K. Gietinger: Der Konterrevolutionär

Cover
Titel
Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere


Autor(en)
Gietinger, Klaus
Anzahl Seiten
539 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Becker, Goethe-Universität Frankfurt am Main

In diesem Jahr häufen sich erneut die geschichtspolitischen Jubiläen: 20 Jahre Mauerfall, 50 Jahre Godesberger Programm der Sozialdemokratie, 60 Jahre Grundgesetz und Gründung des DGB, 70 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkriege oder 90 Jahre Weimarer Verfassung. Im Vordergrund stehen große Zäsuren oder identitätsstiftende Anlässe. Dazu gehört die Verfassung für den ersten demokratischen Staat auf deutschem Boden. Der Vorläufer des Grundgesetzes, so eine gängige These, war den zerstörerischen Angriffen antidemokratischer Kräfte, dem linken und rechten Totalitarismus, ausgesetzt. Weder Sozialdemokraten oder konservativ-liberale Vernunftrepublikaner noch die eher ungefestigten politischen Institutionen hatten dem viel entgegen zu setzen.1 Wichtige Ursachenfaktoren ihres Scheiterns ließen sich bereits in der Frühphase der Weimarer Republik, im Kontext der ausgebremsten deutschen Novemberrevolution von 1918, finden: „Gegner“, so stellte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier jüngst anlässlich der Gedenkveranstaltung zu 90 Jahren Weimarer Nationalversammlung im Deutschen Nationaltheater fest, „hatte die Weimarer Republik aber nicht nur von rechts, sondern auch von links: Es war vor allem der bewaffnete Aufstand der Kommunisten im Januar 1919, der die frei gewählten Abgeordneten zwang, Berlin zu verlassen und in Weimar Zuflucht zu suchen. Und es gehört zu den großen Belastungen der Weimarer Republik, dass die Regierung diesen Aufstand der Republikfeinde von links mit den Republikfeinden von rechts bekämpfte, auch den Freikorps.“2

Dieser Mehrheitsdeutung der tragischen Nachnovember-Ereignisse vermag der Frankfurter Publizist, Drehbuchautor und Filmemacher Klaus Gietinger nur in Teilen zu folgen. Sein Fokus gilt dem zerstörerischen Wirken von Reichswehr (Freikorps), Teilen der Bürokratie und der Wirtschaft. Bereits in der 1993 erschienenen Studie „Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung der Rosa L“ (eine Neuauflage erschien 2009) deutete er an, dass ein konterrevolutionäres Bündnis, bestehend aus SPD- und Reichswehr-Führung, eine mögliche sozialistische Transformation des abgewirtschafteten Kaiserreiches mit allen Mitteln zu verhindern trachtete. Diese These radikalisiert Gietinger nun in „Der Konterrevolutionär. Waldemar Papst eine deutsche Karriere“. Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs Ermordung durch deutsche Freikorps gehe maßgeblich auf Hauptmann Waldemar Papst, den Initiator und Koordinator, sowie auf Reichswehrminister Gustav Noske zurück, der die politische Verantwortung getragen habe. Diese Tat wird als wichtiger Bestandteil in Pabsts Karriere beschrieben, die ihn als Offizier, Politnetzwerker, Faschist, Rüstungsfabrikant, Wehrwirtschaftsführer und später als Waffenlobbyist in die Bundesrepublik führte.

Gietinger zufolge diente der Berliner Januar-Aufstand, dem gezielte Provokationen, etwa in Form von antisemitischen Hasstiraden gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im SPD-Parteiorgan „Vorwärts“ vorausgegangen waren, der Linken als Zäsur. Denn mit den Berliner Kämpfen „kehrte die Gewalt in die innenpolitischen Auseinandersetzungen Deutschlands ein, mit ihnen begann der deutsche Bürgerkrieg“, so Wolfram Wette, dessen wegweisende Noske-Biografie von Gietinger eher instrumentell herangezogen wurde.3 Die darauf folgenden Kämpfe im Ruhrgebiet, die blutige Niederschlagung der Münchner Räterepublik, selbst der siegreiche Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920 begünstigten in Gietingers Auslegung den Vormarsch der faschistischen Konterrevolution. Deren Siegeszug war nur möglich, argumentiert Gietingers wissenschaftliche Autoritätsfigur, Karl Heins Roth, in seinem Vorwort zum Buch, „weil es zwischen dem völkisch-nationalistischen Flügel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und den Berufsoffizieren des kaiserlichen Heeres gemeinsame mentale Strukturen und Verhaltensweisen gab: einen bedingungslosen Führungs- und Gehorsamsanspruch gegenüber der Masse der Arbeiter und Soldaten; einen ausgeprägten Antisemitismus; ein entschiedenes Eintreten für die Überwindung des Klassenkonflikts und den Aufbau einer ‚Volksgemeinschaft’, die Ablehnung aller Ansätze einer internationalen Verständigung und zu nicht-militärischen Konfliktlösungen; und ihr kompromissloses Vorgehen gegen Oppositionelle und Dissidenten“ (S. 11).

