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Titel
Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute


Autor(en)
Wippermann, Wolfgang
Erschienen
Darmstadt 2009: Primus Verlag
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Framke, Jacobs University Bremen

Verschiedene Faschismen und der Nationalsozialismus prägten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Geschicke der Welt. Die Entstehung, Verbreitung und politische Machteroberung faschistischer Bewegungen sowie die Folgen ihrer Herrschaft sind vielfach diskutiert und untersucht worden. Mittlerweile ist eine umfangreiche, bisweilen kaum zu überblickende Forschungsliteratur entstanden, in der allerdings bisher kein Konsens über die Definition des Faschismus, insbesondere nicht hinsichtlich seiner räumlichen und zeitlichen Eingrenzung, gefunden werden konnte.1

Beiden Problemen widmet sich Wolfgang Wippermann in seiner „Weltgeschichte“ des Faschismus vom 19. Jahrhundert bis heute. Darin charakterisiert er Faschismus als „ein epochenübergreifendes und zugleich globales Phänomen“ (S. 13), das im generischen Sinne „über eine klassische, bonapartistische und fundamentalistische Variante verfügt“ (S. 14). Die Charakteristika aller drei Varianten skizziert das Buch in seiner Einleitung. So sind laut Wippermann solche Parteien als klassisch-faschistisch zu verstehen, „die sich durch ihr Erscheinungsbild (uniformierte und bewaffnete und nach dem Führerprinzip aufgebaute Partei), ihren politischen Stil (Terror und Propaganda) und ihre Ideologie (Nationalismus, Rassismus, Antidemokratismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Führerkult) von anderen rechten und linken Parteien sowohl unterscheiden wie ihnen gleichen“ (S. 13). Bonapartistische Regimes hingegen entstehen, so Wippermann, in einem Gleichgewicht der Klassen und stützen sich auf die Polizei und Armee. Sie können zu bonapartistisch-faschistischen Regimen werden, wenn sie „sich mit faschistischen Parteien verbünden oder selber Einheits- beziehungsweise Staatsparteien aufbauen, welche die Funktionen der ‚klassischen‘ faschistischen Parteien übernehmen, das heißt die Bevölkerung sowohl kontrollieren wie mobilisieren“ (ebd.). Der letzte Eckpunkt seiner Dreiecksdefinition, die fundamentalistisch-faschistische Variante als Partei oder als Regime, entsteht, wenn fundamentalistische Ideologen „eine Verbindung mit anderen spezifisch faschistischen Ideologemen eingegangen sind, vor allem mit Antisemitismus und Antikommunismus, Nationalismus und Rassismus“ (S. 13f.).

Mit Hilfe dieser Dreiecksdefinition untersucht Wippermann in fünf Hauptkapiteln Parteien, Regime und Bewegungen in West- und Osteuropa, Amerika, Afrika sowie dem Fernen und Nahen Osten vom 19. Jahrhundert bis in die heutige Zeit. Er vergleicht ihre Charakteristika mit den in der Einleitung definierten Merkmalen der drei Varianten und schätzt so frühere oder noch existierende Parteien, Regime und Bewegungen als mehr oder weniger „faschistisch“ ein. Dabei nutzt Wippermann vornehmlich einen biografischen Ansatz für die einzelnen Untersuchungsgegenstände, da „alle drei Varianten des Faschismus ohne ‚Führer‘ nicht denkbar“ (S. 14) seien. Eine Schlussbetrachtung, ein Anmerkungsapparat, ein bibliographischer Essay, das Literaturverzeichnis und ein Personenregister komplementieren das Buch.

Wippermanns Versuch, die räumlichen und zeitlichen Limitierungen der bisherigen Faschismusforschung weiter aufzubrechen, gelingt in diesem Buch teilweise überzeugend, vermag sein Werk an einigen Stellen doch glaubhaft aufzuzeigen, dass der Faschismus mehr als ein ausschließlich europäisches Phänomen der Zwischenkriegszeit gewesen ist. Damit leistet Wippermann einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung des Faschismusverständnisses. Schwierig bleiben allerdings seine Vergleiche in ihrer Gesamtheit, da beim Lesen hin und wieder der Eindruck entsteht, dass trotz vorheriger Definition die Einheitlichkeit bei der Übertragung der Vergleichsmerkmale abhandenkommt. So werden verschiedene Bewegungen und Parteien als faschistisch eingeschätzt oder es werden Gemeinsamkeiten mit dem Faschismus festgestellt, indem nur ein oder zwei Aspekte der Definition im konkreten Fall nachgewiesen werden.2 Es kommt sogar vor, dass eine Einschätzung als „faschistisch“ ganz ohne Beleg vorgenommen wird.3 Diese analytischen Mankos scheinen dem ambitionierten Versuch geschuldet zu sein, innerhalb einer Monografie eine globale und Epochen übergreifende Untersuchung des Faschismus zu liefern.

