D. A. Gerber u. a. (Hrsg.): American Immigration and Ethnicity

Titel
American Immigration and Ethnicity. A Reader


Herausgeber
Gerber, David A.; Kraut, Alan M.
Erschienen
New York 2005: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
306 S.
Preis
€ 44,79
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Melanie Henne, Philosophische Fakultät, Universität Erfurt

Mit dem vorliegenden Reader zur Geschichte von Immigration und Ethnizität in den USA zielen die Herausgeber David A. Gerber und Alan M. Kraut darauf, sowohl einen Beitrag zu aktuellen Migrationsdebatten in den USA zu leisten als auch ein Lehrbuch für Geschichtsseminare im Bachelor zu liefern. Den Mehrwert eines weiteren Readers zur Migrationsgeschichte sowie den Aufbau ihres Werks begründen sie dabei mit ihrer politischen Agenda. Gerber und Kraut konstatieren in ihrer Einleitung die Bedeutung des Themas Immigration sowohl in der Vergangenheit als auch in aktuellen Diskussionen für das nationale Selbstverständnis der USA. Dabei vertreten sie die Überzeugung, dass ein Vergleich zwischen den so genannten „New Immigrants,“ die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert vornehmlich aus Süd- und Osteuropa in die USA immigrierten, und den zeitgenössischen Migrationsströmungen im ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhundert wichtige Erkenntnisse zum Verständnis gegenwärtiger Migration liefern kann. Laut den Autoren erklärte das die Migrationsforschung bisher dominierende Assimilationsmodell die europäische Migration besonders gut und zeigte, wie die in zeitgenössischen Diskursen negativ und als Gefahr für die US-amerikanische Nation stigmatisierten süd- und osteuropäischen Immigrant/inn/en zu einem integralen Bestandteil US-amerikanischer Gesellschaft wurden. Von einem Vergleich mit diesen Migrationsgruppen und ihrer sich wandelnden Bewertung in Bezug auf ihre Assimilationsfähigkeit erhoffen sich die Autoren positive Impulse für die Bewertung gegenwärtiger Migrantionsgruppen, die momentan noch als Bedrohung für ein amerikanisches Selbstverständnis gelten und deren Integrationsfähigkeit in Frage gestellt wird. In diesem Kontext scheinen die Autoren Assimilation zum Teil als unhinterfragte Norm bei der Bewertung von Migrationsprozessen zu reproduzieren, auch wenn transnationale Ansätze in dem Sammelband ebenfalls Beachtung finden.

Der Sammelband gliedert sich in vierzehn Sektionen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Migrationsgeschichte beschäftigen. Dabei stellt die große Bandbreite an Themen gleichzeitig eine der Stärken des Readers dar. Diese erstreckt sich von der Beschäftigung mit Nativismus, ethnischen Identifikationsprozessen und Rassialisierungen über transnationale Netzwerke, erfundene Traditionen und Generationskonflikte bis hin zu Fragen nach Sprache, Familienstrukturen, dem Arbeitsalltag von Immigrant/inn/en, Gesundheit sowie Populärkultur. Die Sektionen setzen sich zumeist aus verschiedenen Materialien zusammen. Wissenschaftliche Sekundärliteratur wird ergänzt durch unterschiedliches Quellenmaterial, darunter Zeitungsartikel, autobiografische Beiträge, Karikaturen oder beispielsweise zeitgenössische wissenschaftliche Studien. Dabei beinhalten die Sektionen immer Beiträge zur Migrationsgeschichte des 19. Jahrhunderts sowie zu aktuellen Migrationsanalysen, um den angestrebten Vergleich zu ermöglichen. Dabei wird oftmals Sekundärliteratur unterschiedlichem Quellenmaterial gegenüber gestellt, was einen Vergleich aufgrund der Diversität der Materialien zu erschweren scheint. Zudem handelt es sich bei den Sekundärliteraturbeiträgen leider oft nur um Auszüge, bei denen zudem komplett auf einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat mit Quellenbelegen verzichtet wurde. Dies stellt gerade im Lehrkontext durchaus ein Defizit dar, wird so doch der wissenschaftliche Arbeitsprozess verschleiert. Darüber hinaus ist jede Sektion mit einer Einleitung versehen, die das Thema umreißt, die einzelnen Beiträge kontextualisiert sowie ergänzende Literaturhinweise liefert. Diese Einleitungen erweisen sich auf der inhaltlichen Ebene als sehr hilfreich, eine methodisch-theoretische Ausrichtung wird jedoch vermisst, und auch ein stärkerer Fokus auf historische Fragestellungen würde eine sinnvolle Ergänzung darstellen.

