Kindermann, G.-K.: Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpoliti k 1840 bis 2000

Titel
Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840 bis 2000.


Autor(en)
Kindermann, Gottfried-Karl
Erschienen
Stuttgart/München 2001: Deutsche Verlags-Anstalt
Anzahl Seiten
727 S.
Preis
DM 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Torsten Bathmann, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

In der Analyse des "europäischen Blicks" auf Asien hat Jürgen Osterhammel von einer "mentalen Abschließung" Europas gesprochen, die sich am Ende der Aufklärung und mit dem Aufstieg der außereuropäischen Philologien vollzogen habe: "Mit der Professionalisierung der Asienkenntnisse als Fachwissen verbindet sich ihre Marginalisierung als Bildungswissen. Damit geht ein Prestigeverlust Asiens im europäischen Bewußtsein einher. Er ist um 1830 abgeschlossen." 1. Das Buch von Gottfried-Karl Kindermann über den "Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik" setzt zeitlich nun dort an, wo Osterhammels Studie des europäischen Blicks auf Asien endet. Ohne sich auf Osterhammel zu beziehen, schreibt Kindermann die rund 160jährige Geschichte der politischen Auswirkungen des von Osterhammel diagnostizierten Prestigeverlusts Ostasiens.
Kindermann folgt jedoch nicht primär den kulturellen oder gesellschaftlichen Veränderungen in Ostasien, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die Qualität zwischenstaatlicher Beziehungen. Die Akteure der Weltpolitik sind demgemäß die Staatschefs und Außenpolitiker der unterschiedlichen Staaten, nicht die zahlreichen Handelsgesellschaften, Missionsniederlassungen oder Akademiker, die sich durch ihr individuelles Engagement um vertiefte Kontakte zwischen den Gesellschaften Ostasiens und Europas bemühten. Ebenso tritt der Aspekt der gegenseitigen Einflüsse in den Hintergrund.

Dadurch wird der Opiumkrieg 1840-42 zur Zäsur für die Beziehungen zwischen den Staaten Europas und den traditionellen Herrschaften in Ostasien. Denn Großbritannien schloß nach der Niederlage Chinas mit dessen Kaiser sogenannte "ungleiche" Handelsverträge (Zollfreiheit, Exterritorialität von Handelskonsulaten) ab, die sowohl die Profitbestrebungen von englischen Unternehmern begünstigte, als auch die territoriale Integrität des "Reichs der Mitte" für damals unabsehbare Zeit einschränkten. Der Opium-Krieg machte zudem offenbar, daß die seit 1644 regierende Qing-Dynastie sich im 19. Jahrhundert im langsamen, von Rebellionen begleiteten Niedergang befand. Kindermanns Darstellung ist somit vor allem eine Analyse der Mittel, mit denen China nach Verlust seiner Machtstellung im ostasiatischen Raum eine neue, mit den Weltmächten gleichrangige Stellung in der Weltpolitik wiederherzustellen versuchte - und durch die Rückgabe von Hongkong (1997) und Macao (1999) auch erreicht habe. Damit beschreibt Kindermann einen "historischen Zirkel von 'challenge und response'" (19).

Dieser Zirkel führte zunächst zur gewaltsamen Erschließung weiterer Herrschaften in Ostasien durch westliche Mächte. 1854 und 1858 erzwangen die USA Verträge mit Japan und beendeten dessen seit knapp 200 Jahren verfolgte Isolationspolitik. Aus der Darstellung Kindermanns lernt man mitunter, daß die Einbeziehung Ostasiens in die Weltpolitik und der Aufstieg der USA zur imperialistischen Macht komplementäre Prozesse waren. Ab den 1860er Jahren eignete sich Rußland Territorien in der nördlichen Mandschurei an, 1862 begann das Vordringen Frankreichs nach Indochina und bis 1907 unterwarf sich dieses die Königreiche von Vietnam, Kambodscha und Laos. 1894 antwortete schließlich Japan als erste ostasiatische Macht der Herausforderung durch die Imperialmächte mit einer eigenen Expansionspolitik, indem es chinesisches Festland besetzte und nach dem Sieg über China 1895 die Insel Taiwan okkupierte. Nach dem Sieg Japans über Rußland 1905 kam schließlich auch die koreanische Halbinsel unter japanischen Einfluß. Die wenig effektive Antwort, die China auf die zahlreichen Bedrohungen zu geben vermochte, war lediglich die Unterdrückung von Opposition und die ideelle Unterstützung nationalistischer Gruppen, wie etwa der der "Boxer", die 1900 das Gesandtschaftsviertel in Peking militärisch besetzten, wobei der deutsche Gesandte ermordet wurde. Die Antwort der Imperialmächte war von rücksichtsloser Härte gekennzeichnet. Unfähig, dem Druck von außen und den Protesten im Innern angemessen zu begegnen, ging die Qing-Dynastie ihrem Ende entgegen. Am 12. Februar 1912 dankte der letzte Kaiser Chinas ab.

