F. d’Almeida: High Society in the Third Reich

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Titel
High Society in the Third Reich.


Autor(en)
d’Almeida, Fabrice
Erschienen
Cambridge/Malden, MA 2008: Polity Press
Anzahl Seiten
350 S., 15 Abb.
Preis
16,99 £
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dolores Augustine, St. John’s University

Die Arbeiten französischer Historiker zur deutschen Geschichte werden in der anglophonen Welt kaum zur Kenntnis genommen, genießen aber – nicht zuletzt dank der Vermittlung durch das Berliner Centre Marc Bloch – immerhin etwas mehr Aufmerksamkeit in Deutschland. Die englische Übersetzung von Frabrice d’Almeidas sehr anregender Studie zur gehobenen Gesellschaft in der NS-Zeit trägt durchaus zur vertieften Kenntnis der französischen Deutschlandforschung bei.1 Dabei sucht man in dieser Studie – wie dies hätte vermutet werden können – vergeblich nach dem Einfluss Pierre Bourdieus. D’Almeida, der als Lektor an der Universität Paris X-Nanterre arbeitet, befasst sich nicht mit den „feinen Unterschieden“, sondern vielmehr mit dem „Bankett“, der mit der „Opfergabe“ des Massenmords verbunden war. Methoden und Fragestellungen aus der Kulturgeschichte und der historischen Anthropologie kommen bei dieser Untersuchung sehr gewinnbringend zur Anwendung. Gegen den Trend in der kulturgeschichtlich gefärbten NS-Forschung erklärt d’Almeida aber den Nationalsozialismus nicht in erster Linie als Ergebnis der Massenmobilisierung, sondern vielmehr der Beziehung zwischen Diktatur und Eliten. Nicht die sozialen Trennlinien stehen dabei im Vordergrund, sondern die soziale Kohäsion der Prominenz (übersetzt als „high society“ bzw. „socialites“), bei der sich das große Geld, der Adel und diverse Stars der Unterhaltungsbranche zusammenfanden.

Der Nationalsozialismus habe es auf subtile Weise verstanden, die Eitelkeit und den Opportunismus der Prominenz für eigene Zwecke zu mobilisieren. Viele der Beispiele, die in der Studie aufgezählt werden, sind zwar bekannt, aber im Kontext von d’Almeidas Analyse erhalten sie eine tiefere Bedeutung. Hitler wird hier als widersprüchliche Figur dargestellt, der gleichzeitig als kompromissloser Radikaler, als salonfähig und als sozial versiert galt. D’Almeida behauptet nun nicht, dass die Eliten Hitler an die Macht gebracht hätten, sehr wohl aber, dass Angehörige der hohen Gesellschaft ihm in kritischen Phasen – etwa in der Zeit seiner Gefangenschaft und danach – den Anschein des Respektablen verliehen. Seine Freunde und Gönner der ersten Stunde haben sich in ihrer Einschätzung, in Hitler eine probate „Investition“ in die eigene Zukunft zu sehen, nicht getäuscht. Nach der Machtergreifung konnten sie sich wie viele andere Prominenten auch in der Gunst Hitlers sonnen, die sich in kleinen wie großen Aufmerksamkeiten äußerte. Die Sucht nach Luxus und das Sehnen nach gesellschaftlichem Rang und Stellung gingen jedoch mit einer geradezu perversen Blindheit vor den Verbrechen des Regimes einher. Allzu stark war die Prominenz durch die Aufteilung der Beute des enteigneten jüdischen Eigentums abgelenkt, die vor allem der Oberschicht zu Gute kam.2 Wer wie Richard Strauss versuchte, sich bei der Verfolgung beruflicher bzw. gesellschaftlicher Ambitionen bestimmten Aspekten der nationalsozialistischen Politik zu entziehen, fiel in Ungnade und wurde nicht selten geradezu ausgeschaltet. Von der gehobenen Gesellschaft ausgehend habe sich die deutsche Gesellschaft Hitler derart untergeordnet, dass sie sich immer stärker einer Hofgesellschaft angeglichen habe. Hitler sei zu einem modernen „Sonnenkönig“ geworden. Dieses Urteil, von d’Almeida als verdammend gemeint, wirkt bei Nicht-Franzosen freilich eher etwas befremdlich.

Obwohl in traditionellen Sitten verwurzelt, wurde das gesellschaftliche Leben der NS-Zeit auf moderne, bürokratische Weise organisiert, und zwar durch Ämter und Personal, deren Bedeutung oft übersehen wird, so etwa die Reichskanzlei, Hitlers persönliche Adjutanten oder die Stäbe anderer NS-Prominenten. Man vergisst leicht, dass Heinrich Himmler seine NS-Karriere als Adjutant Hitlers begann. Keiner hatte einen so guten Überblick über Hitlers politische und militärische Entscheidungen wie die Angehörigen von Hitlers persönlichem Stab. In einem gewissen Sinn bildeten sie eine Art „Überministerium“. Die Treue dieser Diener wurde durch außerordentliche Privilegien – etwa eine „Lizenz zum Töten“ oder die Befreiung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Autobahnen – sowie durch Luxusobjekte wie schnelle Fahrzeuge erkauft.

