Titel
Graphic History. The Wars, Massacres and Troubles of Tortorel and Perrissin


Autor(en)
Benedict, Philip
Reihe
Travaux d'humanisme et renaissance 431
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
$ 150.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ramon Voges, Historisches Institut, Universität Paderborn

Dieses Buch ist ein wichtiges und, um es gleich vorweg zu sagen, auch ein gutes Buch. Mit ihm erschließt Philip Benedict ein Quellencorpus, das lange Zeit von der Forschung vernachlässigt worden ist, dem aber beinahe jeder früher oder später begegnen dürfte, der sich mit der Geschichte der Französischen Religionskriege beschäftigt. Auf überzeugende Weise untersucht der in Genf lehrende Historiker die sogenannten „Quarante Tableaux“, eine Reihe von Druckgraphiken, die Ereignisse aus den Jahren 1559 bis 1570 darstellen. Eine besondere Bedeutung kommt diesen Blätter allein schon deswegen zu, weil es sich bei ihnen um die erste bekannte Sammlung von Einblattdrucken handelt, die ihre Betrachter über aktuelle Geschehnisse im Medium des Bildlichen informieren sollten. Sie dienten nicht als Illustrationen von geschriebenen oder gedruckten Nachrichten, sondern berichteten eigenständig als Bilder über die dargestellten Vorgänge. Die um 1569/70 in Genf hergestellten Ereignisblätter lassen sich daher als ein publizistisches Experiment verstehen. Da sich auch Philip Benedict auf keine unmittelbaren Vorarbeiten stützen konnte, ist es vermutlich nicht ganz verkehrt, seine Untersuchung ebenfalls als methodologisches Experiment zu bezeichnen.

Die gelehrt geschriebene Studie widmet sich auf der Grundlage umfassender Recherchen in zahlreichen Archiven, Bibliotheken und Museen detailliert der Herstellung, den Vorbildern, Quellengrundlagen und formalen Eigenschaften der Quarante Tableaux. Eine intensive hermeneutische Betrachtung der einzelnen Bilder wird jedoch von Benedict vermieden. Explizit verwahrt er sich in der Einleitung gegen einseitige Interpretationen ihres Aussagewertes, um so der Multiperspektivität und Polyvalenz der Darstellungen gerecht zu werden (vgl. zum Beispiel S. 7). Pointiert gesagt, Benedict geht es vor allem um eine Analyse der Druckerzeugnisse, nicht der Bilder. Dass er ein ausgezeichneter Kenner der europäischen Geschichte des Calvinismus und der frühneuzeitlichen Geschichte Frankreichs ist, merkt man dem Buch auf jeder Seite an.

Im ersten Kapitel geht Benedict ausführlich auf den Vertragsschluss zwischen den beiden niederländischen Auftraggebern einerseits und den französischen Künstlern andererseits ein. Es werden außerdem die Rahmenbedingungen in Genf, die Aufgabenverteilung bei der Herstellung sowie die verschiedenen Eigenschaften damaliger Drucktechniken besprochen. Dabei hebt der Autor den experimentellen Charakter des Unternehmens hervor und betont, dass die beteiligten Künstler mit der Produktion vielfach unbekanntes Terrain betraten. Dies sei auch der Serie anzumerken: „Throughout, hesitation, experimentation, and reconsideration left their marks on it.” (S. 48) Das zweite Kapitel ist den ausführenden Künstlern gewidmet, zu denen nicht nur Jacques Tortorel und Jean Perrissin zu zählen sind, sondern auch die weit weniger bekannten Jacques Le Challeux und Jean II de Gourmont. Aus der Betrachtung ihrer Viten wird deutlich, dass die Quarante Tableaux aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis einer Kooperation zwischen Katholiken und Protestanten waren. Daraufhin wendet sich Benedict den Vorbildern und Vorgängern der Serie zu. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang Darstellungen biblischer Erzählungen sowie profaner Geschichte, aber auch die Entwicklung von Kartographie und Chorographie, der Beschreibung einzelner Orte oder Gegenden. Erst Ende des 15. Jahrhunderts nahm die Zahl der Bildberichte in Europa signifikant zu. Besonders früh entwickelte sich diese Form der Nachrichtenvermittlung in Italien und in den großen Städten im Süden des Heiligen Römischen Reiches, von dort gelangte sie in die Niederlande und schließlich nach Frankreich.

Im vierten Kapitel geht es Benedict um die Informationsquellen der Druckgraphiken. Die Bedeutung von Genf als Umschlag- und Sammelplatz von Nachrichten aller Art wird hier herausgestellt. Das Kapitel liest sich mitunter als eine veritable Quellenkunde zu den Französischen Religionskriegen. Es bietet einen großen und kenntnisreichen Überblick über die Publizistik der Zeit und bespricht die Entstehung verschiedener Textgattungen. Vergleicht Benedict in diesem Kontext die Quarante Tableaux mit anderen zeitgenössischen Berichten, so kommt er beispielsweise für die Blätter 34, 37, 38 und 39 zu dem Schluss, dass sie vollständig mit ihnen übereinstimmten. Sogar die Angaben über die bei einer Belagerung verschossenen Kanonenkugeln entsprächen sich bisweilen. Dafür flössen in die Berichterstattung nur selten direkte Wertungen mit ein; es sei sogar teilweise der Versuch zu erkennen, auch die katholische Sichtweise auf die Vorgänge zu berücksichtigen. Dies träfe insbesondere auf die Darstellung der sogenannten Michelade zu, einem Massaker, das von Protestanten an der katholischen Elite in Nîmes verübt worden ist. Benedict folgert daraus, dass es nicht in erster Linie um eine propagandistische Beeinflussung der Betrachter, sondern um deren Informierung gehe.