Diese Thesen bilden den Argumentationsrahmen von Gietingers Biographie ab. Sie stehen in der Tradition einer anarchosyndikalistischen oder linkskommunistischen Minderheitenposition, die sowohl vom Parteikommunismus als auch von der Sozialdemokratie bekämpft wurde.4 Anhand akribischer Recherchen zeigt Gietinger, dass Gustav Noske Waldemar Pabst, der zu diesem Zeitpunkt die kaisertreue Garde Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) kontrollierte, freie Hand ließ, und dass die beiden ‚Patrioten’ in vielen Fragen, so beim berüchtigten „Pabst-Noske-Schießbefehl“ im März 1919, übereinstimmten, um „Ruhe und Ordnung“ herzustellen.5 Gietinger nennt das den „Hass der völkischen SPD auf die revolutionären Massen“ (S. 58). Friedrich Ebert, seit 1914 zentraler „Vermittler“ zwischen Reichleitung und Sozialdemokratie, gehöre zu den Hauptakteuren der Konterrevolution. Als „Kaiserersatz eingesetzt“, habe er „die demokratischen (mehrheitlich von MSPD-Mitgliedern besetzten!) Räte unter Anwendung von rigoroser Gewalt“ mit den „absehbaren Folgen: Terror, Bürgerkrieg, Blutbad“ (S. 71) aufgelöst. Solchen Deutungen wird indes in neueren Publikationen mit dem Hinweis auf die „reale Bolschewistenfurcht der Mehrheitssozialdemokratie“, dem befürchteten „Bürgerkrieg nach russischem Muster“ (so der SPD-Abgeordnete Hermann Molkenbuhr) entschieden widersprochen.6

In Gietingers Sichtweise erweist sich Pabst als zentrale Figur des sich formierenden „faschistischen Blocks“. Am 24. Dezember 1880 in Berlin geboren und hochbetagt am 29. Mai 1970 in Düsseldorf verstorben, gehörte er zu den schillerndsten deutschen Konterrevolutionären des 20. Jahrhunderts. Stets aus dem Hintergrund agierend, verstand es der geschickte, gleichwohl farblose Organisator, die Fäden für unterschiedliche Auftraggeber zu ziehen. Geprägt durch den preußischen Militarismus, dessen Sekundärtugenden er verinnerlicht hatte, stellte Pabst sein Leben in den Dienst reaktionärer, faschistoider Mächte, ohne unbedingt begeisterter Anhänger einer bestimmten Sache um jeden Preis zu sein. So ging er etwa 1918, als die deutsche Niederlage absehbar war, auf Distanz zur Kaisermonarchie, ohne freilich die damals vorherrschenden Tugenden des Soldatentums (Disziplin, Ehre, Manneszucht) preiszugeben. Das von Gietinger unterstellte Bündnis Pabst-Noske zerfiel nach dem Kapp-Putsch, in den er ebenfalls involviert war. Pabst floh nach Österreich, wo er, etwa im italienisch-österreichischen Tirol-Konflikt, als Organisator der faschistoiden Heimwehr ein neues Betätigungsfeld fand. Als Vorbilder fungierten dabei Benito Mussolinis Schwarzhemden. Das bevorzugte Ziel, die Schaffung eines faschistischen Staatenbundes in Europa mit Österreich als Brückenfunktion zwischen Italien und Ungarn, vermochte Pabst im Zusammenspiel mit österreichischen und italienischen Gesinnungsgenossen nicht zu erreichen, wohl aber die Etablierung eines funktionierenden transnationalen Netzwerks der Faschisten.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1931 begann Pabsts Karriere in der Rüstungsindustrie. Den Ausgangspunkt bildete die Firma Rheinmetall, die er als Rüstungsmanager 1933 mit den faschistischen Machthabern ins Geschäft brachte und die ihm 1938, auch dank seiner ausgezeichneten Beziehungen zu Hermann Göring, die Funktion eines Wehrwirtschaftsführers mit militärischem Status einbrachte. Pabst stand auf derselben Stufe mit prominenten Industriemanagern wie Gustav Krupp, Friedrich Flick, Ferdinand Porsche oder Wilhelm Messerschmitt. Hervorzuheben ist, dass er 1931 Hitlers Angebot, als „Reichsbeauftragter des Parteiführers“ die organisatorische Effizienz der NSDAP zu stärken, ablehnte, weil seine Absicht, eine faschistische Internationale zu gründen, nicht mit den großdeutschen Plänen des „Führers“ übereinstimmten. 1934 mit dem sogenannten Röhm-Putsch in Verbindung gebracht und kurzzeitig inhaftiert, wurde er bald darauf vollständig rehabilitiert. Pabst verließ 1940 Rheinmetall-Borsig, um eine Tarnfirma für Rüstungsgeschäfte zu übernehmen. Vorwiegend von der Schweiz aus beschaffte seine Auslandshandel GmbH wichtige Rohstoffe und Maschinen für die deutsche Rüstungsindustrie. Offenbar rechnete Pabst nach Stalingrad mit einer Niederlage des NS-Staates, so dass seine Entscheidung, sich 1943 in die Schweiz abzusetzen und auf Distanz zum NS-Regime zu gehen, auf einem pragmatischen Realitätssinn basiert. Jedenfalls konnte er sich nach 1945 einer Auslieferung an die Alliierten entziehen. Dass er seit Ende der 1940er-Jahre nach Deutschland reisen und sich 1955 in Düsseldorf als „unbescholtener“ Bürger (und international tätiger Waffenhändler) niederlassen konnte, gehört zu der an traurigen Pointen nicht gerade armen Nachkriegsgeschichte der jungen Bundesrepublik mit ihrer NS-Kontinuität insbesondere in den staatlichen und wirtschaftlichen Apparaten. Pabst hatte, wie Gietinger beschreibt, Kontakte zur „rechten“ Szene und hoffte auf eine Renaissance der NPD. Mit einem „Spiegel“-Interview von 1962 unter dem Titel „Ich ließ Rosa Luxemburg richten“ löste er heftige Reaktionen aus, die im Buch gut aufbereitet sind. Darin versicherte er, dass er 1919 die Rückendeckung Noskes gehabt habe. Die Argumentationslinien von Autor und Täter gleichen sich bei dieser Frage an.

