K. Chatterjee u.a. (Hrsg.): Europe Observed

Titel
Europe Observed. Multiple Gazes in Early Modern Encounters


Herausgeber
Chatterjee, Kumkum; Hawes, Clement
Erschienen
Lewisburg, PA 2008: Bucknell University Press
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Kambiz Djalali, Hannover

Nach der Publikation des von Hans-Jürgen Lüsebrink herausgegebenen Sammelbandes Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt1 erschien ein Buch über vielfältige Blicke von außereuropäischen Beobachtern auf Europa in frühmodernen Begegnungssituationen. Hierbei geht es in erster Linie darum, Materialien zu einer künftigen Geschichtsschreibung zu verzeichnen und in ihrer Tendenz zu beschreiben.

Die Autoren/innen des Sammelbandes zeigen aus transnationaler Perspektive auf, dass Europa und die Europäer in frühmoderner Zeit differenzierter zu betrachten sind als bisher angenommen. In diesem Kontext haben es sich die Herausgeberin und der Herausgeber in der Einleitung zum Ziel gesetzt, ihre Analysen in einer Zeit beginnen zu lassen, in der die europäische Dominanz in der Welt noch nicht so stark wie zuzeiten des Hochimperialismus ausgeprägt war. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Kulturraumstudien des Buches auf räumlichen Verankerungen basieren, die in überzeugender Weise den Terminus Europa als eine Konstruktion ansehen. Folgerichtig hinterfragt das Kulturraumkonzept des Buches eine essentialisierende Tendenz des Europakonzepts kritisch, die in Anlehnung an Michel Espagne auch auf komparatistischen Problemstellungen basiert.2 Darüber hinaus bringt das Buch nicht bloß eine oder mehrere Stimmen in die Diskussion ein, sondern verändert auch die Begriffe der Debatte und kann dazu beitragen, Mentalitäten, Werte und Symbolsysteme eben nicht als „Wesenseinheiten“ zu betrachten und tendenziell zu (stereo)typisieren.

Zur historischen Einbettung der Analysen führen die Autor/innen aus, dass der Band den relativ weit gefassten frühmodernen Zeitabschnitt behandelt, der nicht nur von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum späten achtzehnten Jahrhundert reicht, sondern auch Ausblicke ins neunzehnte Jahrhundert gibt. Als Quellengrundlage dient ihnen in erster Linie die Reiseliteratur jener Zeit, die von außereuropäischen Beobachtern Europas verfasst worden ist. Dieser vollzogene Perspektivwechsel, der sich auch einer kulturwissenschaftlichen Xenologie verpflichtet weiß, distanziert sich nicht nur von eurozentristischen Sichtweisen, sondern kann auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Blick auf Europa zu vervollständigen und zu erweitern.

Wie bereits der Titel des Bandes andeutet, werden in der sehr interessanten Einleitung explizit auf der Seite 23 die Begriffe „,observes’ and the ,observed’“ als zwei sinnvolle Kategorien der Betrachtung kulturhistorischer Phänomene erläutert. In diesem Sinne beschäftigt sich Sanjay Subrahmanyam mit der Fremdwahrnehmung von Europäern in Indien, Irene Silverblatt zeigt auf, wie südamerikanische Ureinwohner Spanier sahen, Suzanne Preston Blier legt dar, was afrikanische Kunst dem Betrachter über die Bedeutung europäischer Gegenstände in Westafrika mitteilen kann. Während Michael Fisher von Indianern in England berichtet, befasst sich Ronnie Po-Chia Hsia mit Erfahrungen chinesischer Reisender in Italien und Frankreich. Nancy Shoemaker setzt sich mit nordamerikanischen Indianern in London und Paris auseinander, Nabil Matar sieht durch die Augen arabischer Spanienbesucher und Hans-Jürgen Lüsebrink beschäftigt sich mit amerikanischen und haitianischen Intellektuellen, die die europäische Politik im Zeitalter der Revolution und Aufklärung studierten. Schließlich erläutert Vincent Carretta Gustavas Vassas und Olaudah Equianos Beschreibungen von Europäern.

Im Buch ist darüber hinaus die Rede von Arcadio Huang, einem Fujianischen Christen, der ein Tagebuch geführt hat, in dem er ausführlich von seinen Gerichtsverfahren und Triumphen in gesellschaftlichen Kreisen des Pariser Kleinbürgertums zu Anfang des 18. Jahrhunderts berichtet. In den 1690er-Jahren kommt gar der marrokanische Botschafter Spaniens, Muhammad bin abd al-wahab al-Ghassani al-Andalusi, zu Wort, der, wie es sein Name andeutet, Spanier und Orte in Bezug auf die Ausweisung der Mauren nach der reconquista betrachtete. Seine Beobachtungen zeigen auf, wie Spanier in eine Position gelangten, um für andere Europa zu repräsentieren, und was ein Araber mit seinen Aussagen über Europa und die Europäer gemeint hat. Auf der Grundlage selten berücksichtiger Quellen interpretiert Michael Fisher das Leben von Maryam, einer armenischen Christin und Ehefrau von Wiliam Hawkins. Der Detailreichtum in den vielfältigen Beiträgen veranschaulicht, wie differenziert und dynamisch die Begegnungssituationen zu betrachten sind.