Im Folgenden sollen nun einige der Beiträge näher in den Blick genommen werden. In der Sektion über transnationale Bindungen von Immigrant/inn/en sticht der Artikel von Johanna Lessinger, „Investing or Going Home? A Transnational Strategy among Indian Immigrants in the United States,“ positiv hervor. Lessinger untersucht das ökonomische Investitionsverhalten von „Non-Resident Indians“ (NRI) in indische Wirtschaftszweige unter der Fragestellung, was dies für deren Identifikationsprozesse bedeutet. Dabei berücksichtigt sich nicht nur die Perspektive von in die USA immigrierten Inder/inne/n, die in Indien als Investoren auftreten, sondern auch deren Rezeption durch nicht emigrierte Inder/inne/n in Indien selbst. Diese vielschichtige Perspektive ermöglicht es Lessinger aufzuzeigen, wie die Investitionsgeschäfte einerseits für NRIs eine andauernde und vielschichtige Bindung an ihr Herkunftsland ermöglichten, die die Identifikation als Inder/innen unterstützte und eine dauerhafte Rückkehr nach Indien nicht ausschloss. Gleichzeitig veranschaulicht Lessinger, wie einige der NRIs zum Teil simultan in zwei Kulturen lebten und ihre duale Zugehörigkeit besonders betonten. Viele nicht emigrierte Inder/innen betonten jedoch in Bezug auf die NRIs eine Differenzkonstruktion und markierten NRIs als Fremde mit anderen kulturellen Gewohnheiten, die daher nicht mehr als Teil der indischen Gesellschaft akzeptiert werden konnten.

Der Artikel von Kathleen Neils Conzen et al., „The Invention of Ethnicity: A Perspective from the USA“ kann mittlerweile als einer der Klassiker der US-amerikanischen Migrationsgeschichtsschreibung betrachtet werden und stellt daher einen wichtigen Beitrag für einen Reader zu Immigration und Ethnizität dar. 1 Conzen et al. vertreten die These, dass ethnische Gruppenzugehörigkeiten Effekte eines andauernden Konstruktionsprozesses waren und dass das Konzept der Ethnizität demnach eine soziokulturelle Erfindung darstellte. Anhand von drei Beispielgruppen arbeiten sie heraus, wie Traditionen aus dem Herkunftsland im Zuge des Migrationsprozesses transformiert wurden sowie ethnische Symbole und Traditionen in Identifikationsprozessen aktiv neu konstruiert wurden. Dieser Artikel stellt einen wichtigen Meilenstein in der Migrationsforschung dar, erteilte er doch Vorstellungen von einer linearen Assimilierung und damit Amerikanisierung von Immigrant/inn/en eine Absage. Stattdessen betont er Gleichzeitigkeiten in Identifikationsprozessen und markiert darüber hinaus Ethnizität als historisches Konstrukt, was eine Kritik an essentialisierenden Ansätzen in Bezug auf die Analyse einzelner Migrant/inn/engruppen darstellt.

