Finanzverwaltung und Judenverfolgung

: Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Die Entziehung jüdischen Vermögens in Bayern während der NS-Zeit. München 2008 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-10773-3 XXXVIII, 266 S. € 32,00

: Der Fiskus als Verfolger. Die steuerliche Diskriminierung der Juden in Bayern 1933-1941/42. München 2008 : Oldenbourg Verlag, ISBN 978-3-486-58865-1 X, 362 S. € 54,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannah Ahlheim, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August Universität Göttingen

Seit den 1990er-Jahren sind die "Arisierung" jüdischen Vermögens im "Dritten Reich" und die Profiteure der nationalsozialistischen Enteignungspolitik vor allem im Rahmen von Lokal- und Regionalstudien Gegenstand der historischen Forschung geworden, und auch die Rolle einzelner Unternehmen wurde inzwischen untersucht. In den letzten Jahren haben nun erste Studien und Projekte die staatliche Enteignung der jüdischen Bevölkerung in den Blick genommen. Christiane Kuller und Axel Drecoll leisten hier einen wichtigen Beitrag, indem sie an einem regionalen Beispiel systematisch die Rolle der staatlichen Finanzverwaltung analysieren. Die Finanzverwaltung und mit ihr das Deutsche Reich waren, das arbeiten die beiden Studien klar heraus, der "größte Profiteur" der Enteignung der Juden (Kuller, S. 206; Drecoll, S. 320). Vom "Standpunkt des monetären Gewinns aus", das betont Drecoll (S. 123), führe die Untersuchung der fiskalischen Ausplünderung zum "Kern der wirtschaftlichen 'Ausschaltung'" der Juden im NS-Staat.

Die regionalen Gliederungen der Finanzverwaltung "erfassten, katalogisierten, entzogen und verwerteten die enteigneten Besitztümer, gleichgültig, ob deren Inhaber emigriert, deportiert oder noch im Reich zu Tode gekommen war" (Drecoll, S. 2). Dabei agierte die Finanzverwaltung jedoch "nicht als abgekapseltes System, sondern war mit dem gesellschaftlichen Umfeld vielfach verklammert" (Kuller, S. 206). Beide Autoren fragen daher nach den an der Verwaltung und "Verwertung" jüdischen Vermögens beteiligten Akteuren auf der lokalen und regionalen Ebene, nach be- und entstehenden regionalen Netzwerken und Konflikten, nach der "Verwaltungspraxis" vor Ort, nach den Handlungs- und Ermessensspielräumen der Finanzbeamten und nicht zuletzt nach den Grundlagen und Wirkungen (finanz)bürokratischer Strukturen und bürokratischen Handelns im Gesamtprozess der Verfolgung der Juden. Dass beide Studien dabei einen ähnlichen Ansatz verfolgen und zu ähnlichen Ergebnissen kommen, ist nicht verwunderlich: Beide sind im Rahmen eines Projekts an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsministerium für Finanzen entstanden und konzentrieren sich auf die Bayerische Finanzverwaltung, basieren teilweise auf denselben Quellenbeständen und haben ähnliche Fragestellungen. Dennoch liegen hier zwei Bücher vor, die sich durchaus unterscheiden und von denen jedes für sich lesenswert ist.

Axels Drecolls Dissertation verfolgt einen breiteren Ansatz, als es der Titel zunächst vermuten lässt. Zwar spielt die bayerische Finanzverwaltung eine zentrale Rolle, doch Drecoll bettet die Darstellung der steuerlichen Diskriminierung ein in das Gesamtszenario der Enteignung der Juden in Bayern. Er versteht seine Studie als "moderne Regionalgeschichte" (S. 6), die anhand der verschiedenen Akteure und der Verteilungskämpfe um das enteignete jüdische Vermögen zum einen das Wechselspiel regionaler und zentraler Machtstrukturen, zum anderen das Verhältnis ideologischer Setzungen und auf Funktionalität ausgerichteter Verwaltungsstrukturen analysiert.

