Titel
Öffentliche Sünder in der Kirche des späten Mittelalters. Verfahren, Sanktionen, Rituale


Autor(en)
Neumann, Friederike
Reihe
Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 28
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle Evangelische Kirchenordnungen, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Die mittelalterliche Amtskirche besaß gegenüber Verstößen von Laien gegen kirchlich definierte Verhaltensnormen Maßnahmen, die zwischen Bußsakrament und kirchlicher Strafgerichtsbarkeit angesiedelt waren. Diesen Bereich hat Friederike Neumann in ihrer Bielefelder Dissertation genauer beleuchtet. Methodisch geht sie so vor, dass sie sämtliche Akteure des Sanktionsverfahrens nach ihrer Rolle bei der Ermittlung und Bestrafung öffentlicher Sünder befragt. Untersuchungsraum ist das Bistum Konstanz, das für das 15. und frühe 16. Jahrhundert eine gute Quellenlage aufweist. Ein abschließender Vergleich mit den Verhältnissen in der Diözese Bamberg zeigt die Konstanzer Besonderheiten auf.

Friederike Neumann stellt ihrer Studie zunächst eine knappe Forschungsübersicht voran. Hier arbeitet sie die Defizite bisheriger Ansätze für ihre Fragestellung heraus. So hat die Kanonistik bislang versucht, Sanktionen gegen öffentliche Sünder entweder dem kirchlichen Bußwesen oder der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit zuzuordnen. Friederike Neumann vermutet die Sanktionierung öffentlicher Sünder hingegen „zwischen Buße und Strafe [...] an einem nicht ganz klar definierten Ort zwischen den beiden Bereichen“ (S. 20). Während die Bußgeschichtsschreibung überwiegend davon ausgeht, dass die öffentliche Buße für öffentliche Sünden im Spätmittelalter verschwunden sei, hat sich die Geschichtswissenschaft dem Thema aus dem Blickwinkel der Kommunikations- und Ritualforschung genähert und festgestellt, dass diese Institution auch über das Mittelalter hinaus bestehen blieb. Diesen Ansatz führt Friederike Neumann fort, wobei sie nicht nur die Buße, sondern auch die Sünde näher untersucht.

Gestützt auf Konzept- und Kopialbücher von 1420 bis in die 1580er-Jahre, ein bischöfliches Formelbuch des 15. Jahrhunderts sowie Absolutionsprotokolle für Kleriker und Laien aus den Jahren 1533 bis 1551 klärt Friederike Neumann zunächst den Begriff der „öffentlichen Sünde“. Hierunter sind sämtliche tätlichen (im Gegensatz zu gedanklichen) Sünden zu verstehen, die der Allgemeinheit bekannt wurden, die ein Gerücht oder ein öffentliches Ärgernis auslösten, wie es etwa bei Wucher, Ehebruch oder Totschlag der Fall war. Diese Vergehen wurden vom Pfarrklerus mit dem Ausschluss von den Sakramenten belegt, einem Druckmittel, den Sünder dazu zu bringen, sich einem Absolutions- und Reintegrationsverfahren zu unterziehen.

Als Instanz für dieses Verfahren stand zunächst allein der Konstanzer Bischof zur Verfügung, der sich seit dem späten 12. Jahrhundert die Behandlung bestimmter Fälle besonders schwerer Sünden vorbehielt. Zu diesen bischöflichen Reservatfällen zählten Totschlag, Inzest, Gewalt gegen Kleriker oder Eidbrüche. Neben dem Bischof bzw. seinem Generalvikar lässt sich im 15. Jahrhundert ein ganzes Netz von Instanzen erkennen, die im Bereich von öffentlicher Sünde und Buße tätig waren. Hier sind vor allem die Äbte und Pröpste von St. Trudpert, Denkendorf, Einsiedeln und Rheinau zu nennen, deren Interesse vor allem darauf gerichtet war, almosenspendende Gläubige anzuziehen. Diese Aktivitäten von Äbten und Pröpsten nahmen in den 1460er-Jahren zu. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verloren die Bischöfe immer mehr ihre Exklusivität bei der Absolution öffentlicher Sünder. Päpstliche Ablässe unterhöhlten die bischöflichen Reservatfälle ebenfalls, da hierdurch die Absolution der Sünder unabhängig vom Bischof möglich war. Obwohl sich also seit den 1460er-Jahren eine „dynamische Entwicklung der Ausweitung von Absolutionsgelegenheiten für öffentliche Sünder“ (S. 113) ausmachen lässt, hielten die Bischöfe nicht nur weiterhin an ihren Reservatfällen fest, sondern erteilten ihrerseits Absolutionsvollmachten für Pfarrer größerer Städte (z.B. Ulm) oder für Landdekane. Die Konstanzer Bischöfe schufen somit selbst ein engmaschigeres Netz an Absolutionsmöglichkeiten für öffentliche Sünder.

