D. Geppert u.a. (Hrsg.): Germany and Britain

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Titel
Wilhelmine Germany and Edwardian Britain. Essays on Cultural Affinity


Herausgeber
Geppert, Dominik; Gerwarth, Robert
Reihe
Studies of the German Historical Institute, London
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 82,34
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Becker, Friedrich Meinecke Institut, Freie Universität Berlin

Die Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert scheint keine Überraschungen mehr zu bergen. Fest etabliert ist das Narrativ einer kontinuierlichen Verschlechterung, die unvermeidlich in den Ersten Weltkrieg führte. Dieses Narrativ, von Paul Kennedy in „The Rise of the Anglo-German Antagonism“ meisterhaft entwickelt, will der vorliegende Sammelband, der auf eine Konferenz zu Ehren Hartmut Pogge von Strandmanns im Jahr 2006 zurückgeht, zwar nicht widerlegen, aber ein Stück weit hinterfragen.1 Dem außenpolitischen Antagonismus Kennedys stellt er den Begriff der „kulturellen Affinität“ gegenüber. Haben Historiker die Beziehungen der beiden Länder bislang meist auf die Außenpolitik reduziert, wird hier der Kultur, der persönlichen Begegnung und der gegenseitigen Wahrnehmung ein größeres Gewicht eingeräumt.

Interessanterweise hat die Geschichtsschreibung über die „lange Jahrhundertwende“ in beiden Ländern in den vergangenen Jahrzehnten eine grundlegende Neubewertung erfahren, die aber jeweils gegensätzlichen Trends folgte: Galt das Kaiserreich lange als der Tiefpunkt deutscher Geschichte, wurden seit David Blackbourns und Geoff Eleys Attacke gegen die Sonderwegsthese vermehrt dessen moderne Seiten entdeckt. Umgekehrt ersetzte die britische Geschichtsschreibung das Bild des „Edwardian Age“ als „long summer afternoon“ durch das einer „Edwardian Crisis“. Für vergleichende Studien zu Großbritannien und Deutschland finden sich, obschon seit langem eingefordert, bislang jedoch nur wenige Beispiele. Ein mittlerweile klassischer Sammelband über Berlin und London in den 1920er-Jahren weist gerade einmal einen einzigen vergleichenden Aufsatz auf.2 Demgegenüber knüpfen die vorliegenden Aufsätze nicht nur an die neueste Forschung zu „Wilhelmine Germany und Edwardian Britain“ an, sondern setzen gleichzeitig die beiden Nationen zueinander in Beziehung.

In ihrer Einleitung betonen die Herausgeber Dominik Geppert und Robert Gerwarth die vergleichende Perspektive. Zugleich werfen sie die Frage auf, wie die vielen kulturellen Kontakte, die vielen Beispiele für Beziehungen und Transfers, die der Band in den Blick nimmt, in Bezug zu setzen sind zu dem vorherrschenden Narrativ des Antagonismus. Dazu macht David Blackbourn in einem einführenden Beitrag Vorschläge, in dem er auch über vergleichende Geschichtsschreibung und Kulturtransfers im Allgemeinen nachdenkt. Blackbourn warnt vor den Gefahren einer rein binationalen Perspektive, die für ihn nicht weniger einseitig ist als die alte Nationalgeschichte. Dieses ambitionierte Programm können freilich nicht alle der 16 Beiträge einlösen, ist der Vergleich von nur zwei Einheiten meist doch schon schwierig genug.

Unterteilt ist der Band in acht Themengebiete, die von „High Politics“ über „Colonial Culture“, „Gender“, „Legal Culture“, „Academic Life“, „Music and Architecture“ und „Highbrow and Lowbrow Literature“ bis zu der in der deutschen Historiographie oft vernachlässigten „Popular Culture“ reichen. Dabei ist es keineswegs ein Nachteil, sondern vielmehr bereichernd, dass die einzelnen Autoren mitunter sehr unterschiedliche Blickwinkel einnehmen und auch zum Teil zu abweichenden Schlussfolgerungen kommen.

Einer der interessantesten Befunde des Bandes ist, dass gerade positiv erscheinende Beziehungen und Austauschprozesse zu Entfremdung führten. John Röhl beispielsweise sieht im engen Verwandtschaftsverhältnis zwischen Wilhelm II. und seinem Onkel Edward VII. keinen Schutz, sondern eine der Ursachen für das politische Zerwürfnis zwischen Deutschland und Großbritannien. In ähnlicher Weise kommen sowohl Christiane Eisenberg für den Sport als auch Sven Oliver Müller für die Musik zu dem Ergebnis, dass gerade erfolgreiche kulturelle Transfers Spannungen zwischen den Nationen zur Folge hatten. (Ob allerdings die Briten nach der enthusiastischen Aufnahme Richard Wagners die Zwölftonmusik tatsächlich aufgrund von nationalistischen Ressentiments ablehnten, wie Müller argumentiert, und nicht doch aufgrund ästhetischer Vorbehalte, wäre zu hinterfragen.)

