S. Mielke: Gewerkschafterinnen im NS-Staat

Cover
Titel
Gewerkschafterinnen im NS-Staat. Verfolgung, Widerstand, Emigration


Herausgeber
Mielke, Siegfried
Erschienen
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Leonore Ansorg, Berlin

Der von Siegfried Mielke herausgegebene Band stößt in zweifacher Hinsicht in eine Lücke: Zum einen ist der Beitrag von Frauen am Widerstand im Nationalsozialismus eine bisher noch unterbelichtete Thematik, auch wenn von der Frauenforschung verstärkt Impulse zu entsprechenden Untersuchungen ausgingen. Zum anderen spielt in der Geschichtsschreibung die Frage der Rolle von Frauen in den Gewerkschaften eine nur marginale Rolle. Dies gilt erst Recht für die Phase der im Nationalsozialismus illegal arbeitenden und verfolgten Gewerkschafterinnen.1 In den mit dem Machtantritt der Nazis 1933 verbotenen Gewerkschaften gehörten Frauen nicht zu den Führungsfiguren, sondern blieben auf die zweite und dritte Reihe verwiesen. Sie wurden daher von der Geschichtsschreibung auch nicht entsprechend bedacht. Die von ihnen im Widerstand geleistete unspektakuläre Organisationsarbeit, die so wichtig für die Aufrechterhaltung von Verbindungen und Kommunikationswegen war, blieb vielfach unberücksichtigt. Umso verdienstvoller ist die Herausgabe dieses biographischen Bandes zu vierzig Gewerkschafterinnen, die der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt waren.

In der von Siegfried Mielke und Jana Hoffmann verfassten Einleitung werden die Biographien zunächst in den zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet. Sie gibt einen kurzen Überblick über die Zerschlagung der Gewerkschaften mit dem Machtantritt Hitlers und die rechtlichen Grundlagen für die Verfolgung ihrer Mitglieder. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den Anpassungskurs der freien, christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften gegenüber den Nazis. Er war von der Hoffnung getragen, sich irgendwie mit dem System arrangieren zu können und nicht von Verfolgung betroffen zu sein. Die Gewerkschafterinnen dieser Organisationen teilten, soweit bekannt, diese Position. Bekanntermaßen erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die kommunistischen Gewerkschafterinnen vertraten demgegenüber einen offensiven Kurs in Richtung Generalstreik und Organisierung eines aktiven Widerstands, der sich im Einklang mit der Partei befand. Entsprechend waren die Kommunistinnen schon aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft einer härteren Verfolgung durch den NS-Staat ausgesetzt.

Die Einleitung nimmt bereits die Ergebnisse der empirischen Untersuchung vorweg und fasst sie zu „Elementen einer kollektiven Biographie verfolgter Gewerkschafterinnen“ (S. 13) zusammen. Gern hätte man jedoch erfahren, wie die Auswahl dieser Frauen zustande gekommen ist, ob sie beispielsweise auf dem Zufallsprinzip beruhte, ob sie dem Anteil an den parteinahen Widerstandsgruppen entsprach oder ob hierfür schlicht die Quellenlage entscheidend war. Das Auswahlverfahren hat schließlich Konsequenzen in Hinblick auf die Ergebnisse und verallgemeinernden Aussagen zu einer kollektiven Biographie verfolgter Gewerkschafterinnen im Nationalsozialismus.

In der Studie dominieren Gewerkschafterinnen, die zugleich eine Parteimitgliedschaft in der SPD (57,5 Prozent) oder in der KPD (32,5 Prozent) aufwiesen. Diese Frauen waren in der Weimarer Republik überaus aktiv, etwa als Landtags- oder Reichstagsabgeordnete oder in verschiedenen Parteifunktionen. Damit gehörten 90 Prozent der untersuchten Frauen einer dieser Parteien an. Ob daraus ein verzerrtes Bild in Hinblick auf die Widerstandstätigkeit von Gewerkschafterinnen entsteht, sollte durch weitere Untersuchungen belegt werden. Ganz sicher waren insbesondere Frauen der Verfolgung ausgesetzt, die sich vielseitig politisch betätigten und deren Namen infolgedessen häufig in den Listen der Gestapo auftauchten. Die Zugehörigkeit zu einer Partei, so der Befund der Studie, war ein entscheidendes Kriterium für die Verfolgung der Gewerkschafterinnen.

