C. Lamberty: Reklame in Deutschland 1890-1914

Titel
Reklame in Deutschland 1890-1914. Wahrnehmung, Professionalisierung und Kritik der Wirtschaftswerbung


Autor(en)
Lamberty, Christiane
Reihe
Beiträge zur Verhaltensforschung 38
Erschienen
Anzahl Seiten
535 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hartmut Berghoff, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Abteilung für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Göttingen,

In Deutschland etablierte sich die moderne Wirtschaftswerbung in der zweiten Hälfte des Kaiserreiches. Da sie als "konstituierendes Moment der Moderne" wahrgenommen wurde, war ihr Aufstieg zu einem integralen Teil des ökonomischen Prozesses und der alltäglichen Lebenswelt von scharf geführten Grundsatzdebatten begleitet.

Die an der TU Berlin entstandene Dissertation von Christiane Lamberty zeichnet diesen Prozeß auf sechs Ebenen im Detail nach.

1. Werbung im Geschäftsalltag des Einzelhandels

Lamberty demonstriert, daß die Werbung im Untersuchungszeitraum stark an Bedeutung gewann. Vorreiter waren die großbetrieblichen Formen des Einzelhandels, deren Geschäftsprinzipien sie gleichsam früh dazu zwang, extensiv zu werben. Ein zweiter Impulsgeber war der Markenartikel, der die Beziehungen von Produzenten, Händler und Konsumenten grundlegend veränderte. Ohne Werbung war der Markenartikel nicht funktionsfähig.

Im Gegensatz zu diesen hinlänglich bekannten Zusammenhängen belegen Lambertys Ausführungen zum kleinbetrieblichen Einzelhandel, daß sich dieser nicht lange auf eine politische Defensivstrategien beschränkte, sondern er seinerseits auf den fahrenden 'Zug der Zeit' aufsprang und Werbung als Mittel des Konkurrenzkampfes entdeckte. Besonders nach 1905 läßt sich ein eindrucksvolles Aneignungs- und Modernisierungsprogramm des kleinen Einzelhandels nachweisen.

2. Geschichte der Werbemittel

Frau Lamberty untersucht auch die technisch-gestalterischen Fortschritte der Werbemittel. Die Annonce erlebte parallel zum Aufstieg der Massenpresse und zur Ausdifferenzierung der Zeitungslandschaft einen erheblichen Bedeutungszuwachs. Sie wurde größer, und durch typographische Verbesserungen attraktiver. Fortschritte bei der Papierwarenherstellung ermöglichten immer ansprechendere Verpackungen. Der Blick auf Kalender, Sammelbilder, Reklamemarken, Schilder, Reklamepostkarten, Kataloge und Plakate verdeutlicht, welch ungeheure Vielfalt und Vielzahl an kreativ gestalteten Werbemitteln Verbreitung fanden. Schaufenstergestaltung und Beleuchtungstechnik machten ebenfalls spektakuläre Fortschritte. So wurden etwa zum Teil lebensgroße mechanische Figuren eingesetzt. Die Verwendung des elektrischen Lichtes für die Außenreklame erfolgte sehr schnell und ermöglichte schon vor dem Ersten Weltkrieg spektakuläre Installationen wie 1912 den Einsatz von 3000 Glühbirnen, die auf dem Alexanderplatz den Rauch einer Zigarette nachbildeten. Schließlich entstand seit 1895 der Werbefilm als das zukunftsträchtigste Werbemedium überhaupt. Als Vorläufer wirkte die Laterna magica. Eindrucksvoll schildert Lamberty das Tempo der Entwicklung des frühen Werbefilms und die Vielfalt sein gestalterischen Möglichkeiten.

3. Die Geschichte der Werbeberufe

Begrifflich sehr unscharf verwendet Lamberty in diesem Abschnitten das Konzept der "Professionalisierung", obwohl Sie zugleich zeigt, wie wenig es auf die Werbeberufe im Kaiserreich zutrifft. Zu weit blieben diese hinter den standes-politischen Erfolgen der freien Berufe zurück, und zu diffus und offen blieben die Zugänge zu den Werbeberufen. Insgesamt neigt Lamberty dazu, die Etablierung der Werbefachberufe zu überschätzen, blieben sie im Kaiserreich doch noch eine mit immensen Vorurteilen konfrontierte Randgruppe. Ihre meisten Angehörigen waren Autodidakten. Die diverse Versuche, einen festen, allgemein akzeptierten Platz im "Bürgertum" zu finden - sei es durch Orientierung am Konzept des Künstlers oder am Modell der freien Berufe - führten nicht durchschlagenden Erfolgen. Die Verbände der Werbeberufe, auch das kommt nicht deutlich genug heraus, blieben relativ schwach. Die Versuche, die Ausbildung zu verbessern und zu vereinheitlichen, waren nur punktuell von Erfolg gekrönt.

4. Das Verhältnis von Kunst und Werbung

Die Kunstgewerbebewegung des Kaiserreichs versuchte als Teil eines allgemeinen Programms der Kunst- und Geschmackserziehung nach 1900, die vielbeklagte Kluft zwischen Wirtschaft und "gutem Geschmack" durch die Propagierung einer künstlerisch anspruchsvollen Werbung zu verringern. Die Resonanz, da ist Lamberty voll und ganz zuzustimmen, blieb jedoch bezogen auf das gesamte Werbegeschehen äußerst begrenzt. Die Kooperation von Kunstgewerblern, Werbefachleuten und Unternehmern belegt jedoch das gemeinsame Interesse daran, die Akzeptanz der Werbung zu verbessern und die eigene Tätigkeit zur "Kulturarbeit" aufzuwerten.