In den oberen Schichten der NS-Gesellschaft grassierte geradezu eine Gier nach Luxus. Privilegien dieser Art widersprachen zwar der offiziellen Ideologie, aber die Bedeutung dieser gehobenen Kreise für das Regime überdeckte die diesbezüglichen Skrupel. Zudem konnten bei Autorennen und Pferdesport die Massen an den Vergnügen der Reichen, wenn auch nur als Zuschauer, teilnehmen. Der gehobenen Gesellschaft wurden jedoch Genüsse zuteil, von denen die Massen nur träumen konnten: elegante Kleider, Kunstwerke, Villen, Fernsehapparate, exotische Haustiere und vieles mehr. Der Verteilung von Geschenken, Wohnrechten usw. lag ein regelrechtes „system of reward and corruption“ (S. 130) zugrunde. Über die Herkunft angeeigneter jüdischer Villen und Gemälde werden die Begünstigten in aller Regel wenig nachgedacht haben.

Nach der Machtergreifung, so d’Almeida, habe sich in aristokratischen Kreisen insgesamt wenig verändert, während es zur gleichen Zeit in der bürgerlichen Gesellschaft zu tiefgreifenden Änderungen gekommen sei. In der Weimarer Zeit bildete der Adel den Kern der antidemokratisch-nationalen Gesellschaft, deren reaktionäre Haltung sie für den Nationalsozialismus empfänglich gemacht habe, zumal sie die Wiederherstellung von alten Hierarchien und der Bedeutung des Militärischen anstrebten. Mit dem Nationalsozialisten teilten sie auch den Glauben an der Bedeutung des Blutes. An ihrem gesellschaftlichen Leben änderte sich nach 1933 nur wenig. Ihr Lebensstil machte sie vielmehr zu idealen Vertretern des Deutschtums. Die Traditionen der gesellschaftlichen Etikette wurden von den Nationalsozialisten weitgehend übernommen und beispielsweise bei der Umwerbung ausländischer Regierungsvertreter und Diplomaten erfolgreich eingesetzt. Im Gegensatz dazu fand ein Niedergang der Salons, des Studentenlebens und der bürgerlichen Geselligkeit insgesamt statt. Diese These widerspricht freilich der von Alf Lüdtke vertretenen These, dass sich nach 1933 an der bürgerlichen Geselligkeit wenig geändert habe.3

Diese Trennungslinie zwischen adligem und bürgerlichem Gesellschaftsleben wird von d’Almeida leider nicht deutlich genug gezogen. Darin liegt ein deutliches Problem seines Ansatzes. Soziale Differenzierungen innerhalb der hohen Gesellschaftskreise interessieren ihn nur wenig, und er spricht sie auch nur eher beiläufig an: „The apparently heterogeneous character of this society makes us wonder about the possibility of harmony between old noble families like the Schaumburg-Lippes or the Stülpnagels and wealthy parvenus like Ribbentrop, vulgar men reputed to be drunkards like Robert Ley…” (S. 193). Die innere Dynamik der Kreise um Hitler bleibt auf diese Weise weitgehend ausgeblendet. Zudem vernachlässigt das Buch fast vollkommen die Beziehungen zwischen den führenden Gesellschaftskreisen und solchen gehobenen Kreisen, die am Gesellschaftleben der Nazis demonstrativ nicht teilnahmen. Dabei nimmt sein Argument tautologische Züge an: d’Almeida untersucht letztlich nur Adlige und Bürgerliche, die in hohen nationalsozialistischen Gesellschaftskreisen verkehrten, und er zieht daraus den Schluss, dass Adel und Bürgertum geschlossen hinter dem Nationalsozialismus standen. Sowohl die ältere These, wonach der preußische Adel sich innerlich gegen den Nationalsozialismus gewehrt habe, als auch die durch einen Hollywood-Film neu aufgelebte Diskussion um die Hintergründe des Attentats vom 20. Juli 1944 werden außer Betracht gelassen. Insgesamt lehnt sich d’Almeida stark an die sehr negative Deutung Stephan Malinowskis über die Rolle des Adels in der Weimarer Republik und der NS-Zeit an.4

Dennoch liefert die Studie eine wertvolle Interpretation der Bedeutung von Privilegien im Nationalsozialismus. Wer zugleich nach einer anthropologischen Analyse der gesellschaftlichen Riten bzw. des nationalsozialistischen Habitus’ sucht, wird zwar enttäuscht. Insgesamt ermittelt d’Almeida aber ein umfassendes und detailreiches Bild der symbiotischen Beziehung zwischen NS-Diktatur und der „feinen Gesellschaft“, die sich auf Habgier und Luxussucht gründete.

Anmerkungen:
1 Eine deutsche Übersetzung durch Harald Ehrhardt war bereits vor zwei Jahren unter dem Titel „Hakenkreuz und Kaviar. Das mondäne Leben im Nationalsozialismus“ im Verlag Patmos (Düsseldorf 2007) erschienen.
2 Man vermisst hier einen Verweis auf Götz Alys Arbeit über die Verteilung von Beute in der NS-Zeit, vgl. ders., Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005.
3 Vgl. Sheila Fitzpatrick, Alf Lüdtke, Energizing the Everyday. On the breaking and making of social bonds in Nazism and Stalinism, in: Michael Geyer, Sheila Fitzpatrick (Hrsg.), Beyond Totalitarianism. Stalinism and Nazism Compared, Cambridge 2009, S. 293.
4 Vgl. Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003.

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