Ph. Harding: The Story of Athens

Cover
Titel
The Story of Athens. The Fragments of the Local Chronicles of Attika


Autor(en)
Harding, Philip
Erschienen
London 2008: Routledge
Anzahl Seiten
XVI, 253 S.
Preis
£ 19,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

In der Regel fasst man heute unter den Atthidographen eine Gruppe von Autoren zusammen, die athenische „Lokalgeschichte“ geschrieben haben und lässt diese Entwicklung von der Atthis des Hellanikos von Lesbos um 407/6 v.Chr. bis zu Philochoros zu Beginn des 3. Jahrhunderts v.Chr. reichen. Die zum Teil sehr umfangreichen Werke sind allerdings vollständig verloren gegangen und nur noch in Zitaten und Paraphrasen späterer Autoren überliefert. Charakteristisch für diese Werke ist die annalistische Form mit Jahresabschnitten und vorangestellten Archontennamen. Felix Jacoby hatte die Werke der Atthidographen aufgrund ihres chronistischen Charakters, dem seiner Ansicht nach die narrativen und konzeptionellen Elemente fehlen, als eine mindere, keinesfalls mit der klassischen Historiographie gleichzusetzende Form bewertet.

Darin ist noch eine Zweiteilung zu erkennen, die auf der einen Seite die „local history“ sieht – und so werden die Atthidographen auch heute noch klassifiziert – und auf der anderen Seite die Gattung der historiai als Universalgeschichte (koinai historiai) und „the history of the Greek people“. Zu dieser Gruppe wird auch Herodot gerechnet. Mit dem Ansatz der local history arbeitet Harding in seinem neuesten Werk zu den Atthidographen (hardcover 2007, paperback 2008) nicht mehr. Er zieht die Beschreibung als ‚Chronik‘ vor. Die Grundsatzfrage, was eine historiographische Darstellungsweise ausmacht, ist bereits in der Antike diskutiert worden und die damals festgelegte Unterscheidung zwischen narrativer und annalistischer Darstellungsweise sowie die daraus entwickelte Abwertung der Atthidographen hat sich lange gehalten (Dion. Hal. 1,8,3).

Die derzeit zu beobachtende Neubewertung, etwa auch im Rahmen der Fortsetzung des Werks von Felix Jacoby1, lässt sich in eine generelle Tendenz einordnen, die Formen der historiographischen Darstellungsweise anders und weniger hierarchisch zu klassifizieren, vor allem die Atthidographie als eine durchaus eigenständige Form anzuerkennen. Diese Tendenz ist auch bei Harding zu beobachten und so setzt er hier in gewisser Weise seine früheren Einzelstudien zu den Atthidographen fort. Er knüpft vor allem an die 2001 in einer Neuauflage (1. Auflage 1994) bei der OUP erschienene Monografie „Androtion and the Atthis“ an, eine neue Edition der Fragmente in Übersetzung mit ausführlichem Kommentar.

Harding ist einer der besten heutigen Kenner der Atthidographen und zeigt dies in dem vorliegenden Werk in eindrücklicher Weise. Er stellt die Fragmente nicht, wie in den Ausgaben von Jacoby oder der älteren Ausgabe von Müller nach Autoren zusammen, sondern nach chronologisch geordneten Themengebieten: 1. Erechthiden-Dynastie: Kekrops bis Kranaos, 2. Areopag bis Aigeus, 3. Theseus, der archetypische Athener, 4. Vom Trojanischen Krieg bis zum Ende der Königszeit, 5. Kreon bis Xanthippos: 683/2–479/8, 6. Pentekontaetia bis Peloponnesischer Krieg: 478/7–404/3, 7. Vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis zum Frieden des Philokrates: 404/3–346/5, 8. Vom Frieden des Philokrates bis zum Archontat des Philippos: 346/5–292/1, es folgen Appendices zu Einzelfragen.

Den Themenabschnitten sind jeweils die einschlägigen Fragmente der einzelnen Atthidographen zugeordnet, wobei Harding Doppelungen bzw. ähnlich lautende Fragmente nur nennt. Der Text basiert im wesentlich auf Jacobys Ausgabe der Fragmente der Griechischen Historiker, jedoch korrigiert und verbessert Harding im Einzelnen. Innerhalb der Themenabschnitte folgt jeweils ein Kommentar zu den inhaltlich zusammengehörenden Fragmentgruppen, in dem auf offene oder strittige Punkte hingewiesen wird und auch knappe Literaturangaben vermerkt sind. Für die mythischen und kultischen Themen der Frühzeit ist der Kommentar ausführlicher als für die historisch gut überlieferten Epochen der attischen Geschichte, da diese ‚more factual‘ seien (S. 11).

In der ausführlichen Einleitung nimmt er zu den wichtigsten Punkten Stellung und legt etwa auch die von Jacoby so vehement vertretene These von der politischen Orientierung der Atthidographen ad acta. Spezialfragen werden teilweise in den Themenabschnitten behandelt, andere hingegen nicht angesprochen – zum Beispiel beschränkt sich Harding auf die wichtigsten der 856 Autoren, die Jacobys Werk umfasst. Fragen, die insbesondere Werkzusammenhänge der einzelnen Autoren betreffen, werden ganz ausgeklammert oder durch kurze Literaturhinweise angedeutet.

Durch diese Gliederung und Präsentation der Fragmente gelingt es Harding, eine Vorstellung von der durch den fragmentarischen Zustand völlig verloren gegangenen narrativen Struktur der Atthiden zu evozieren. Er betont, dass es ihm dabei darum geht, die Ähnlichkeiten, Differenzen und auch das zugrunde liegende, gemeinsame Material sichtbar zu machen, das heißt die Atthidographen lesbar zu machen – genau dies entgeht dem Leser in der herkömmlichen Präsentation nach Einzelautor, wie sie auch für die Fortsetzung der Fragmente der Griechischen Historiker in FGrHist Continued und Brills New Jacoby gewählt wurde. Insofern sollte dieses Buch nicht nur für diejenigen, die sich mit den Atthidographen beschäftigen, ein unverzichtbarer Begleiter werden, sondern vor allem auch für diejenigen, die sich mit attischer Geschichte befassen, um diese andere Art der Historiographie besser würdigen zu können.

Anmerkung:
1 Die Fragmente der Griechischen Historiker I-III, 1923–1958; FGrHist Continued IV-V; vgl. G. Schepens, "Jacoby's FGrHist. Problems, Methods, Prospects," in: Jacoby's FGrHist. Problems, Methods, Prospects, 144ff.

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