5. Die Anfänge der Verwissenschaftlichung der Werbung

Die Werbung drang in den Kanon der Wissenschaften über vier Einfallstore ein, nämlich über die Zeitungswissenschaft, die Nationalökonomie, die Handelswissenschaft und die Psychologie. In allen vier Fällen konnte Lamberty nachweisen, daß die Auseinandersetzung mit der Werbung begann und unvermeidbar an Gewicht gewann. Sie schaffte es aber in keiner der vier Disziplinen, in das Zentrum der jeweiligen Wissenschaft zu rücken. Vielmehr blieb sie ein ausgesprochenes, zumeist sogar explizit unbeliebtes Randthema. Das Beispiel Werner Sombarts zeigt, daß selbst an der Handelshochschule die Vorbehalte gegenüber der Werbung ausgesprochen groß blieben. Die gleichwohl umfangreichen Versuche einer theoretischen Aufwertung und Legitimation der Werbung erzielten vorerst nur bescheidene Erfolge. Auch hier hätte stärker zwischen den ambitionierten Zielprojektionen der interessierten Berufe und der Realität ihrer geringen sozialen Akzeptanz, zwischen Mehrheits- und Minderheitspositionen im akademischen Milieu differenziert werden müssen.

6. Der Werbediskurs als Grundsatzdebatte über die industrielle Moderne

Die Werbung stand im Kaiserreich stellvertretend für die industrielle Moderne schlechthin. Das erklärt die Intensität und Konflikthaltigkeit der Debatte, in der drei unterschiedlichen Stoßrichtungen den Ton angaben: der Antimodernismus, der Antiamerikanismus und der Heimatschutz. Die rassistisch aufgeladene Kritik führte nicht nur zur Denunziation jüdischer Unternehmer, sondern auch zu Boykottaufrufen und dem Aufmarsch von "Mittelstandsposten" vor jüdischen Warenhäusern. Gleichwohl widerlegt Lamberty die Vorstellung einer linearen Zunahme dieser Tendenzen. Als die mittelständischen Händler die Werbung für ihre Zwecke einzusetzen lernten, flaute die antisemistische Agitation ab. Die Auseinandersetzungen mit den USA mündete ebenfalls nicht in einen einheitlichen Trend ein. Die Rezeption schwankte vielmehr zwischen Abscheu und Faszination, wobei in dieser Studie leider unklar bleibt, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen, an der Diskussion beteiligten Sozialgruppen gab. Der Heimatschutz stellte wohl die geschlossenste Front der Werbefeinde dar. Er bekämpfte jedoch nur bestimmte Formen der Werbung, vor allem die Außenwerbung. Am Ende bildete sich aber ein Kompromiß heraus, mit dem die Werbetreibenden durchaus leben konnten. Die Gesetzgebung überwand zwar nicht den grundsätzlichen Interessengegensatz zwischen Wirtschaft und Heimatschutz, schuf aber praktikable Regelungen.

Alles in allem zeichnet Lamberty ein faszettenreiches Bild, daß den Aufschwung der Werbung und die damit einhergehenden Grundsatzdebatten sehr detailliert beschreibt. Das im wesentlichen auf einer enormen Menge gedruckter Quellen und auf älteren Spezialuntersuchungen basierende Buch überzeugt durch die Genauigkeit der Recherchen und die Vielzahl der Fakten. Ergänzt werden die Ausführungen durch wenige, gut ausgesuchte Illustrationen.

Was diesem Buch jedoch fehlt, sind zugespitzte Thesen, die analytische Schneisen in das Dickicht der unübersichtlichen Empire schlagen und die Ausführungen in die kontroversen Interpretationen der Kaiserreichforschung einbetten. Auch der Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus wird viel zu selten gewagt. So bleibt nach der Lektüre der fast 500 Seiten, die sich häufig durch einen additiven Grundduktus auszeichnen, eine gewisse Ratlosigkeit zurück. Wie ist die verwirrende Fülle der Detailinformationen zu interpretieren? Welches Gewicht besaßen die eindrucksvollen Fortschritte etwa bei den Werbemedien und im Handel gegenüber der kulturpessimistischen Grundstimmung in der bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit? War die Regulierung der Werbung durch den Gesetzgeber nicht am Ende überraschend liberal? Muß man dem Kaiserreich jenseits aller antimodernen Diskurse nicht in dieser Hinsicht eine überaus große Modernität attestieren? Solche Fragen hätten in dem Schlußkapitel, das viel zu kurz ausgefallen ist, eingehend behandelt werden müssen. So steht am Ende ein zwiespältiges Fazit: Eine mit großem Fleiß, sehr gründlich recherchierte Studie voller wertvoller Informationen, die aber analytische und interpretative Defizite aufweist.

Abschließend noch ein kritisches Wort zur Preisgestaltung des Verlages. Sie wird leider eine Verbreitung dieses grundlegenden Werkes über die Bibliotheken hinaus verhindern. Möglicherweise würde man mit einer publikumsfreundlicheren Kalkulation insgesamt besser fahren.

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