Cover
Titel
Authoritarian Backlash. Russian Resistance to Democratization in the Former Soviet Union


Autor(en)
Ambrosio, Thomas
Erschienen
Farnham 2009: Ashgate
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
£ 55.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jan Zofka, Research Academy Leipzig, Universität Leipzig

Wer sich für einen eventuellen politischen Konflikt zwischen konservativ-autoritären Kräften und demokratischen Bewegungen im post-sowjetischen Raum interessiert, kommt in dem Buch des Politikwissenschaftlers Thomas Ambrosio von der North Dakota State University nicht auf seine Kosten. Vielmehr beschäftigt sich die Monographie mit Strategien der russischen Regierung gegen „democracy promotion“ (S. 3) von außen. Zugrunde liegt die These, dass sich in den internationalen Beziehungen eine zunehmende Konfrontation zwischen „autoritären“ und „demokratischen“ Staaten beobachten lasse und dass sich in den „color revolutions“(S.8) in Georgien, Ukraine und der Kirgischen Republik eine „vierte Demokratisierungswelle“ manifestiere. Die zentrale Frage der Arbeit ist, welche Strategien die russische Regierung den angenommenen Demokratisierungstendenzen entgegensetzt. Die Russische Föderation ordnet der Verfasser den autoritären Staaten zu und konstatiert eine seit 1993 anhaltende Entwicklung weg von der Demokratie.

Ambrosio identifiziert fünf zentrale Strategien der russischen Außen- und Innenpolitik gegen eine befürchtete Demokratisierung von außen. Das Buch hangelt sich entlang dieser Strategien, die nacheinander in den zentralen Kapiteln abgearbeitet werden, abgerundet durch einen „Überblick über die politischen Trends in der ehemaligen Sowjetunion“ und einem Ausblick auf die „Zukunft der Demokratie und die Herausforderung des Autoritarismus“.

Mit dem Begriff „Insulate“(S. 45-68) bezeichnet der Autor Maßnahmen der russischen Regierung, die darauf abzielen, sich gegen ein Überschwappen der Demokratisierungswelle zu wappnen. Die „bunten Revolutionen“ breiten sich durch Netzwerke von Aktivisten und ihre Vorbildfunktion aus. Um gegenzusteuern behindert der Kreml die Arbeit von NGOs, die von auswärtigen Staaten unterstützt werden, delegitimiert die OSZE-Wahlbeobachtung durch den Aufbau einer GUS-basierten Wahlbeobachtung und schwächt pro-demokratische Aktivitäten durch die Mobilisierung regimefreundlicher Jugendverbände.

Unter „Redefine“(S. 69-103) versteht der Autor rhetorische Strategien der russischen Regierung gegen Vorwürfe demokratischer Regierungen mit dem Ziel diese in die Defensive zu bringen und die Demokratisierungspolitik zu schwächen. Hierbei bedient sich die russische Regierung des Schlagworts der „souveränen Demokratie“, das Kritik an Menschenrechtsverletzungen als illegitime Einmischung zu kodieren erlaubt. Mit dem „Diversity“-Konzept werden die autoritären Tendenzen in Russland relativiert, indem die Unterschiedlichkeit aller Demokratien betont wird. Weitere rhetorische Kniffe, mit denen der Kreml internationale Kritik an Demokratiedefiziten in Russland abwehrt, sind der „Neokolonialismus“- und „Imperialismus“-Vorwurf an den „Westen“ und das „tu-quoque“-Schema des Erhebens gleichartiger Gegenvorwürfe an die Adresse der kritisierenden Regierung.1 Am Beispiel der Auseinandersetzungen mit Estland beschreibt der Verfasser die „Umdefinierungsstrategien“ des Kremls, der der estnischen Regierung eine undemokratische Staatsbürgerschaftspolitik gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung und eine NS-freundliche Geschichtspolitik vorwirft.