An die Stelle des Ancien Régimes in China trat ein Machtkampf zwischen verschiedenen Gruppierungen. Allen gemein war der Bezug auf Positionen des intellektuellen Vaters der "chinesischen Revolution" und Gründer der Guomindang (Nationale Volkspartei) Sun Yatsen (Sun Zhongshan, 1866-1925). Bis zur Gründung der Volksrepublik 1949 sollten diese Kämpfe andauern. Ehe jedoch die 1921 gegründete KP Chinas sich schließlich auf dem Festland durchsetzte nahmen die Gegensätze zwischen ihr, der Guomindang und regionalen Machthabern ("Warlords") noch zu. Als 1937 japanische Truppen in Nanking ein Massaker anrichteten, brach der offene Krieg mit China aus. Der Guomindang-Regierung des Generals Jiang Kaishek (Jiang Jieshi, 1887-1975), der seit 1928 eine brüchige "Einheit Chinas" erkämpft hatte, blieb nichts anderes übrig, als der Aggression Japans entgegenzutreten. Japan verlor zwar den Pazifischen Krieg, für Jiang Kaishek bedeutete aber der langjährige Krieg die Schwächung seiner Kräfte. Die KP Chinas erstarkte zunehmend. Und eine neue militärische Ordnungsmacht trat in Ostasien auf: die USA. Die bipolare Kräftekonstellation zwischen USA und Japan veränderte sich "zu einer fast unipolaren Struktur und einem 'Mare Americanum'" (305).

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist mithin eine Zeit des Wettbewerbs von USA und KP China und KPdSU um die Durchsetzung ihrer Ordnungsvorstellungen in den deokolonisierten Staaten. Japan wurde 1946 durch die amerikanische Besatzungsmacht zu einer Demokratie mit pazifistischer Verfassung. 1949 wurde die VR China proklamiert, die den Sieg der KP China im Bürgerkrieg fest schrieb: "In globaler Perspektive", so Kindermann, "verkörperte der dramatische Machtwechsel in China neben der Gründung des Nordatlantikpaktes, der Errichtung der beiden deutschen Staaten und der Durchbrechung des amerikanischen Alleinbesitzes an Atomwaffen durch die Sowjetunion eine der weichenstellenden Neuentwicklungen der Weltpolitik im ereignisreichen Jahr 1949." (335)

Es folgte der Koreakrieg zwischen kommunistischem Norden (unterstützt von China) und "demokratischem" Süden (unterstützt durch die USA), der 1953 mit der Rückkehr zum Status quo endete. In Indochina versuchte Frankreich eine Wiedererlangung alter kolonialer Stärke, scheiterte aber an seiner militärischen Unfähigkeit in der Schlacht von Dien-Bien Puh (13.März-7. Mai 1954). Indochina wurde in der Genfer-Konferenz 1954 in Vietnam, Laos und Kambodscha geteilt. Die beiden letzteren wurden durch den Südostasien-Pakt 1954 in ein von den USA dominiertes Sicherheitssystem eingebunden. Mit Vietnam gelang dies nicht. Dort führte der Vietcong , eine kommunistische Gruppe, die 1941 zum Kampf gegen die Japaner gegründet worden war, ab 1957 einen Partisanenkampf gegen das diktatorische Regime des von den USA unterstützten Ngo Dinh Diem (1901-1963). Dessen Ermordung 1963 führte zum direkten Eingreifen der Amerikaner, die 1975 schließlich ihre Niederlage eingestehen mußten und Vietnam räumten.

Die Schwächung der USA zum Ende der 1960er Jahre hatte einerseits eine zweite Welle der Errichtung kommunistischer (Laos, Kambodscha) und militärischer Regime (Indonesien, Philippinen, Thailand) zur Folge. Andererseits beförderte die von den USA daraufhin neu eingeleitete "Ping-Pong-Politik" Nixons und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der VR China zu neuen Entwicklungen wie die Entschärfung des Konflikts um Taiwan (seit 1949 National-China unter Führung der Guomindang), der langsame Weg Südkoreas zur Demokratie, die Kontaktaufnahme des Regimes in Nordkorea mit der Außenwelt oder die Vertiefung der Kooperation ostasiatischer Staaten in der 1967 gegründeten ASEAN. Mit der Rückgabe Hong-Kongs (1997) und Macaos (1999) an die VR China scheint schließlich der Zirkel von "challange und response" geschlossen worden zu sein. Kindermann prognostiziert schließlich, daß die Dynamik chinesischer Politik, die zum Schließen dieses Zirkels geführt habe, "zu jenen Faktoren gehören werde(n), die das Schicksal der weltpolitischen Entwicklungen in der ostasiatisch-pazifischen Region im 21. Jahrhundert im hohen Grade beeinflussen werden." (653).