Hinsichtlich der Problemfelder des Kulturtransfers, der Prozesse der interkulturellen Übertragung und Vermittlung kultureller Artefakte und insbesondere der Rezeptionsprozesse, die in dem Buch unterschiedliche Formen der interkulturellen Aneignung (appropration) umfassen, zeigt Silverblatt, wie Eingeborene dazu kamen, ihre Gesellschaften durch ethnographische Kategorien von Spaniern zu begreifen. Shoemaker führt dem Leser vor Augen, wie die aus Europa stammende Vorstellung des bon sauvage Ureinwohner Südamerikas formte. Lüsebrink behandelt den politischen Komplex von Annahme und Zurückweisung von Lateinamerikanern und Haitianern, die europäische Ideen der Aufklärung und Revolution gegen die Europäer einsetzten. Und Blier zeigt, wie Embleme auf Ginflaschen Teil der Inszenierung von Politik und Religion in Afrika werden konnten.

Überdies regt das wichtige Material des Buches zu Reflexionen über den Begriff des historischen Wandels und über kulturelle Verflechtungssituationen auf Teilen des Globus an. Hierbei könnte man sich etwa fragen, welche Rolle Kulturtransferprozesse in der Dynamik interkultureller Aneignungsformen spielten, an denen Europäer zu jener Zeit beteiligt waren. Unangebracht wäre es allerdings, wenn man erwartete, dass ein Sammelband, der im Jahre 2004 nach einem Symposium der Universität von Pennsylvania entstanden ist, die Literatur zum Thema ausführlich behandelte. Vielmehr gelingt es Chatterjee und Hawes insbesondere auf der Seite 23 des Buches, Problemfelder abzustecken und Forschungswege aufzuzeigen, die bei Analysen von „practices of adaptation, appropriation, grafting – and, the broadest sense, cultural translation“ als Orientierung dienen können.

Bezüglich der Validität eines theoretischen Ansatzes führen Chatterjee und Hawes auf der Seite 13 folgendes aus: „The insights of the best scholarship sometimes seem to be eclipsed by those who continue to conflate such abstract identities as ,Oriental’ and ,Western’ with equally sweeping and polarized terms such as ,modernity’ and (implicitly pre-modern and religious) ,tradition.’ On this front as well, a paradigm shift is long overdue.“ Des Weiteren wird explizit auf den Seiten 23 und 24 an Edward Saids Orientalismus-Entwurf berechtigte Kritik geübt: „His groundbreaking Orientalism (1978) assumes the ,West’ to be monolithic”. Diese Kritik, die eine Projektion imaginärer westlicher Traumbilder auf den so genannten Orient anspricht, ist Teil einer Reihe von interdisziplinär angelegten Forschungsinteressen, die schwerpunktmäßig die Komplexität von Begegnungssituationen sowie die Bedeutung von politischen Organisationsformen wissenschaftlich analysieren möchten. Der vorliegende Sammelband lässt zwar den pazifischen Raum unberücksichtigt, zeigt aber dennoch anhand von Beispielen aus dem atlantischen Raum auf, dass zahlreiche Studien, die sich mit Kulturräumen befassen, in denen Europäer Handel getrieben und Herrschaft ausgeübt haben, die komplexe Dynamik von Begegnungssituationen, die Bedeutsamkeit des Wissens der Eingeborenen sowie die Bedeutung von politischen Organisationsformen und kulturellen Aneignungsformen herausarbeiten müssten. Problemstellungen entstünden, wenn es darum ginge, geeignete Quellen ausfindig zu machen und aus ihnen herauszulesen, wie diese im geschichtswissenschaftlichen Sinne interpretiert werden könnten. Zu fragen wäre hierbei nach dem Stellenwert, den unterschiedliche Stimmen und Blickwinkel hätten, die durch vorhandene Quellen Forschern zugänglich wären. Verfolgte man darüber hinaus das Ziel, Forschungen zu betreiben, die , wie Chatterjee und Hawes auf der Seite 5 darlegen, „meticulously contextuel“ wären und „an interaction between two internally differentiated societies rather than two monoliths“ dokumentierten, so müssten weitere Studien aufzeigen, inwieweit Vorstellungen, die in diesen Quellen zum Ausdruck kämen, auf andere Akteure oder auf weiter verbreitete Gesellschaftsformationen zurückzuführen seien. Sowohl zu diesen Problemfeldern, als auch zu anderen vermag es die vorliegende Publikation, außerordentlich wichtige Impulse zu geben.

Anmerkungen:
1 Hans-Jürgen Lüsebrink (Hrsg.), Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, Göttingen 2006.
2 Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, Paris 1999.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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