S. Mariev (Hrsg.): Ioannis Antiocheni fragmenta

Cover
Titel
Ioannis Antiocheni fragmenta quae supersunt omnia.


Herausgeber
Mariev, Sergei
Reihe
Corpus Fontium Historiae Byzantinae 47
Erschienen
Berlin u.a 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 56*, 599 S.
Preis
€ 148,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloński Kraków

Johannes von Antiochien gehört in den letzten Jahren zu den populärsten byzantinischen Autoren: Im Jahr 2005 erschien die erste moderne Edition der Fragmente von Umberto Roberto, die gleichzeitig eine wertvolle Monographie über den Chronisten und sein Werk bildet.1 Nun bekommt die Forschung eine Konkurrenzedition von Sergei Mariev, der in allen strittigen Fragen eine ganz andere Position als Roberto vertritt.2 Der Standpunkt Marievs war der Forschung bereits bekannt, da er in der „Byzantinischen Zeitschrift“ eine heftige und in manchen Punkten übertriebene Kritik an der Edition Robertos übte.3

Der sonst unbekannte Johannes von Antiochien bleibt ein rätselhafter Autor; er schrieb eine Weltchronik (Historia Chronica), die von der Schöpfung bis in die Regierungszeit des Kaisers Anastasios I. bzw. bis zum Tod des Phokas reichte. Dabei ist sich die Forschung weder über die Abfassungszeit der Chronik, ihren Umfang oder die Identifizierung des Autors noch über die Zuweisung der einzelnen Fragmente einig. Anders als Roberto, der die Entstehung der Chronik in die ersten Dezennien des 7. Jahrhunderts setzt, geht Mariev wieder von der Einordnung des Werkes in die ersten Dezennien des 6. Jahrhunderts aus (S. 8). Dabei knüpft er weitgehend an die Ergebnisse einer Arbeit von Sotiroudis an 4, der aufgrund der inhaltlichen, stilistischen und quellenkritischen Untersuchung der handschriftlichen Überlieferung dafür plädiert, dass alle Fragmente, die über die Regierungszeit des Kaisers Anastasios hinaus gehen, nicht dem eigentlichen Johannes von Antiochien zuzuweisen seien. Sotiroudis nimmt daher an, dass die Chronik um 520 entstanden sei.5 Diese Position liegt der Edition Marievs zugrunde. Das Problem des Johannes von Antiochien bleibt aber weiterhin umstritten, meines Erachtens dürfte die spätere Datierung der Chronik plausibler sein. Anders als Roberto greift Mariev in seiner Edition nur auf diejenigen Texte zurück, die mit Sicherheit Johannes von Antiochien zuzuweisen sind. Alle anderen Texte, die bestenfalls aus Überarbeitungen der Historia Chronica stammen könnten, werden abgelehnt.

Mariev macht die Excerpta Constantiniana zur Basis seiner Edition, die Auszüge aus den Excerpta de insidiis und de virtutibus bilden also die Grundlage für seine Rekonstruktion der Chronik des Johannes von Antiochien. Alle anderen Texte werden am Grad ihrer Übereinstimmung mit den Excerpta Constantiniana beurteilt. Ähnlich wie bereits Müller und Roberto nimmt auch Mariev an, dass die konstantinischen Exzerpte angesichts der Vorgehensweise der Exzerptoren, die ihre Quellen nur wenig überarbeiteten und darauf bedacht waren, den ursprünglichen Textbestand zu erhalten, den originalen Text des Johannes von Antiochien weitgehend zuverlässig überliefern. Die meisten dieser Auszüge weisen deutliche sprachliche, stilistische und inhaltliche Ähnlichkeiten auf. Aus dieser Gruppe lehnt Mariev nur wenige Fragmente ab: EI 3, 32 und 33 sowie EV 1, 2, 7, 8 und 26.6 Seiner Meinung nach gehen auf Johannes von Antiochien nur diejenigen Fragmente aus EI und EV zurück, die bis zum Tod des Anastasios (518) reichen. Die folgenden Exzerpte, die über Maurikios und Phokas berichten (EI 104-110 = fr. 314–319 u. 321 Roberto; EV 75 = fr. 320 Roberto) werden aufgrund der sprachlichen Unterschiede in dieser Neuedition nicht mehr berücksichtigt.7 Dazu kommt noch ein Auszug aus den Excerpta de legationibus Romanorum ad gentes (ElR 1= fr. 56 Mariev = fr. 105 Roberto). Den zweiten wichtigen Textzeugen bilden die Fragmente aus dem Codex Athos 4932 = Iviron 812. Diese Handschrift bietet die längste kontinuierliche Erzählung aus der Chronik des Johannes, wobei Mariev davon ausgeht, dass die Passage nicht gekürzt, sondern vollständig erhalten ist.8 Mariev berücksichtigt auch die zahlreichen Lemmata aus der Suda, die auf die Chronik des Johannes zurückgehen. Aber selbst in dieser Hinsicht gibt es deutliche Unterschiede im Vergleich zur Edition Robertos. Den nächsten Textzeugen bilden die Excerpta Planudea 5-44.9 Diese Auszüge werden aber nur teilweise zur Rekonstruktion der Chronik benutzt, und nur einige von ihnen erscheinen unter den echten Fragmenten des Johannes von Antiochien. Alle anderen werden in den apparatus locorum parallelorum gesetzt. Diese Text markiert Mariev zudem mit einem Sternchen. Schließlich werden als Parallelstellen zu fr. 2 und 5 zwei Auszüge aus dem Codex Parisinus 1630 übernommen.

