W. Bialas, M. Gangl (Hgg.): Intellektuelle im Nationalsozialismus

Titel
Intellektuelle im Nationalsozialismus.


Herausgeber
Bialas, Wolfgang; Gangl, Manfred
Reihe
Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik 4
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
363 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Geschichtswissenschaften

Zwischen Titel und Schriftenreihe scheint ein Widerspruch zu bestehen, darum sei zunächst auf die Titel der ersten Bände dieser informativen und anspruchsvollen Reihe verwiesen: Bd.1, hrsg. von Wolfgang Bialas und Georg G. Iggers 1996: Intellektuelle in der Weimarer Republik; Bd.2, hrsg. von Wolfgang Bialas und Gèrard Raulet 1996: Die Historismusdebatte in der Weimarer Republik; Bd.3, hrsg. von Manfred Gangl und Gèrard Raulet 1998: Jenseits instrumenteller Vernunft. Kritische Studien zur Dialektik der Aufklärung. In ihnen allen geht es um eine geschichtliche Rekonstruktion von weltanschaulichen und wissenschaftlichen Intellektuellendiskursen und -schicksalen in der Weimarer Republik.

Die Beiträge des Bandes 4 nun setzen sich mit dem paradoxen Phänomen der intellektuellen Faszinationskraft des Nationalsozialismus auseinander. Sie fragen danach, warum sich viele Intellektuelle "sehenden Auges" und nicht etwa blind, unter Druck, verführt oder betört mit dem Nationalsozialismus eingelassen haben. Das impliziert zugleich die Frage nach der vom Nationalsozialismus ausgehenden intellektuellen Beunruhigung bzw. nach dessen Anschlußfähigkeit an die Diskurse der Weimarer Republik. Neben dem moralisch und intellektuell diskreditierenden Engagement namhafter Intellektueller, die es hätten besser wissen sollen, für den Nationalsozialismus, womöglich um die "Gunst der Stunde" zu nutzen oder den politischen Umschwung "auf intellektuellem Niveau" zu halten, werden dabei vor allem die Affinitäten von Philosophie, Staatsrecht, Anthropologie, Katholizismus, Geschichte und Literatur zu den nationalsozialistischen Ideen betrachtet.

Dieses Konzept wird in den einzelnen Beiträgen mehr oder weniger detailliert am Beispiel einzelner Intellektueller wie an exemplarischen Intellektuellendiskursen umgesetzt. Manfred Gangl, Dirk van Laak und Reinhard Mehring beschäftigen sich mit Carl Schmitt als Widergänger Weimars, mit seiner politischen Theorie sowie seiner "Vergangenheits-bewältigung" nach 1945. Kai Haucke und Dieter Thomä nehmen sich Martin Heideggers Denken und philosophische Krise Ende der 20er Jahre vor. Gerwin Klinger analysiert die Konzepte von Zucht und Leistung in Arnold Gehlens Anthropologie und Ulrike Baureithel beschreibt Denkfiguren im Werk Arnolt Bronnens am Beispiel eines zu Recht vergessenen Romans "Erinnerung an eine Liebe".

Dem nationalsozialistischen Engagement dieser Intellektuellen werden in diesem Band Hannah Arendt, Thomas Mann und Robert Musil gegenübergestellt als diejenigen, die sich intellektuell verweigert und Widerstand geleistet haben: Dieter Thomä widmet sich Hannah Arendts Konzept von Verantwortung und Friedrich Balke zeigt Punkte problematischer Solidarität zwischen Hannah Arendt und Carl Schmitt auf. Evelyn Cobley liest Thomas Manns Auseinandersetzung mit dem Faschismus im "Doktor Faustus" auch als eine postmoderne Lektüre und Ulrike Zeuch stellt das Dilemma von Robert Musils Konzept der Handlungsarmut als ethischer Position des Intellektuellen dar.

Neben diesen, exemplarischen Intellektuellen gewidmeten Artikeln stehen Beiträge, die disziplinäre Fachdiskurse analysieren. Wolfgang Bialas zeichnet die komplexe Beziehungsgeschichte der Gruppe von "philosophischen Nationalsozialisten" zum Nationalsozialismus vor allem am Beispiel Arnold Gehlens nach. Gèrard Raulet verfolgt die Krise des Liberalismus und die Wende zum antiparlamentarischen Denken in der 2.Hälfte der 20er Jahre an Diagnosen Gustav Stresemanns und Carl Schmitts. Richard Faber offenbart die Nähe von Faschismus, Katholizismus und Totalitarismus unter dem Spruch Mussolinis: "Die Kirche ist der Staat von gestern, der Staat die Kirche von morgen." Und Ursula Wolf weist nach, daß die Universitätshistoriker zumindest mit einem Bein im Lager der Nationalsozialisten standen und deckt die Berührungspunkte der Historikerdiskurse mit der nationalsozialistischen Ideologie auf.

Freilich kann der Sammelband nicht die ganze Bandbreite des Verhaltens von Intellektuellen gegenüber dem Nationalsozialismus abdecken und natürlich sind die Beiträge von unterschiedlichem Niveau. Gleichwohl ist sein Anliegen bemerkenswert und in solcher Komplexität bisher wohl einmalig. Denn es geht ihm nicht um das äußere Verhältnis der Intellektuellen zum und die politische Verwicklung in den Nationalsozialismus, sondern um die innertheoretische Affinität ihrer Fachdiskurse zu den nationalsozialistischen Ideen. Denn zahlreiche Intellektuelle integrierten den politischen Einschnitt von 1933 ohne innertheoretischen Bruch und arbeiteten weiter, als wäre nichts geschehen. Der Schwerpunkt des Bandes liegt somit im kritischen Nachvollzug der Entscheidung von Intellektuellen für den Nationalsozialismus. Vor allem Nähe und Berührungspunkte werden herausgearbeitet, Unterschiede und Probleme nicht verschwiegen. "Es geht nicht um die Entlastung 'zu Unrecht' Belasteter, deren Werk gegen ihre Biographie und damit zugleich auch gegen die Zeit und die Profanisierung 'geistiger Tiefe' zum Zeitgeist gesetzt werden soll. Es geht um den inneren, und das heißt konstitutiven Zusammenhang von gesellschaftlicher Realität und ihrer Uminterpretation und Einpassung in einen für zeitlos gültig befundenen theoretischen Diskurs. Es geht um intellektuelle Umkodierungen ebenso wie um zeitgeschichtliche Klartexte, um Selbstermunterung wie um Selbsttäuschung, um niedrige Motive wie um höhere Werte." (S.12)

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