Summa summarum hat Klaus Gietinger mittels einer dichten Beschreibung und unter Auswertung einer Vielzahl von Archivalien einen intelligenten, pragmatischen, nicht völlig verblendeten faschistischen Technokraten und einen Handwerker des organisierten Tötens vorgestellt. Das voluminöse Buch, versehen mit 104 Seiten Anmerkungen, einem ansehnlichen Literatur- und Quellenverzeichnis sowie fünf faksimilierten Dokumenten, die um die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs kreisen, ist solide gegliedert und soll nach dem Dafürhalten des Autors eine klare Funktion erfüllen: Aufklären und Polemisieren. Der bisweilen unsachliche Ton mindert freilich den immensen Ertrag dieser Spurensuche in rechtsextremen und ultrakonservativen Milieus. Er erleichtert es möglichen Widersachern Gietingers, ihn des linksradikalen Denunziantentums zu zeihen. Die dem Hauptkapitel untergliederten Unterkapitel sind genauso kurz gehalten wie Gietingers Stilistik. Wie etwa Franz Müntefering, der sicher auf der anderen Seite der Barrikade kämpft, ist er ein Befürworter kurzer Sätze. Universitäre Fachhistoriker werden des Weiteren einwenden, dass das Buch keine theoretischen Maßstäbe, etwa hinsichtlich der biografischen Methode, setzt. Dem ist entgegenzuhalten, dass Gietingers politische Täterbiografie genug Diskussionsstoff bietet, um historische Mehrheitsdeutungen herauszufordern.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993.
2 Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Weimar vom 6. Februar 2009 <http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Reden/2009/090206-BM-Weimar.html> (24.07.2009).
3 Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biografie, Düsseldorf, 1987 S. 316f. Diese Arbeit untersucht wohltuend sachlich die diversen Sachverhalte und spricht dabei Noske und die SPD-Führung von der Verantwortung für die blutigen Ereignisse 1918-1920 keineswegs frei.
4 Vgl. dazu Karl Heinz Roth, Die „andere“ Arbeiterbewegung und die Entwicklung der kapitalistischen Repression von 1880 bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zum Neuverständnis der Klassengeschichte in Deutschland, 2. Aufl., München 1976; vgl. auch Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Ein Beitrag zur Sozial- und Ideengeschichte der frühen Weimarer Republik, Neuauflage Darmstadt 1993.
5 „Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Mit dieser „Lizenz zum Töten“ ausgestattet, gingen die Freikorps mit Billigung der Regierung gegen die Zivilbevölkerung, gegen Streikende wie Nichtstreikende, vor, vgl. Gietinger, Konterrevolutionär, S. 144 ff.
6 Vgl. hierzu Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, 2. Aufl., Bonn 2007, S. 161.

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