Ein ganz anderes Bild als Müller zeichnet Matthew Jeffries für die Architektur, die ihm zufolge schon im 19. Jahrhundert durch und durch international war und auf gegenseitiger Beobachtung sowie auf lebendigem Austausch beruhte. Auch andere Autoren finden eher Gemeinsamkeiten als Spannungen. Thomas Weber z.B. kann anhand der Aufenthalte von Studierenden im jeweils anderen Land zeigen, dass die deutsch-britischen Beziehungen sehr viel komplexer und ambivalenter waren als das Schema des Antagonismus Glauben macht: Nationalismus und Kosmopolitismus seien in der Praxis keineswegs unvereinbar gewesen. Und Geoff Eley geht zwar von der Frage aus, warum sich für das Kaiserreich keine den britischen Suffragetten vergleichbare Frauenbewegung findet, kommt aber zu dem Schluss, dass nur ein geringer Unterschied zwischen den Frauen bestand, die unter dem Banner der SPD für Gleichberechtigung kämpften, und jenen, die in Großbritannien für dasselbe Ziel in vielen unterschiedlichen lokalen Initiativen stritten. Dieser Befund wird noch unterstrichen durch den Verweis Jean Quataerts auf vielfältige transnationale Verknüpfungen in der Frauenbewegung. Für das Feld des Rechts schließlich argumentiert Jose Harris, dass dieses trotz aller offenbarer Unterschiede in Großbritannien und Deutschland sehr viel ähnlicher war, als dies nach 1914 aus politischen Gründen wahrgenommen und behauptet wurde. Diesem Befund widerspricht allerdings ein Stück weit Sabine Freitag in ihrer Untersuchung über den Umgang mit Schwerverbrechern in den beiden Ländern, wobei dieser Verbrechertypus nichtsdestotrotz in Großbritannien und Deutschland nahezu zeitgleich „entdeckt“ wurde.

Unterschiedliche Medien stehen in rund der Hälfte der Beiträge im Mittelpunkt: Auf der Ebene des Romans begibt sich Marc Schallenberg auf die Suche nach Germanophilie in E. M. Forsters Roman „Howards End“. Dagegen räumt Dominik Geppert in seinem Beitrag mit Mythen über die Massenpresse hinsichtlich deren Rolle bei der Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen auf. Zwar spricht er die Massenpresse nicht von jeder Schuld frei, beweist aber zugleich, dass der bereits zeitgenössisch häufig vorgebrachte Vorwurf der Kriegstreiberei so nicht aufrechtzuerhalten ist. Wie Weber, Eisenberg und Müller sieht er Nationalisierung und Internationalisierung als eng miteinander verzahnte Prozesse. Dem stimmt auch John McKenzie zu, der die Verbreitung imperialistischen Gedankenguts in den populären Medien untersucht. Dagegen betont Frank Bösch wiederum eher die Unterschiede. Während die britische Presse entschieden zur Aufdeckung von Kolonialskandalen beitrug, wurden diese in Deutschland meist von Politikern aufgerollt. Dennoch hätten die Skandale insgesamt ähnliche Effekte gehabt, nämlich zur Veränderung öffentlicher Normvorstellungen und des Rechts beigetragen.

Beschlossen wird der Band durch einen Beitrag von Jan Rüger, der anhand des „Naval Theatres“ noch einmal für die Verknüpfung von Politik- und Kulturgeschichte sowie von historischem Vergleich und Transfer plädiert. Dass diese Verknüpfungen sinnvoll und bereichernd sind, macht seine eigene Untersuchung wie auch der vorliegende Band insgesamt deutlich. Wollte man die Beiträge auf einen Nenner bringen, dann lautete dieser am ehesten: „entanglements and antagonism were opposite sides of the same coin“ (S. 13). Changierend zwischen den Polen von Verflechtung und Antagonismus errichten die Beiträge kein neues Paradigma, sondern ergänzen das bestehende um notwendige Nuancen. Sie belegen, dass eine Reduzierung deutsch-britischer Beziehungen ausschließlich auf den außenpolitischen Gegensatz zu kurz greift und dass die beiden Nationen auf den unterschiedlichsten Ebenen sehr viel stärker miteinander vernetzt waren als in früheren Darstellungen angenommen wurde. Gleichzeitig zeigen die Autoren, dass die Aussparung der Kultur notwendig zu einseitigen, wenn nicht gar falschen Ergebnissen führt. Vor allem die durchgängige, um den Kulturtransfer erweiterte vergleichende Perspektive hat einen Sammelband von selten anzutreffender Geschlossenheit hervorgebracht. Sie ist vielleicht der größte Vorzug eines Bandes, der mit diesen Problemen befassten Historikern uneingeschränkt zu empfehlen ist – für die Forscher im Feld von „Wilhelmine Germany and Edwardian Britain“ ist er ohnehin ein Muss.

Anmerkungen:
1 Paul Kennedy, The Rise of the Anglo-German Antagonism, 1860-1914, London 1980.
2 David Blackbourn / Geoff Eley, The Peculiarities of German History. Bourgeois Society and Politics in Nineteenth-Century Germany, Oxford 1984; Peter Alter (Hrsg.), Im Banne der Metropolen: Berlin und London in den zwanziger Jahren, Göttingen 1993. Zum Edwardian Age und seiner Neubewertung vgl. David Powell, The Edwardian Crisis. Britain 1901-14, Basingstoke/New York 1996; Roy Hattersley, The Edwardians, London 2004. Beispiele für vergleichende Studien: Christiane Eisenberg, "English sports" und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939, Paderborn 1999; Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000; Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1806-1912), München 2007.