Die Einziehung jüdischen Vermögens war, so Drecoll, ein wichtiges "regionalpolitisches Machtmittel" und damit "Teil eines komplexen, auch innerparteilich wirksamen Interaktionsgeflechts rivalisierender Regionalinteressen" (S. 43 f.). In vielen Bereichen waren die Entwicklung und die Radikalität der Enteignungen abhängig von der Person und der Position des jeweiligen Gauleiters und seiner Entourage. Vor allem für den Bereich der "Arisierung" von Geschäften und Betrieben kann Drecoll regionale Unterschiede zwischen Nürnberg, München und dem ländlichen Raum Unterfrankens aufzeigen: Während in Nürnberg, der Heimat des radikal antisemitischen Gauleiters Julius Streicher, zunächst vor allem die lokalen Parteiinstanzen die Enteignung vorantrieben, konnte Adolf Wagner in München als Gauleiter und bayerischer Innenminister verschiedene Interessen und Institutionen in einer "Arisierungsstelle" vereinen. In Unterfranken legte Gauleiter Hellmuth die "Arisierung" dagegen in die Hände seines Gauwirtschaftsberaters Vogel, unter dessen Ägide die Enteignungspraxis "einen erheblichen Professionalisierungs- und Systematisierungsschub" (S. 86) erlebte. Im Falle der "Arisierung", schlussfolgert Drecoll, bewegten sich die Finanzbeamten "in einer NS-typischen Grauzone, deren Grenzen durch den Willen der mächtigen Gauleiter der NSDAP auf der einen und gesetzlichen Vorgaben auf der anderen Seite bestimmt waren. In diesem Spannungsverhältnis kam der individuellen Initiative und der Entscheidung einzelner Beamter eine besondere Bedeutung zu" (S. 223).

Gleichzeitig war die Enteignung eingebunden in ein "fragiles System mühsam ausbalancierter Interessen" (S. 90, 317) von regionalen Instanzen und Zentralgewalt; schließlich ging es vor allem darum, jüdisches Vermögen auf "legalem" Weg in die Kassen des Reiches und seiner Verwaltung zu bringen. Für die Arbeit der Finanzbeamten habe dabei die "traditionelle institutionelle Prägung" (S. 124) als staatliche Verwaltungsinstitution eine entscheidende Rolle gespielt. Daher stelle sich die "fiskalische Umsetzung offensichtlicher Unrechtsmaßnahmen" wie etwa die Einziehung von Reichsfluchtsteuer oder Sonderabgaben - anders als im Falle der "Arisierung" - als ein "überregional weitgehend ähnlich verlaufender und zielbewusst durchgeführter Prozess" (S. 222) staatlicher Bürokratie dar.

Die Studie zeigt so die verschiedenen Facetten der fiskalischen Verfolgung in den einzelnen Regionen auf. Durch die etwas unklare Gliederung und den ausholenden Zuschnitt werden der Zusammenhang der einzelnen Kapitel und ihre Bedeutung für die Argumentation an einigen Stellen erst auf den zweiten Blick deutlich. Drecoll springt zwischen den Regionen und in der Chronologie, entwickelt immer wieder neue (dafür aber sehr differenzierte) Fragen. Die einprägsamen Einzelfälle im zweiten Teil seines Buches stehen ein wenig unverbunden neben dem ersten Teil über "Partei und Staat: Motive, Akteure, Methoden". An einigen Stellen bleibt die Argumentation unentschieden: So spricht Drecoll etwa die Devisenstelle der Finanzverwaltung in Nürnberg von dem Verdacht auf Antisemitismus mit dem Hinweis frei, die ermittelnden Beamten seien schließlich schon im Juni 1932 hart gegen einen jüdischen Hopfenhändler vorgegangen. Obgleich die drastischen Strafzumessungen dann nach 1933 "praktisch einer Vermögenskonfiskation" gleichgekommen seien und "ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Vermögensverhältnisse des Angeklagten verhängt" wurden, sei hier eine Orientierung an "sachlichen und rechtlichen Kriterien" offensichtlich (S. 178). Sein Fazit ist jedoch deutlich: Die "umfassende und 'effiziente' Überwachung, Sicherung und Entziehung jüdischen Vermögens" sei letztlich überhaupt nur möglich gewesen, "da die Finanzbehörden die Umsetzung ideologisch begründeter Zielsetzungen mit dem Streben nach professioneller 'Ressourcenmobibilisierung' für das Regime verbanden" (S. 4).