Dieser Befund wird im darauffolgenden Kapitel bestätigt und erweitert. Angesichts der nur inkohärenten Quellen, aus denen die Hersteller der Druckserie schöpfen konnten, ist der attestierte Eindruck einer Bricolage nicht überraschend. Wie Benedict in Bezug auf die Auswahl der behandelten Geschehnisse und die entsprechenden Auslassungen feststellt, seien die Quarante Tableaux in der Tat moderat parteiisch, und zwar zu Gunsten der Reformierten. Insgesamt jedoch erschienen sie weit weniger tendenziös als die überwiegende Mehrzahl der zeitgenössischen protestantischen Geschichtswerke. Als kommerzielles Produkt seien die Druckgraphiken eben darauf angewiesen, auch für ein katholisches Publikum in gewissem Umfang anschlussfähig zu sein.

Dieser Anschlussfähigkeit und den damit zusammenhängenden Rezeptionen geht Benedict im letzten Kapitel nach. Er betont, dass die Darstellungen der Quarante Tableaux das historische Gedächtnis nachhaltig geprägt und Eingang in etliche Bibliotheken gefunden hätten. So lassen sie sich zum Beispiel in der Sammlung des Staatsmanns und Historiographen Jacques-Auguste de Thou nachweisen. Johann Albrecht zu Mecklenburg, Colbert, Madame de Pompadour und Marie Antoinette gehörten ebenso zu ihren Eigentümern. Auch Nachahmer wie Franz Hogenberg mit seiner Kölner Werkstatt oder die vielen Gemälde, in denen visuelle Zitate der Quarante Tableaux aufzufinden sind, verdeutlichen die enorme Wirkung dieses publizistischen Experiments. Dass Einblattdrucke im 17. Jahrhundert noch häufig als Bildzeitungen fungierten, zeigen die Arbeiten eines Romeyn de Hooghe sowie zahlreicher weiterer Künstler.

Schließlich werden nach der eigentlichen historischen Untersuchung die Blätter im zweiten Teil abgedruckt und ausführlich kommentiert. Hier kann in Augenschein genommen werden, worauf auf den vorherigen 200 Seiten Bezug genommen wurde. Darüber hinaus werden jeweils Informationen zum abgebildeten Geschehen, zu weiteren zeitgenössischen Darstellungen, zur Forschungsliteratur und Überlieferung geboten. Im Appendix sind die Verträge zwischen den Auftraggebern und den Künstlern wiedergegeben, die bisher noch nicht ediert waren. Eine umfangreiche Bibliographie und ein Register runden das Werk ab.

Das Verdienst von Benedicts Monographie besteht sicherlich in der Verbindung von Altbewährtem mit Neuem, von Sozialgeschichte und Bildern. Die Stärken liegen vor allem auf der genauen Untersuchung der äußeren Umstände, unter denen die Druckgraphiken entstanden. Überhaupt spielen quantitative Aussagen über Preise, Druckauflagen, Papierbögen und dergleichen eine wichtige Rolle. Wie die Bilder jedoch aussehen, bleibt auffallend ungewiss. Im Text werden sie kaum als solche beschrieben oder als Quellen sui generis betrachtet. Darüber täuschen auch nicht die zahlreichen Abbildungen hinweg. Obwohl es sich hier um eine Geschichte visueller Darstellungen handelt, kennzeichnet die Studie über weite Strecken eine Absenz der Bilder. Eine ebenso detaillierte Analyse ihrer visuellen Eigenschaften wäre daher wünschenswert gewesen. Nichtsdestoweniger ist dies ein kluges Buch, das die Fehler einseitiger Interpretationsversuche anderer Forscher nicht begehen will, und auch nicht begeht. Das, was es leisten soll, leistet es. Dabei wagt Benedict aber nur gelegentlich den Blick über den Tellerrand einer bisher immer noch leider allzu textzentrierten Geschichtswissenschaft und übergeht damit beinahe das Bildhafte an den Bildberichten. Dass das Experiment der Quarante Tableaux trotz seines abrupten Endes geglückt ist, lässt sich an seiner enormen Wirkung auf die folgende Bildberichterstattung erkennen. Dass Benedicts Experiment trotz der erhobenen Einwände ebenfalls erfolgreich war, wird sich an den Folgestudien erweisen, die von diesem Buch unzweifelhaft profitieren werden. Denn wer immer etwas zur Herstellung und Verbreitung visueller Nachrichtendrucke der Frühen Neuzeit wissen möchte, sollte zu diesem Buch greifen.

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