Dabei gehörten die sozialdemokratischen Frauen vorwiegend den Freien Gewerkschaften an, wogegen die kommunistisch orientierten Frauen sich in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) oder dem Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins (EVMB) engagierten. Auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus blieben sie ihren jeweiligen Organisationen verbunden. Bedeutung erlangten im Widerstand aber auch, trotz ihrer geringen Mitgliederzahl, die sich in der Auseinandersetzung mit den Arbeiterparteien gebildeten Splittergruppen wie die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) oder die Kommunistische Partei Opposition (KPO), in denen einige Frauen aktiv waren.

In den seit 1933 entstehenden Widerstandsgruppen leisteten die Frauen, so das Ergebnis der Studie, meist unspektakuläre Arbeit. „Im Vordergrund standen Kontakte und Informationsaustausch, die Pflege sozialer Beziehungen, das Schaffen von Rückzugsräumen und Treffpunkten, Kurierdienste und die Versorgung der im Untergrund lebenden Widerstandskämpfer“ (S. 16). Führungspositionen innerhalb der Widerstandsgruppen übten sie nicht aus, wie sie auch kaum Einfluss auf Entscheidungsprozesse erlangten. Die Gründe dafür werden in den einzelnen Biographien deutlich. Schon in der Weimarer Republik waren sie nur selten in leitenden Funktionen von Parteien und Gewerkschaften vertreten und hatten gegen das traditionelle Frauenbild anzukämpfen. Auch ihre familiäre Situation ließ in der Regel ein stärkeres Engagement im Widerstand nicht zu. Allerdings war der Anteil von kinderlosen und unverheirateten Frauen unter den verfolgten Gewerkschafterinnen in dieser Studie mit 15 Prozent relativ hoch, wie sie auch häufig nach ihrer Eheschließung nicht wie üblich ihre Erwerbstätigkeit aufgaben.

Von den untersuchten Gewerkschafterinnen verbüßten dreiviertel eine Haftstrafe, viele wurden im Vorfeld oder nach Haftentlassung in Schutzhaft genommen. Besonders hart ging der NS-Staat mit kommunistischen Gewerkschafterinnen um, die außerordentlich hohe Haftstrafen erhielten und häufig anschließend in ein Konzentrationslager kamen. Dieses Schicksal teilten sie durchaus mit ihren männlichen Kollegen, ein Verweis darauf findet sich allerdings in der Studie nicht.2 Ein Vergleich zur Verfolgungssituation der männlichen Gewerkschafter hätte die Darstellung der Untersuchungsergebnisse bereichert.

Um einer Inhaftierung zuvor zu kommen, ging jede fünfte der untersuchten Gewerkschafterinnen ins Exil, davon zur Hälfte Kommunistinnen. Was sie beispielsweise in der Sowjetunion an Verfolgung, Rechtlosigkeit und Elend erlebten, beschreibt Sigrid Koch-Baumgarten in ihrem Beitrag über die Kommunistin Roberta Gropper, die in die Mühlen stalinistischer Verfolgung geriet und nach ihrer Haftverbüßung nach Sibirien „evakuiert“ wurde, auf eindrucksvolle Weise. Demgegenüber gelang es Anna Beyer in England oder Anna Rabe-Zammert in Schweden, sich am gewerkschaftlichen Diskurs zu beteiligen.

Sowohl in der Einleitung als auch in einzelnen Biographien wird ausführlich auf die Betätigung der Frauen nach 1945 eingegangen. Die überwiegende Mehrzahl nahm sofort am politischen oder gewerkschaftlichen Wiederaufbau in Groß-Berlin und den Besatzungszonen in Ost und West teil. Die übrigen Frauen waren entweder im KZ verstorben, andere gesundheitlich schwer geschädigt oder kehrten nicht aus dem Exil zurück. Einige bekleideten späterhin Leitungsfunktionen im FDGB wie Frieda Krüger, wurden wie Friedel Malter Mitglied der Volkskammer in der DDR oder nahmen in Westdeutschland einen Aufstieg in der SPD wie Franziska Bennemann, die bis 1961 ihre Partei im Bundestag vertrat. Allerdings – so das Resümee – wurden Frauen in gehobenen Funktionen überwiegend auf die Gebiete „Frauen und Soziales“ begrenzt (S. 21).

