> (10.09.2009)
5 Jamie Shea, Die Kosovo-Krise und die Medien: Reflexionen eines NATO-Sprechers. In: Zeitschrift für Sicherheit und Frieden 3/2000, S.208-217.

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