„Bolster“(S. 105-130) benennt die Strategie autoritärer Staaten, sich der Demokratisierung durch das Stützen ihnen freundlich gesinnter Regime in der Region entgegenzustellen. Am Beispiel der russisch-weißrussischen Beziehungen beschreibt der Autor wie die russische Staatsführung der Schwächung des Lukaschenko-Regimes entgegenarbeitet. Die westliche Politik des Wechsels zwischen Integrationsangebot und Druck wird dadurch unterlaufen, dass die enge Partnerschaft mit der Russischen Föderation die Folgen der politischen und wirtschaftlichen Isolation abfedert.

Strategien der Unterminierung der demokratischen Entwicklung in den Ländern der „bunten Revolutionen“ fasst Ambrosio unter seinem Konzept „Subvert“ (S. 130-157) zusammen. In dem entsprechenden Kapitel werden die zunehmend feindliche Außenpolitik Russlands gegen Georgien und die Ukraine im Umfeld der „bunten Revolutionen“ beschrieben. Hierbei lockert der Autor seine These etwas, waren die georgisch-russischen Beziehungen doch bereits im Vorfeld des Sturzes von Schewardnadse unfreundlich und verbesserten sich im Anschluss an die „Rosenrevolution“ zunächst. Erst mit der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine nahm Moskau die Veränderungen als Bedrohung wahr. Die ergriffenen Maßnahmen reichten von Anhebung des Gaslieferpreises auf Weltmarktniveau und Handelsboykotten über die Ausweisung georgischer Staatsbürger bis hin zur Androhung militärischer Gewalt.

Um diese Maßnahmen zur Unterminierung der Demokratie in der Nachbarschaft zu flankieren, sucht Russland zusätzlich die Nähe zu anderen autoritären Staaten, was der Verfasser als Strategie des „Coordinate“ (S. 159-184) bezeichnet. Konkret beschreibt er hierbei die Zusammenarbeit mit China und zentralasiatischen Ländern in der Shanghai Cooperation Organization, deren Konzentration auf „Stabilität“ (S.165), „Vielfalt“ (S. 172) und den Kampf gegen „Terrorismus, Separatismus und Extremismus“ (S. 170) nach Meinung Ambrosios ihren antidemokratischen Charakter verdeutlicht.

Allerdings stehen in diesem Kapitel nicht etwa die Formen der Zusammenarbeit der autoritären Regime im Mittelpunkt, sondern dieselben rhetorischen Tricks wie in dem Kapitel zu „Redefine“. Auch hinter „Subvert“ verbergen sich bereits im Rhetorik-Kapitel beschriebene Kniffe der diplomatischen Kommunikation. Insgesamt erschöpft sich die Darstellung der angeblichen Strategien in einer Aneinanderreihung von Zitaten, Positionspapieren und diplomatischen Einzelaktionen. Es drängt sich die Frage auf, ob „der Kreml“ überhaupt eine „Strategie“ gegenüber Demokratisierungstendenzen verfolgt. Um eine solche nachzuweisen, erscheint es ratsam ihre Träger zu suchen und Entscheidungsprozesse nachzuzeichnen. Dafür wäre es nötig, die Akteure russischer Außenpolitik stärker zu differenzieren, die verschiedenen Fraktionen kenntlich zu machen und eventuell den Zusammenhang zwischen deren sozialen Interessen und einer strategischen Gegnerschaft zu einer Demokratisierung aufzuzeigen. Stattdessen setzt Ambrosio „den Kreml“ als kollektiven Akteur voraus, stellt handelnde Funktionsträger/innen als Zitatgeber zusammenhanglos nebeneinander.

