T.E. Jörgensen: Transformation and Crises

Titel
Transformation and Crises. The Left and the Nation in Denmark and Sweden, 1956-1980


Autor(en)
Jörgensen, Thomas Ekman
Reihe
Protest, Culture and Society
Erschienen
London 2008: Berghahn Books
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 59,71
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Süssner, Institute for Research on Migration, Ethnicity and Society, Universität Linköping

Aus einer gewissen Perspektive heraus kann man sicher, wie Thomas Ekman Jørgensen konstatieren, dass “die Linke” in den 1960er- und 1970er-Jahren „eine starke, nahezu mystische Stellung in der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ eingenommen hat. Ekman Jørgensen weiß, wovon er spricht: in den letzten Jahren widmete er sich im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Kopenhagen dem Thema „1968 – und was danach folgte“.1 In dieser Arbeit spielte die Beziehung zwischen der studentischen und kulturradikalen neuen Linken und den etablierten linken Parteien Dänemarks eine wichtige Rolle. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die Entwicklung der dänischen radikalen Linken mit der der schwedischen zu vergleichen. Dabei steht laut Klappentext das Verhältnis der Linken zur Nation im Fokus. Wie allerdings der Titel andeutet wird der Krise und Transformation der kommunistischen Linken nach der Krise des Weltkommunismus in den 1950er-Jahren sehr viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet.

Ekman Jørgensens Komparation ist laut eigener Aussage rein „deskriptiv“ und ist als ein Beitrag zu einer von Reinhart Kosselleck inspirierten begriffsgeschichtlichen Forschung zu verstehen. Hierbei ist es nicht etwa der Begriff „Nation“ sondern der Begriff „Krise“, der im Zentrum steht. Inspiriert von Hayden White soll „Geschichte der Sprache der Linken“ vor dem Hintergrund eines „Narrativs von Krise, Erneuerung, Stagnation und neuer Krise“ untersucht werden (S. 3f.). Dabei wird die „neue Linke“ der 1960er-Jahre wiederum als Begriff, aber mit einem gewissen Bezug auf Pierre Bourdieu auch als „politisches und soziales Feld“ definiert.

Im Fokus der Untersuchung soll die „verstreute alltägliche Diskussion der Linken“ in Dänemark und Schweden stehen (S. 2). Ob dieses Ziel erreicht wird, sei dahin gestellt, da die Empirie der Studie kaum Antworten auf diese ehrgeizige Fragestellung geben kann: Die empirischen Quellen der Studie sind nämlich auf der einen Seite die theoretischen Zeitschriften der wichtigsten dänischen und schwedischen Parteien der Linken, samt einer leider nicht sonderlich flächendeckenden Auswahl von Schriften aus ausgewählten Strömungen der Neuen Linken. Im Falle Schwedens wird hier eine recht eigensinnige Auswahl getroffen, bei der das Schriftgut der maoistischen Linken verhältnismäßig viel Raum einnimmt. Dies verzerrt natürlich im Endeffekt die Analyse, gerade in Hinsicht des Verhältnisses dieser Gruppierungen zum Begriff der Nation. Im Falle Dänemarks wird den Positionen der relativ kleinen Kommunistischen Partei Dänemarks (DKP) stellenweise weitaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet als anderen, im politischen System Dänemarks durchaus wichtigeren Akteuren.

Eingangs reißt der Autor kurz die Entwicklung der kommunistischen Parteien in Europa seit 1917 an. Dieses knappe Hintergrundkapitel gibt eine notwendigerweise sehr allgemein gehaltene, nahezu populärgeschichtliche Zusammenfassung. Das Resümee ist, dass sich die dänische wie auch die schwedische Linke genauso wie andere westeuropäische kommunistische Parteien nach dem Tod Josef Stalins, dem XX. Kongress der KPdSU und der „geheimen Rede“ von Nikita Kruschtschow sowie den Aufständen in Polen und Ungarn 1956 in einer akuten Krise befanden. Dies ist natürlich kaum neu, aber der Vergleich der dänischen und schwedischen kommunistischen Linken ist dennoch interessant. So weist Ekman Jørgensen kurz auf einige grundlegende Unterschiede in den politischen Traditionen der beiden Länder hin, leider ohne auf die historischen Wurzeln dieser Unterschiede näher einzugehen. So wird die schwedische Linke recht zutreffend als „puritanisch“ beschrieben, während die dänische Linke traditionell antipuritanisch sei. Laut Ekman Jørgensen ist der schwedische Kommunismus tendenziell „provinziell“, während der dänische sich dadurch auszeichne, dass er keinen Einfluss innerhalb der Industriearbeiterklasse habe (S. 3, 60).

Während sich Dänemarks Kommunistische Partei (DKP) 1958 spaltete, entging die schwedische Schwesterpartei SKP diesem Schicksal. In Schweden konnte sich daher keine konkurrierende Kraft links der dominierenden Sozialdemokratie etablieren. SKP taufte sich 1963 in Linkspartei Kommunisten (VPK) um und wurde rasch zu einem Nexus für die neue Linke, die in den 1960er-Jahren in Schweden wie auch in anderen westlichen Ländern von sich reden machte. Dies erklärt Ekman Jørgensen mit einer Tradition der „relativen Unabhängigkeit“ der schwedischen SKP gegenüber Moskau (S. 40). In Dänemark nahm nicht die traditionelle DKP sondern die Sozialistische Volkspartei (SF), die 1958 von den kommunistischen „Renegaten“ um den ehemaligen DKP-Vorsitzenden Aksel Larsen gebildet wurde, diesen Platz ein. SF mauserte sich nach 1960 rasch zur stärksten Kraft innerhalb der dänischen Linken, während die moskautreue DKP ebenso rasch im politischen Abseits landete (S. 37ff.).