Das Werk Kindermanns besticht durch seinen Quellenreichtum, durch die Präsentation vieler Dokumente und die Darstellung der Meinungen führender Politiker Ostasiens, die der Autor in persönlichen Gesprächen kennen gelernt hat. Unter diesen Quellen überwiegen allerdings die Dokumente der amerikanischen Außenpolitik. Der "Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik" könnte so auch als ein "Eindringen Ostasiens in die Dokumente amerikanischer Außenpolitik" geschrieben werden. Dabei sieht Kindermann sehr wohl die innenpolitischen Faktoren, die die Auswahl der jeweiligen Entscheidungsgegenstände beeinflußten. Insbesondere bei der Analyse von Ideologien und ihren gegenseitigen Beeinflussungen kann man wohl auf eine philologische Analyse chinesischer oder japanischer Texte nicht verzichten. Ansonsten bleiben Feinheiten der jeweiligen Vertragsinterpretation der Vertragspartner verborgen oder werden als Ausfluß scheinbar "indigener Denkweisen" mißverstanden.

Das Problem der Quellensprache sollte jedoch nicht von dem Versuch einer Synthese der Internationalen Politik in Ostasien abhalten. Das Defizit an Sprachkenntnissen kann allemal durch die Beachtung neuerer Forschungsergebnisse ausgeglichen werden. 2 Was überhaupt "Ostasien" sei, wird wohl schwerer auszumachen sein. Kindermann legt seinen Schwerpunkt auf China, mit weiterer Beachtung von Japan, Korea, Taiwan, Indochina und Indonesien. Wenn man aber nach "Ostasien" fragt, so lassen sich seine geographischen Grenzen nur schwer ziehen. Als politische, wirtschaftliche oder religiöse Einheit läßt es sich nur schwer umreißen. Reicht aber dann der Faktor aus, von Imperialmächten im 19. Jahrhundert besetzt worden zu sein? Eine griffige und operationalisierbare Definition von "Ostasien" bietet Kindermanns Synthese leider nicht. Damit steigt aber die Gefahr einer bloßen Synopse von politischen Geschichten der Staaten in Ostasien.

Und wie steht es dann mit der Periodisierung und Gewichtung dieser einzelnen Geschichten? Ist das Jahr 1840 für Japan genauso bedeutsam wie für China? Kann man nicht auch für Japan von einem "langen 19. Jahrhundert" sprechen 3? Welche Bedeutung kommt den 70 Jahren bis zum Ersten Weltkrieg zu, umfassen sie doch in der Darstellung Kindermanns lediglich ein sechstel (!) der Seitenzahl, während die 55 Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs einnehmen? Diese Frage bedarf noch der Klärung, dennoch gehört es zu den großen Vorzügen der Darstellung Kindermanns, den Vorschlag einer rahmenden Fragestellung detailreich vorgestellt zu haben. Nicht als den Endpunkt einer Forschung über die Geschichte Ostasiens sollte man diesen Band lesen, sondern als ein Standardwerk zur politischen Geschichte ostasiatischer Staaten und als ein unerschöpfliches Reservoir an Anstößen für die Forschung, um neue Fragestellungen zu entwickeln und Antworten zu geben. 4

Anmerkungen:

1 Osterhammel, Jürgen: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 36.
2 Siehe z.B. die Sammelbände: Linhart, Sepp/Pilz, Erich (Hg.): Ostasien. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1999, und Goldman, Merle/Gordon Andrew (Hg.): Historical Perspectives on Contemporary East Asia, Cambridge/Mass./London 2000; hervorragende Monographien zum Thema sind (1) zu China: Osterhammel, Jürgen: China und die Weltgesellschaft. Vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit, München 1989, und (2) zu Japan die Summe des Lebenswerks des kürzlich verstorbenen: Jansen, Marius B.: The Making of Modern Japan, Cambridge/Mass./London 2000.
3 Marius B. Jansen: Introduction, in: ders.(Hg.): The Cambridge History of Japan, Bd. 5: The Nineteenth Century, Cambridge 1989, S. 5, plädiert im Falle Japans für Zäsuren um 1790 und die 1890er und greift damit über markante politische Ereignisse hinaus.
4 Einer erneuten Auflage dieses Bandes ist ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen. Z.B. werden Abkürzungen in den Anmerkungen erst Seiten später aufgeschlüsselt (so wird USRWC in Anm. 30, S. 656 angegeben, aber erst in Anm. 58, S. 678 erfährt man, daß es sich dabei um die Aktensammlung "United States Relations with China" des US Department of State handelt !), ein Abkürzungsverzeichnis fehlt ganz, neuere Literatur ist nur sporadisch angeführt (was die Qualität als Handbuch schmälert), gelegentlich wird die Transkription chinesischer und japanischer Namen nicht eingehalten, manche Druckfehler hemmen den Lesefluß.

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