Die Reintegration des Sünders in die Sakramentsgemeinschaft war an bestimmte Bedingungen geknüpft. Neben dem Schuldeingeständnis des Sünders, der Beichte beim zuständigen Beichtvater und der Absolution durch den Bischof oder einen Bevollmächtigen war ein öffentliches Bußritual erforderlich, das jedoch (gegen entsprechende Gebühr) durch eine ‚emenda publica’ oder auch eine ‚emenda occulta’ ersetzt werden konnte. Große Bedeutung im Umgang mit öffentlichen Sündern kam den Pfarrgeistlichen zu. Sie schlossen die Betroffenen aus der Sakramentsgemeinde aus und gaben der Gemeinde den schließlich Absolvierten und Emendierten bekannt.

Der öffentlichen Buße wohnten rituelle Momente inne. So wurde die feierliche Büßereinführung in die Kathedralkirche am Gründonnerstag für zahlreiche Sünder gemeinsam abgehalten. Verschiedene Überlieferungen berichten von einer liturgischen Zeremonie, bei der die Büßer sich ausgestreckt auf die Erde legen mussten, bevor der Bischof die Absolutionsformel sprach, die Büßer mit Weihwasser besprengte, beweihräucherte, sie anschließend mit einem Stab berührte und zum Aufstehen aufforderte.

Die weltliche Gerichtsbarkeit griff im 15. Jahrhundert immer wieder in den Bereich der öffentlichen Kirchenbußen ein, wie Friederike Neumann an den Städten Konstanz, Zürich und Freiburg zeigt. In allen drei Kommunen bemühten sich die Magistrate darum, die soziale Kontrolle in Bereichen auszuüben, „die kirchlicherseits unter den Begriff der öffentlichen Sünde fielen“ (S. 137). Diese Entwicklung führt Friederike Neumann auf die Schwäche der kirchlichen Institutionen zurück. Dennoch dürfen weltliche Gerichtsbarkeit und kirchliche Maßnahmen gegen öffentliche Sünder im Bistum Konstanz nicht als konkurrierende Akteure aufgefasst werden. Die städtischen Anordnungen sind vielmehr als Unterstützung der kirchlichen zu verstehen, sie sollten diese keinesfalls verdrängen.

Der Vergleich mit den Verhältnissen im Bistum Bamberg, mit dem Friederike Neumann ihre Studie abrundet, zeigt, dass hier die institutionelle Zuständigkeit für öffentliche Sünder grundsätzlich anders zugeschnitten war. Während in Konstanz der Generalvikar die Oberaufsicht sowohl über das Bußwesen als auch über die Strafgerichtsbarkeit besaß, waren diese Kompetenzen in der Diözese Bamberg auf Generalvikar (Bußwesen) und Domdekan (Strafgerichtsbarkeit) verteilt. In der Diözese Bamberg hatten die Sanktionen gegen die öffentlichen Sünder, die ohne sakramentales, den Sünder reintegrierendes Moment stattfanden, einen deutlich strafenderen Charakter als im Bistum Konstanz. Auch das Verhältnis von weltlicher Gerichtsbarkeit und kirchlicher Behandlung öffentlicher Sünder war im Bistum Bamberg eher von Konkurrenz geprägt.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten zur kirchlichen Gerichtsbarkeit des Mittelalters erschienen, von denen hier nur jene von Wilfried Hartmann und Lotte Kéry genannt sein sollen.1 Die von Friederike Neumann vorgelegte Studie bereichert diese Forschungslinie. Sie kann überzeugend darlegen, dass auch „unterhalb“ der kirchlichen Gerichtsbarkeit von Seiten der Amtskirche Maßnahmen ergriffen wurden, Vergehen öffentlicher Sünder zu sanktionieren.

Anmerkung:
1 Wilfried Hartmann, Kirche und Kirchenrecht um 900. Die Bedeutung der spätkarolingischen Zeit für Tradition und Innovation im kirchlichen Recht, Hannover 2008; Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts, Köln 2006.

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