Dass einfache Finanzbeamte durch ihre Arbeit so letztlich zu "Handlangern" der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden, belegt auch Christiane Kuller eindrucksvoll (S. 210). Sie zeigt unter anderem anhand von Besprechungsprotokollen, auf welche Weise "das monströse Vorhaben von Deportation, vollständiger Ausplünderung und Ermordung tausender Menschen in den behördlichen Verwaltungsalltag eingefügt werden sollte" (S. 2). Nach einer stringenten und differenzierten Darstellung der verschiedenen gesetzlichen Grundlagen, der "Eskalationsstufen" der antijüdischen Finanzpolitik und der spezifischen Situation in den einzelnen Gauen legt Kuller dabei einen Schwerpunkt auf die "Aktion 3": Unter diesem Decknamen wurde vom November 1941 an hauptsächlich auf der Grundlage der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz das Vermögen der deportierten und ermordeten Juden "verwaltet und verwertet". Die Finanzbeamten sichteten, sicherten, verwalteten und verkauften nicht nur Konten und Depots, sie "entwesten" die verlassenen Wohnungen, kümmerten sich um Wäsche, Möbel, Teppiche und zurückgelassene Kunstgegenstände.

Die Stärke von Kullers Buch liegt in der genauen Analyse der Strukturen und der Durchführung der "Aktion 3" vor Ort. Auch sie stellt das Handeln der Beamten vor Ort sowie deren Einbindung in politische und gesellschaftliche Machtgefüge in den Mittelpunkt und misst "der Verwaltungspraxis eine hohe Bedeutung bei der Umsetzung normativer Vorgaben" bei (S. 4). Sie kann so die Beteiligung verschiedener Akteure und Akteursgruppen nachverfolgen und Handlungsspielräume aufzeigen. Kuller belegt, auf welchen Wegen die Finanzverwaltung selbst von den Enteignungen profitierte. Die Beamten rangelten um Gegenstände für die Aussteuer ihrer Tochter, um Teppiche, Wäsche und ganze Schlafzimmer. Je nach den lokalen Machtverhältnissen geriet die Finanzverwaltung dabei in Konflikt mit anderen Institutionen, zum Beispiel den Parteigliederungen, der Gestapo oder den lokalen Verwaltungen. Eindrucksvoll sind auch die Beispiele zur "Vermittlungstätigkeit" der Finanzämter und ihrer Zusammenarbeit mit Teilen der Bevölkerung, die sich offen um den Kauf von "Judenmöbeln" bemühte (S. 70, 84). Nicht zuletzt wird deutlich, dass die Finanzbeamten den "evakuierten" Juden in vielen Fällen "hinterhersahen" (S. 160): Sie waren auch über das Ziel der Transporte informiert und recherchierten beispielsweise, ob deportierte Rentenempfänger wohl noch am Leben waren – und die monatlichen Zahlungen damit weiter konfisziert werden und die in Kassen des Reiches fließen konnten.

Gerade die Entwicklung der "Aktion 3" zeigte aber auch "die Grenzen der Regelbarkeit solch monströser Verbrechen wie der Deportation und Ermordung der deutschen Juden" (S. 14). Letztlich wurden Entscheidungen doch von den einzelnen beteiligten Personen getroffen. So trage die Untersuchung der Rolle der Finanzverwaltung auch zum Verständnis der Funktionsweisen des NS-Staates bei: Es zeige sich, dass die "Deutungsachse der lange vorherrschenden Doppelstaatsthese" Ernst Fraenkels aufgebrochen werden müsse. Die Arbeit der Behörde habe, so versucht Kuller Fraenkels Kategorien vom "Normen-" und "Maßnahmenstaat" zu modifizieren, eben gerade "auf einer inneren Radikalisierung im normenstaatlichen Verwaltungshandeln beruht" (S. 7). In ähnlicher Weise setzt sich auch Drecoll mit Fraenkels These auseinander. Er weist wie Kuller darauf hin, dass die "analytische Trennung" von "Normen" und "Maßnahmen" dazu verleite, deren "komplexes Mischverhältnis ebenso zu übersehen wie die neue Definition von Norm, die aus ihrer Verbindung entstand" (S. 186).

So kann die Erforschung der Rolle der Finanzverwaltung auch dabei helfen, Mechanismen einer Gesellschaft und eines Staates zu verstehen, in denen sich Ideologie und die Orientierung an Funktionalität auf furchtbare Weise ergänzten. Lange galten Finanzbeamte, die ja teilweise auch nach 1945 für das Vermögen der ermordeten und emigrierten Juden zuständig und in die Restitutions- und Rückerstattungsprozesse eingebunden waren, als bloße "Verwalter" jenseits von Politik und Ideologie. Die Studien von Christiane Kuller und Axel Drecoll zeigen einmal mehr, wie diskriminierend, erschreckend effizient und vernichtend eine solche "bloße" Verwaltung sein kann.

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