Das Desinteresse für die Ausdifferenzierung von Akteuren rächt sich auch bei den Ausgangsthesen. Einige der Grundannahmen müssten mindestens diskutiert werden um einzuleuchten. Die aufgebaute Dichotomie im politischen Weltsystem zwischen autoritären und demokratischen Staaten ist fragwürdig. Die Frage ob die „bunten Revolutionen“ in Georgien, Ukraine und der Kirgisischen Republik tatsächlich einen Demokratisierungsprozess ausgelöst haben, ist noch nicht abschließend geklärt.2 Der Demokratiebegriff Ambrosios erschöpft sich in der Abhaltung von Wahlen und Ratings von „Freedom House“, die den Demokratisierungsgrad von Staaten auf einer Skala von 1 bis 7 darzustellen versuchen (Russland hat übrigens 4,4). Die ehemalige Sowjetunion wird dabei in drei Kategorien von Staaten eingeteilt: Autoritäre, hybride und baltische Staaten. 3 (S.28/29)

Das weist auf ein noch größeres Problem hin: Demokratie wird in der Studie unverhohlen mit dem „Westen“ verbunden, ein rückständiger Autoritarismus mit dem „Osten“. Jede Maßnahme „westlicher“ Staaten wird dabei zum Fortschritt von Demokratie und Menschenrechten, jede Maßnahme nicht-westlicher Staaten zu einer antidemokratischen Strategie. So beschreibt der Verfasser die Nato als Vorhut der Demokratie und eine Erweiterung des Militärbündnisses als Demokratisierungsschritt – völlig unabhängig von der ebenfalls erwähnten fehlenden Unterstützung durch die ukrainische Bevölkerung. (S.155-157) „Demokratie“ heißt also nicht etwa Mehrheitsentscheidung oder Partizipation, sondern das was „der Westen“ macht. Dadurch bestätigt sich die Hypothese von der zunehmenden Bedeutung der Konfliktlinie zwischen Demokratie und Autoritarismus selbst: wer zum Westen hält, ist Demokrat, wer dagegen ist, ist autoritär. Also bilden China, Russland, Iran und Venezuela auch eine “autoritäre Internationale” (S. 159), obwohl der Verfasser Venezuela – dem Freedom-House-Rating von 2008 folgend – eben nicht als autoritär einstuft. (S.3) Die pro-westliche Normativität der Darstellung kulminiert in einem Schlussplädoyer für eine expansive Politik von Nato und EU. Der Verfasser versteigt sich zu einer Art Kampfaufruf an „die Demokratien“: „The democratic world must recognize that its values are worth defending and advancing, and that the only way to achieve these goals is through common action.” (S. 215) Mit anderen Worten: Sollte es die Frontstellung zwischen Demokratien und autoritären Staaten doch noch nicht geben, wird sie hier zumindest gefordert.

Die Parteinahme für einen unhinterfragt angenommenen „democratic West“ (z.B. S. 178, 204, 212) lässt an der Haltbarkeit der Ergebnisse zweifeln. Die These, dass die Russische Föderation in einem zunehmend engen Verbund mit anderen autoritären Staaten strategisch gegen eine weltweite Demokratisierung vorgeht, bleibt im Rahmen dieser Darstellung wenig überzeugend.

Anmerkungen:
1 Ein pikantes Beispiel, das hier nicht erwähnt wird, verdeutlicht das Schema: Beim EU-Russland-Gipfel in Samara 2007 parierte Putin die Kritik von BRD-Kanzlerin Merkel an repressivem Vorgehen gegen oppositionelle Demonstrationen, indem er auf Razzien gegen Gipfelkritiker/innen im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm verwies. [http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=15965; 1.4.2009] Der Bundesgerichtshof gab später dem russischen Präsidenten recht und verurteilte die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die den G8-Gegner/innen ganz im Stile des Kremls Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen hatte, als rechtswidrig. [http://www.tagesschau.de/inland/bgh6.html, 1.4.2009]
2 Dazu z.B. Henry E. Hale, Democracy or autocracy on the march? The colored revolutions as normal dynamics of patronal presidentialism, in: Communist and Post-Communist Studies 39 (2006), S. 305-329.
3 Die baltischen Staaten haben natürlich eine 1,0!

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension