W. Beik: A Social and Cultural History of Early Modern France

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Titel
A Social and Cultural History of Early Modern France.


Autor(en)
Beik, William
Erschienen
Anzahl Seiten
401 S.
Preis
£ 16,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Braun, Historisches Seminar, Universität Bonn

Die angelsächsische Forschung befasste sich in den letzten drei Jahrzehnten intensiv mit der Sozial- und Kulturgeschichte Frankreichs in der Frühen Neuzeit. Dennoch sind Gesamtdarstellungen in englischer Sprache selten. Diese Lücke wird nun durch William Beik geschlossen, der nicht zuletzt durch seine Studien zu städtischen Protesten in Frankreich im 17. Jahrhundert internationales Renommee erlangte. Der Begriff „Kultur“ wird in Beiks jüngstem Buch im anthropologischen Sinne definiert und umfasst Verhaltensmuster, Weltvorstellungen und rituelle Praktiken („customary behaviour, belief systems, and ritual practices“, S. xiv). Formen der „Hoch-“ oder „Elitenkultur“ wie bildende Kunst, Literatur und Philosophie werden entweder nur gestreift oder ausgeschlossen.

Die Kenntnis der politischen Geschichte Frankreichs setzt der Verfasser voraus. Zur Orientierung ist der Darstellung ein fünfseitiger Überblick über die allgemeine und die politische Geschichte angehängt. Aspekte der Wirtschaftsgeschichte werden nur insofern thematisiert, als sie mit der vom Verfasser vertretenen Konzeption von Gesellschafts- und anthropologisch ausgerichteter Kulturgeschichte in unmittelbarem Zusammenhang stehen.

Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Alterität der Frühen Neuzeit. Beik unterstreicht die spezifischen Aspekte, durch die sich die frühneuzeitliche Welt von der heutigen unterscheidet, und versucht bewusst, die Frühe Neuzeit als Epoche sui generis und nicht als Weg zur Moderne zu beschreiben. Daraus ergibt sich hinsichtlich der Chronologie eine leichte Verschiebung der Grenzen der Frühen Neuzeit in das Spätmittelalter hinein und eine Straffung der Ausführungen zum 18. Jahrhundert. Beik beginnt seine Darstellung mit der Zeit um 1400, während die Endphase des Ancien Régime seit 1700 nur ganz knapp abgehandelt wird. Im Zentrum stehen das 16. und das 17. Jahrhundert als Kristallisationskern der besonderen, nicht zuletzt von einer vorherrschenden Adelskultur geprägten frühneuzeitlichen Gesellschaftsform, die nach Beik die Zeit zwischen 1400 und 1789 umfasste („the center of gravity of this distinctive society which spans the years from 1400 to 1789“, S. xv). Die Darstellung steht also unter der unzweideutig vorweggeschickten Prämisse, dass das Spezifikum der frühneuzeitlichen Gesellschaft und Kultur ihre exotische Fremdheit, nicht ihre Verbindung zur Moderne war.

Das Buch ist in zwölf thematische Kapitel unterteilt. In den ersten beiden Kapiteln behandelt es den ländlichen Raum, Landwirtschaft und dörfliche Lebenswelten sowie Herrschaftsformen. Die folgenden sechs Kapitel befassen sich mit dem Adel, Gesellschaft und Kultur der Städte, Monarchie und Amtsadel, Kirche und Religion, Kriegswesen und Armee sowie sozialen Bindungen und sozialem Protest. Die Kapitel 9 und 10 sind den „traditionellen“ Mentalitäten und Identitäten sowie der Erziehung und der Herausbildung neuer Identitäten („emerging identities“, S. 289) gewidmet, zu denen Beik namentlich den Jansenismus mit seinen herrschafts- und gesellschaftskritischen Implikationen zählt. Kapitel 11 und 12 beschäftigen sich mit der höfischen Gesellschaft bzw. mit der „letzten Blüte“ („last bloom“, S. 342) der Aristokratie und den progressiven Kräften („forces of change“, ebd.) im Kontext der Industriellen und sich ankündigenden politischen Revolution.

Konkret und prägnant werden Lebensumstände und Lebensweise der französischen Bevölkerung des Ancien Régime geschildert. Von der spartanischen Einrichtung der Bauernstuben um 1600 bis zum Hof der französischen Könige werden Gesellschaft und Kultur in ihren verschiedenen Facetten dadurch sehr anschaulich dargestellt.

Beik verdeutlicht seine Darstellung durch prägnant ausgewählte Quellenzitate, gibt jedoch nur ausnahmsweise weiterführende Quelleneditionen an. Das Buch ist durch 40 Karten, Abbildungen (s/w) und Tabellen reich illustriert und bietet dadurch gerade dem Studierenden und dem interessierten Laien einen guten und verständlichen ersten visuellen Eindruck von wichtigen Quellengattungen.

Zu den großen Verdiensten des Buches gehört es, die Heterogenität, Vielschichtigkeit und zum Teil auch Widersprüchlichkeit zu verdeutlichen, welche die kulturelle Entwicklung der Regionen und Bevölkerungsgruppen prägte, die durch das Band der französischen Monarchie zusammengehalten und erst sehr allmählich und nicht vollständig in Richtung auf eine zentralisierte Einheit umgeformt wurden. Eine französische Identität („concept of Frenchness“, S. 8) musste sich über die Jahrhunderte ausbilden – ihr entsprach zu Beginn der Frühen Neuzeit keine klar abgegrenzte kulturelle und sprachliche Realität.

Das Buch korrigiert bisweilen überholte Forschungspositionen wie die These fehlender elterlicher Emotionalität gegenüber ihren Kindern (Philippe Ariès) oder zur unterschätzten Rolle der Frauen in der städtischen Arbeitswelt und deutet ferner gewisse Forschungsdebatten wie die von Wirtschaftshistorikern kontrovers diskutierte (und von Beik verneinte) Frage nach möglichen Parallelitäten in der Entwicklung der französischen und der englischen Landwirtschaft im 18. Jahrhundert an. Es bietet jedoch keinen fundierten Einblick in die Forschungsdiskussion. Der Verfasser strebt bewusst eine kohärente Darstellung („consistent view“, S. xv) an und überlässt es ausdrücklich seinem Leser selbst, alternative Ansätze und Interpretationen bei der Lektüre der angegebenen weiterführenden Literatur zu entdecken.

Beik führt ausschließlich englische Titel und einige wichtigere (treffend ausgewählte) französische Werke an. Dies mag den Lesegewohnheiten vieler angelsächsischer Studierender und den Präferenzen des Verlages entsprechen – zumindest die Tatsache, dass auch in anderen Sprachen eine Forschung zum Thema existiert und wahrgenommen zu werden verdient, hätte gleichwohl erwähnt werden können. Norbert Elias wird mit seinem „Prozess der Zivilisation“ zumindest in englischer Übersetzung genannt – die sich um Elias’ Werke rankende intensive deutschsprachige Forschung wird dagegen völlig ausgeblendet. Habermas’ Name wird im Zusammenhang mit dem „rise of the public sphere“ (S. 351) erwähnt, allerdings ohne Literaturangabe. Auch wenn Beik auf das Konzept der Sozialdisziplinierung rekurriert, werden die nicht-englischen Forschungsbeiträge ignoriert, sodass gewissermaßen als ‚Erfinder’ des „social disciplining“ (S. 255) Ronald Po-Tsia erscheint.

Hinsichtlich des Kulturverständnisses ist anzumerken, dass Beik sich zwar vom dichotomischen Konzept einer von der „Elitenkultur“ strikt getrennten „Volkskultur“, wie es in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem von dem französischen Historiker Robert Muchembled vertreten wurde, distanziert. Die Kritik an diesem Konzept beschränkt sich aber auf seine Relativierung durch das Konstatieren einer Reihe von Gemeinsamkeiten und Parallelen im Weltbild und in den Wertvorstellungen der Eliten und namentlich des Adels auf der einen und des gemeinen Volks, insbesondere der breiten Mehrheit der Landbewohner („the vast rural majority“, S. 256), auf der anderen Seite. Zwar werden mit Peter Burke/Michel Foucault und Norbert Elias alternative (ebenfalls ältere) Interpretationen des Verhältnisses von „Volks-“ und „Elitenkultur“ in der Frühneuzeit vorgestellt, aber trotz der von Beik geforderten, gegenüber diesen drei Modellen differenzierteren, Analyse dürfte sich der Leser vor allem in den kulturgeschichtlichen Kapiteln 9 und 10 stellenweise in die in den 1970er- und 1980er-Jahren geführten Diskussionen zurückversetzt fühlen. „Volkskultur“ wird als Summe traditioneller Vorstellungen und Verhaltensformen und das „Volk“ weitgehend als Gegenstand obrigkeitlicher sozialer Kontrolle und von den Eliten ausgehender Akkulturation verstanden. Allein in den Werken Rabelais’ und La Fontaines deutet Beik beiläufig in wenigen Zeilen Elemente volkstümlicher Provenienz an. Immerhin folgt er ausdrücklich nicht der zugespitzten These hermetisch voneinander getrennter Kulturen. Eine veritable neue kulturgeschichtliche Perspektive vermag der Verfasser hier jedoch nicht zu eröffnen.

Ferner sind in einer vier Jahrhunderte umspannenden Überblicksdarstellung gelegentliche kleinere sachliche Ungenauigkeiten fast unvermeidlich. Es wäre zu wünschen, dass in einer eventuellen Neuauflage die Bemerkung, Karl V. habe das Heilige Römische Reich geerbt („inherited“, S. 367), korrigiert würde.

Zusammenfassend betrachtet handelt es sich um eine konzise, eingängig geschriebene und illustrativ ansprechende Überblicksdarstellung, die jedoch durch die inhaltlichen und formalen Beschränkungen, die sich der Verfasser selbst auferlegt und im Vorwort auch klar offenlegt, weder den Forschenden und Lehrenden noch den deutschen Studierenden ganz zufriedenstellen dürfte. Dennoch vermag das Buch innerhalb des dort abgegrenzten Rahmens zu überzeugen und bietet unter Berücksichtigung dieser Prämissen in der Tat eine kohärente, faktenreiche, differenziert argumentierende und ausgewogene Darstellung von Gesellschaft und Kultur Frankreichs in der Frühen Neuzeit.

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