Zwei Kapitel thematisieren Prozesse der Rassialisierung und zeigen auf, wie bestimmte Immigrant/inn/engruppen „weiß“ beziehungsweise „schwarz“ gemacht wurden. Der Beitrag von David Roediger, der gerade im Bereich der „Whiteness Studies“ zahlreiche einschlägige Arbeiten zu Immigrant/inn/en in den USA publiziert hat, fokussiert auf irische Arbeiter in der Antebellum-Ära. Er zeigt, wie diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Mitglieder der „Celtic Race“ gedacht waren, die nicht per se als weiß galt, wodurch Ir/inn/en in einer „rassischen“ Hierarchisierung eine engere Verbindung zu African Americans als zu weißen Anglo-Amerikaner/inne/n attestiert wurde. Im Folgenden zeigt Roediger überzeugend auf, wie irische Immigrant/inn/en nicht zuletzt dadurch „weiß“ gemacht wurden, dass sie sich von African Americans distanzierten, sie in der Konkurrenz um Arbeitsplätze auszuschalten versuchten und insbesondere für die Sklaverei eintraten. Sie waren bestrebt, sich laut Roediger in Vorstellungen einer weißen Vormachtstellung einzuschreiben und für sich selbst den Status eines weißen Arbeiters zu beanspruchen, der auch mit politischen Partizipationsmöglichkeiten verknüpft war.

In der Sektion zu „Becoming Black“ untersucht der Beitrag des Soziologen Milton Vickerman, „Crosscurrent: West Indian Immigrants and Race“, Rassialisierungsprozesse von jamaikanischen Immigrant/inn/en anhand von zahlreichen Interviews. Dabei stellt er die unterschiedlichsten Verhaltensmöglichkeiten vor, mit denen sich jamaikanische Immigrant/inn/en zu Konzeptionen von „Race“ in den USA positionierten, die sich von gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen aus ihrem Herkunftsland unterschieden. Handlungsoptionen reichten laut Vickerman von öffentlichen Protestaktionen bis hin zur Verleugnung von Rassialisierung. Insbesondere die Beziehungen von jamaikanischen Immigrant/inn/en zu African Americans geraten dabei in den Blick, da sie mit komplexen Identifikationsprozessen der jamaikanischen Immigrant/inn/en in Zusammenhang gebracht werden. Diese positionieren sich laut Vickerman in einem Spannungsfeld aus Abgrenzung von und Identifikation mit African Americans und deren rassistischen Diskriminierungserfahrungen. Vickerman folgert in diesem Kontext, dass für viele jamaikanische Immigrant/inn/en die Identifikation als „Black“ gegenüber der als „West Indians“ überwiegt.

Wer sich von dem Reader einen guten Überblick über die aktuelle US-amerikanische Migrationsforschung erhofft, wird sicher enttäuscht werden. Viele der Sekundärliteraturbeiträge entstammen der älteren Migrationsforschung der 1980er-Jahre und spiegeln demnach nicht gerade den „State of the Art“ wieder. Für die wissenschaftliche Forschung ist der Sammelband zudem aufgrund der nur eingeschränkten theoretischen Reflektion über verschiedene Ansätze innerhalb der Migrationsforschung sowie daraus resultierender unterschiedlicher Perspektiven, Fragestellungen und politischer Implikationen nicht immer ein Gewinn. Auch erscheint das Assimilationsmodell in weiten Teilen nur bedingt hinterfragt und damit weiter als Norm reproduziert zu werden.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen erweist sich der Reader gerade für die universitäre Lehre sicher in mehrerlei Hinsicht als nützliche Ergänzung: Insbesondere die große Themenbandbreite öffnet in inspirierender Weise den Blick für verschiedene Aspekte der Migrationsgeschichte. Auch das vielfältige Quellenmaterial mag eine große Bereicherung für die Gestaltung historischer Seminare zur Migrationsforschung darstellen.

Anmerkung:
1 Eine hervorragende machtanalytische Kritik des Artikels liefert Richard W. Rees, Shades of Difference: A History of Ethnicity in America. New York 2007.

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