Die sich an die Einleitung anschließenden, von insgesamt 21 Autoren verfassten Biographien folgen einem einheitlichen Muster. Sie geben Aufschluss über die soziale Herkunft, den beruflichen Werdegang und das gewerkschaftlich-politische Engagement in der Weimarer Republik und in der Illegalität während der NS-Zeit, und sie enden mit den Aktivitäten der Frauen nach dem Krieg in der DDR bzw. Bundesrepublik. Nicht alle Biographien sind so umfangreich und aussagekräftig wie z.B. über die dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund angehörende Lisy Alfhart (Stefan Müller), die Kommunistinnen Frieda Apelt (Katharina Barnstedt und Katja Scheel) und Roberta Gropper (Sigrid Koch-Baumgarten), die Sozialdemokratinnen Frieda Jahn (Matthias Frese) und Gertrud Hanna (Jana Hoffmann), die aus der SPD kommende und später überzeugte SED-Genossin Käthe Kern (Siegfried Mielke und Peter Rütters), die Christin Clara Sahlberg (Anke Fromme), um nur einige zu nennen. In allen diesen Biographien wird auf eindrucksvolle Weise der Widerstand und die Verfolgung im Nationalsozialismus geschildert. Ausgewertet wurden dabei eine Vielzahl von zeitgenössischen Schriften und archivarischen Quellen. Für eine Reihe der kurzgefassten Lebensläufe mag demgegenüber die unzureichende Quellenlage ausschlaggebend gewesen sein.

Geschrieben aus unterschiedlicher Perspektive, etwa feministischen oder sozialgeschichtlichen Ansätzen folgend, werden in den Biographien unterschiedliche Akzente gesetzt. So hebt z.B. Sigrid Koch-Baumgartner in den Biographien über die Kommunistinnen Martha Arendsee und Roberta Gropper auf die benachteiligte Situation dieser Frauen in den von Männern dominierten Gewerkschaften und Parteien ab und kritisiert generell die Beschränkung auf Frauen- und soziale Themen innerhalb der Organisationen. Letzteres ist allerdings durchaus ambivalent zu betrachten, stellte doch die Vertretung der Interessen von Frauen einen enormen Fortschritt dar. Die spezifischen Bedingungen erwerbstätiger Frauen wie geringerer Verdienst, schlechter Arbeitsschutz, prekäre Arbeitsverhältnisse, mussten als Problem in den Organisationen erst einmal wahrgenommen werden. So beschreibt Anke Fromme in ihrer Biographie über die christliche Gewerkschafterin Clara Sahlberg, dass den männlichen Gewerkschaftskollegen die Belange von erwerbstätigen Frauen weitgehend fremd waren und sie kein Interesse für frauenspezifische Themen aufbrachten. Dass in der DDR und der Bundesrepublik Funktionsträgerinnen in Gewerkschaften und Parteien auch weiterhin oftmals auf frauenspezifische Arbeitsfelder begrenzt wurden, ist angesichts der bereits eingetretenen Veränderungen dann allerdings durchaus kritisch zu bewerten.

Ein besonders unrühmliches Kapitel stellt im Übrigen die Frage der Entschädigung von NS-verfolgten Frauen in der Bundesrepublik dar. Anke Fromme schildert den bis 1971 dauernden Kampf von Maria Schmidt, die als Gewerkschafterin und SPD-Mitglied seit 1936 im Zuchthaus und anschließend bis 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert war, um Anerkennung ihrer Versorgungsansprüche. Als verheiratete Frau machte man ihr eigene Ansprüche streitig und negierte zudem ihre berufliche Behinderung im Nationalsozialismus, da man generell nicht von einer dauerhaften Erwerbstätigkeit von Frauen ausging. Das Fortwirken des traditionellen Frauenbildes führte so zur massiven Benachteiligung von Frauen des Widerstands auch auf diesem Gebiet.

Umso bedeutsamer ist es, dass diese Publikation die Lebensleistungen der porträtierten Frauen angemessen würdigt. Gleichzeitig wird mit dieser Studie das Bild über den Widerstand im Nationalsozialismus ergänzt und bereichert.

Anmerkungen:
1 Eine Dokumentation wie die ebenfalls von Siegfried Mielke unter Mitarbeit von Günter Morsch herausgegebene zu „Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen“ (3 Bände, 2003-2006), die entsprechend des Charakters dieser Konzentrationslager nur die männlichen Gewerkschafter umfasst, existiert für Gewerkschafterinnen nicht.
2 Vgl. Siegfried Mielke / Matthias Frese (Bearbeiter), Die Gewerkschaften im Widerstand und in der Emigration 1933-1945, Frankfurt am Main 1999.

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