Den Kern der „johanneischen Frage“ bildet nach wie vor die Zuordnung der Excerpta Salmasiana. Diese Sammlung besteht aus zwei Fragmentgruppen. Roberto geht in seiner Edition davon aus, dass die erste Gruppe (Excerpta Salmasiana_ I), die dem fr. 1 bei Müller in den FHG entspricht, nicht auf Johannes von Antiochien zurückgeht, sondern die Tradition des Iulius Africanus wiedergibt. Dagegen seien die Auszüge der zweite Gruppe (Excerpta Salmasiana_ II) mittelbar auf die Historia Chronica zurückzuführen. Um die Verbindung dieser Exzerpte mit dem eigentlichen Text des Johannes von Antiochien herzustellen, vertritt Roberto die These, dass sie aus einer Epitome stammten, die zwischen dem 7. und dem 12. Jahrhundert in Konstantinopel verfasst worden sei. Die stilistischen und sprachlichen Unterschiede erklärt er damit, dass der originale Text sprachlich stark vereinfacht und überarbeitet worden sei. Diese Position führt auch dazu, dass Roberto aufgrund der Übereinstimmungen mit den ES II viele Glossen aus der Suda, die Wiener Troica und die Hypothesis zur Odysee in seine Edition aufnahm. Diese Entscheidung wurde nur teilweise in der Forschung akzeptiert.10 Mariev ist hingegen der Meinung, dass nur die ES I die Tradition des Johannes von Antiochien widerspiegeln, und folglich nimmt er in seinem Corpus nur diese Gruppe als fr. 1 auf. Die ES II hält er für spuria. Demzufolge berücksichtigt er auch keinen der anderen erwähnten Texte, die Übereinstimmungen mit den ES II aufweisen. Letztlich lehnt Mariev also entschieden fast alle quellenkritischen Forschungsergebnisse Robertos ab. Mit dieser negativen Einstellung zu den Thesen des italienischen Forschers geht er aber meines Erachtens eindeutig zu weit.

Obwohl die Forschung nun über zwei aktuelle Editionen des Geschichtswerkes des Johannes von Antiochien verfügt, bleibt „die johanneische Frage“ ungelöst. Beide Ausgaben weisen so große Unterschiede auf, dass die wissenschaftliche Diskussion in den meisten strittigen Fragen weiter geführt werden muss. Anders als Roberto geht Mariev vorsichtiger vor und greift in den meisten Fällen nur auf diejenigen Texte zurück, die mit großer Sicherheit auf die Historia Chronica zurückgehen. Roberto versucht hingegen auch auf diejenigen Werke hinzuweisen, die mittelbar und nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Tradition des Johannes von Antiochien widerspiegeln, wobei eine mögliche Kontamination der Quellen stets beachtet werden muss. Daher eröffnet insgesamt die Edition Robertos eher eine breitere Perspektive für die Erforschung der byzantinischen Chronographie. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass man nun sowohl die Argumente von Roberto als auch die von Mariev in Betracht ziehen muss. Aus dieser noch offenen Debatte kann die weitere Forschung zweifelsohne profitieren.

Anmerkungen:
1 Umberto Roberto (Hrsg.), Ioannis Antiocheni Fragmenta ex Historia Chronica. Introduzione, edizione critica e traduzione, Berlin u.a. 2005; vgl. meine Rezension in: H-Soz-u-Kult, 08.03.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-158>, (= Historische Literatur 4/1, 2006, S. 44-48).
2 Paradoxerweise werden beide Editionen im selben Verlag (de Gruyter) veröffentlicht.
3 Vgl. Sergei Mariev, Neues zur „Johanneischen Frage“?, in: Byzantinische Zeitschrift 99 (2006), S. 535-549.
4 Vgl. 6f. und Mariev, Neues, S. 536.
5 Panagiotis Sotiroudis, Untersuchungen zum Geschichtswerk des Johannes von Antiocheia, Thessalonike 1989, bes. S. 148ff.
6 Dazu vgl. Sotiroudis, Untersuchungen S. 49f.; Mariev, Neues, S. 537ff.
7 Gegen Roberto, Fragmenta, S. XLIIff.
8 Ähnlich Roberto, Fragmenta, S. CXIff.
9 Roberto berücksichtigt in seiner Edition noch EPl 2 (fr. 68 Roberto).
10 Zustimmend Alan Cameron (Bryn Mawr Classical Review 2006.07.37) und der Autor dieser Besprechung (Historische Literatur 4/1, 2006, S. 44-48); sehr vorsichtig Mischa Meier (sehepunkte 6, 2006, Nr. 12, 15.12.2006); ablehnend Bruno Bleckmann (Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 9, 2006, 1071-1075).

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