Ekman Jørgensen stellt hier, durchaus interessant, fest, dass die neue, „linkssozialistische“ SF das alte kommunistische Weltbild der Stalinzeit im Prinzip unabgewandelt übernahm (S. 52). Dieses Weltbild beinhaltete eine Symbiose aus traditionellem (antideutschen) dänischen Nationalismus mit dem Prinzip des „proletarischen Internationalismus“ und einem starken Antiamerikanismus. SKP hingegen argumentierte, dass Schweden ein Teil des imperialistischen Systems sei und idealisierte die schwedische Arbeiterklasse. In der Propaganda der Partei wurde daher Abstand von staatlichem Nationalismus genommen (S. 27). Ein anderer interessanter Unterschied im Verhältnis zwischen DKP und SF auf der einen und SKP/VPK auf der anderen Seite ist der Umstand, dass die schwedische Partei in erster Linie eine innenpolitische Thematik ansprach, während die dänischen Parteien sich traditionell auf internationale Fragen konzentrierten (S. 26).

In den 1960er-Jahren profilierten sich sowohl DKP als auch SF im Kampf gegen die dänische Mitgliedschaft in der NATO und setzten zunehmend auf die Kampagne gegen den dänischen EG-Beitritt. Hierbei wurde der traditionelle antideutsche Tonfall heruntergespielt, ganz im Einklang mit den sowjetischen Richtlinien dieser Zeit. In der SF trat an dessen Stelle der Skandinavismus als ein alternatives Modell (S. 61f.). Zeitgleich „entdeckte“ die schwedische Linke den Nord-Süd-Konflikt und begann sich eingehend internationalen Konflikten zu widmen. Der linke schwedische Puritanismus führte laut Ekman Jørgensen dazu, dass die „puritanische, revolutionäre Dritte Welt“ zum Gegenbild des „materialistischen Nordens“ stilisiert wurde (S. 60). Ekman Jørgensen beschreibt in einem eigenen Kapitel wie der Krieg der USA in Vietnam zu einem wichtigen Mobilisierungsmoment der Linken in beiden Ländern wurde.

In Schweden führte die Transformation der Linken Ende der 1960er-Jahre zu einer Renaissance des Leninismus und einer zunehmenden Idealisierung der Arbeiterklasse, einer Art von „Arbeiterismus“ (S. 137). In Dänemark wuchs parallel ab 1970 der Einfluss der DKP. Laut Ekman Jørgensen ist es kennzeichnend für die skandinavische Linke, dass die Begriffe Volk und Arbeiterklasse nahezu synonym benutzt werden. Dies gehe auf den klassischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts zurück, was vor allem in Dänemark sehr deutlich sei (S. 132, 147f.). Ekman Jørgensen weist in diesem Zusammenhang auf die Verschmelzung des klassischen christlichen Nationalismus des 19. Jahrhunderts mit marxistischer Ideologie innerhalb der SF hin. Im schwedischen Fall wird hier das weitaus weniger repräsentative Schriftgut der maoistischen Zeitschriften „Folket i Bild/Kulturfront“ und Clarté zitiert. Ekman Jørgensen kommt zu dem Ergebnis, dass die Linke in beiden Ländern nach 1970 einen „immer konservativeren Nationalismus“ (S. 127, 145f.) propagierte. Dies ging Hand in Hand mit ideologischer Stagnation und neuer Krise Ende des Jahrzehnts.

In der zusammenfassenden Analyse konstatiert Ekman Jørgensen, dass der wichtigste Unterschied zwischen Dänemark und Schweden der Umstand sei, dass die Rolle von SKP/VPK in Schweden so zentral sei. In Dänemark hingegen sei der Einfluss der studentischen Linken von 1968 wesentlich stärker, SF konnte die Hegemonie innerhalb der Linken nach 1965 nicht halten (S. 185). Abschließend kommt Ekman Jørgensen zu dem eigentlich wenig erstaunlichen Schluss, dass der „Narrativ von Transformation, Erneuerung und Krise“ sich in den beiden untersuchten Ländern deutlich erkennen lasse (S. 184). Hier wird deutlich, dass der durchaus ambitionierte theoretische Ansatz Ekman Jørgensens zum einen kaum im Hauptteil der Arbeit erkennbar ist und sich zum anderen im rein deskriptiven Vergleich zwischen dänischer und schwedischer Linke verliert. Hier hätte eine theoretisch besser fundierte Analyse des Begriffes „Nation“ wohl zu interessanteren Ergebnissen geführt. So bleibt der Eindruck, dass die Untersuchung des Verhältnisses der dänischen und schwedischen Linken zur Nation ihr analytisches Potential leider nicht wirklich ausschöpft.

Anmerkung:
1 Steven L. B. Jensen / Thomas Ekman Jørgensen, 1968 - og det der fulgte: studenteroprørets forudsætninger og konsekvenser, Kopenhagen 2008.

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