Der Versuch Wippermanns birgt darüber hinaus zwei weitere Probleme. So werden einerseits außer Japan und verschiedenen Staaten des Nahen Osten keine weiteren Länder Asiens analysiert, in denen es faschistische Bewegungen gegeben hat bzw. noch geben soll. Statt dessen werden sie nur kurz in der Schlussbetrachtung erwähnt.4 Das fällt vor dem Hintergrund der ansonsten so global gehaltenen Untersuchung besonders auf, da ein Teil der Fallstudien Wippermanns durchaus zu dem Ergebnis kommt, dass die beschriebenen Regime oder Parteien nicht „faschistisch“ waren oder sind. Auch lassen Wippermanns Ausführungen Fragen zur Übertragbarkeit des im europäischen Kontext entstandenen Faschismus auf nicht-europäische Beispiele vermissen. Nur im Falle Japans weist er explizit darauf hin, dass die Begriffe und Methoden, die man im Rahmen der Faschismusforschung gebraucht, aus Europa stammen, weshalb er in diesem Fall ausdrücklich einen Vergleich der japanischen und der europäischen Gesellschaft durchführt. Fragen zur Übertragbarkeit von europäischen Faschismuskonzepten und Theorien müssen aber nicht nur im Falle Japans, sondern generell gestellt werden. Das schmälert keineswegs die Einschätzung, es beim Faschismus mit einem globalen Phänomen zu tun (gehabt) zu haben. Vielmehr hilft es, seine unterschiedlichen Ausprägungsformen in ihren regionalen Prägungen besser zu verstehen.5

Trotz dieser kritischen Anmerkungen liefert Wippermanns Studie insgesamt einen aufschlussreichen Einstieg in die Erforschung des Faschismus und insbesondere in dessen globale Verbreitung. Diese gut lesbare und informationsreiche Untersuchung kann insbesondere Lesern empfohlen werden, die an einer Überwindung eines rein eurozentrischen Blickes auf den Faschismus interessiert sind.

Anmerkungen:
1 Vgl. Stanley Payne, Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München u.a. 2001; Arnd Bauerkämper, Der Faschismus in Europa 1918-1945, Stuttgart 2006.
2 Vgl. etwa Wippermann, S. 31, 198, 258.
3 Vgl. etwa S. 155.
4 Im Zusammenhang mit Indien wirft Wippermanns Aussage über die „faschistische“ Partei des Inders Subhas Chandra Bose die Frage auf, ob er sich damit auf den Forward Bloc bezieht und wenn dem so ist, wie er diese Einschätzung der in der Literatur als „links“ beschriebenen Partei begründen würde. Zur Beurteilung Boses bzw. seiner faschistischen Tendenzen, die in der Forschung aufgrund seiner Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland und Japan kontrovers diskutiert werden, äußert sich Wippermann hingegen nicht. Zu Studien, die sich mit dem Faschismus in verschiedenen asiatischen Ländern beschäftigen vgl. für den südasiatischen Subkontinent u.a. Tobias Delfs, Hindu-Nationalismus und europäischer Faschismus: Vergleich, Transfer- und Beziehungsgeschichte (Bonner Asienstudien Bd. 6), Hamburg 2008; Markus Daechsel, Scienticism and its Discontents: The Indo-Muslim ‘Fascism‘ of Inayatullah Khan al-Mashriqi, in: Modern Intellectual History 3 (2006) 3, S. 443-472; Sumit Sarkar, The Fascism of the Sangh Parivar, in: The South Asian Citizen Web, URL: <www.sacw.net/DC/CommunalismCollection/ArticlesArchive/sSARKARonSANGHPARIVAR.html> (Einsicht: 11. März 2008); für China vgl. William Kirby, Images and realities of Chinese fascism, in: Stein Ugelvik Larsen (Hrsg.), Fascism outside Europe, The European impulse against domestic conditions in the diffusion of global Fascism, New York 2001, S. 233-268; einen Überblick für Asien bietet Stein Ugelvik Larsen, Was there Fascism outside Europe? Diffusion from Europe and domestic impulses, in: ders. (Hrsg.), Fascism outside Europe, 2001, S. 739-792.
5 Vgl. dazu die Ausführungen von Stein Larsen, Fascism, S. 717. Stein Larsen erkennt an, dass „fascism ‘came from Europe‘ since much of the thinking and many of the organizational and political forms were diffused from European models”, aber er weist auch darauf hin, dass die europäischen Modelle “were fused into movements and ideas that already existed, with their regional and local identities, but they never appeared as exact copies.”

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