Cover
Titel
Carnal Commerce in Counter-Reformation Rome.


Autor(en)
Storey, Tessa
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 296 S.
Preis
$ 99.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Bendlage, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Rom war im 16. und 17. Jahrhundert bekannt für ein Nebeneinander klerikaler Prachtentfaltung und Prostitution. Obschon Zentrum der katholischen Welt, prägte die ‚heilige’ Stadt eine erstaunliche ‚Liberalität’ gegenüber der käuflichen Liebe. Im Zentrum der gelungenen Studie von Tessa Storey stehen die berühmten Kurtisanen, jene ‚gehobenen’ Prostituierten, deren Dienste sich nur wohlhabende Männer leisten konnten. Das 15. und frühe 16. Jahrhundert gilt gemeinhin als ‚goldenes Zeitalter’ des Kurtisanenwesens, das mit den konfessionellen Auseinandersetzungen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Ende gefunden hat. Storey hat die Bedeutung der Konfessionalisierung für die römischen Prostituierten und deren Kunden erstmals genauer in den Blick genommen und festgestellt, dass das ‚Gewerbe’ auch noch bis weit ins 17. Jahrhundert prosperierte.

Zunächst behandelt Storey zeitgenössische Vorstellungen über Prostitution. Sie greift dazu auf Texte und Bilderbögen zurück, die fiktive Lebenserinnerungen von Kurtisanen erzählen. Ein Hauptmotiv dieser frühneuzeitlichen ‚Comics’ beschreibt Aufstieg und Fall der Kurtisane, deren reiches Leben als Folge von Krankheit und Alter in Not endet. Ein anderes gängiges Narrativ betont die Liebesbeziehung zwischen Kunde und Kurtisane. Deutlich werden in allen Beispielen die Kritik an den persönlichen Ambitionen der Frauen und das Streben nach einem besseren Leben. An den frühen Texten fällt der humorvolle Tenor auf, der jedoch im 17. Jahrhundert zugunsten der abschreckenden und disziplinierenden Wirkung ganz verschwindet (S. 53f.).

Im zweiten Teil beschreibt die Autorin den sozialen Kontext des Milieus in Rom. Die Stadt war attraktiv für die Verwirklichung von Karrieren im Bereich der Kurie. Viele Diplomaten lebten in der Stadt, ebenso wie Studenten, Künstler und Handwerker. Das hatte demographische Folgen: Rom war eine Stadt alleinstehender Männer (S. 59). Die Gründe für eine vergleichsweise tolerante Einstellung gegenüber Prostitution sieht die Autorin daher auch im auffallenden Männerüberschuss. Zudem gab es handfeste ökonomische Motive: In Rom wurde das Geschäft mit der Lust ebenso besteuert wie andere Gewerbe. Im Gegenzug waren die Frauen vor Verfolgungen geschützt.

Der dritte Abschnitt ist der Auseinandersetzung zwischen der Kirche und der weltlichen Obrigkeit über die Prostitutionsbekämpfung gewidmet. Mit dem Pontifikat Pius V. 1566 änderte sich die Einstellung spürbar. Es folgten die üblichen Restriktionsinstrumente wie Kennzeichnungspflicht, Ghettoisierung und Strafverfolgung. Der Stadtrat reagierte zunächst verhalten. Im Einzugsbereich des Vatikans, im so genannten ‚Borgo’, wies der Papst schließlich alle Prostituierten aus. Auch die weltliche Obrigkeit bemühte sich in der Folgezeit um eine gewisse Kontrolle. Man wies die Frauen ins Quartier ‚Campo Marzio’ im Norden der Stadt, wo eine sehr gemischte Bevölkerung lebte. Man kann also nicht von einem geschlossenen ‚Rotlicht-Bezirk’ sprechen. Die juristischen Versuche, die Prostituierten von der ehrbaren Bevölkerung zu trennen, rissen in der Folgezeit nicht mehr ab. Während offizielle Dokumente die neue Intoleranz gegenüber den gemeinen Frauen betonen, war der Alltag jedoch nuancierter und weniger restriktiv. So lange die Frauen ihr Gewerbe zurückgezogen ausübten, mussten sie keine Proteste aus der Nachbarschaft oder den Behörden fürchten.

Die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution und die zunehmende Kriminalisierung der Frauen spiegeln sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in den römischen Policeyordnungen deutlich. Dass der postulierte Verfolgungswille in der Praxis schnell an seine Grenzen stieß, gilt inzwischen als Gemeinplatz der kriminalhistorischen Forschung (S. 97). Gerade die gesellschaftlich angesehenen Kurtisanen ließen sich nur schwer kontrollieren. Denn es waren ja die Angehörigen der städtischen Eliten, die die Frauen vor Verfolgung schützten. Dagegen erhöhte sich der Druck auf die schlechter situierten einfachen Prostituierten.

Im fünften Teil rekonstruiert Storey das Profil einer ‚typischen’ Prostituierten. Die gängige Vorstellung von ehrlichem und unehrlichem Lebenswandel werde, so die Autorin, dem Leben der Frauen kaum gerecht. Auffällig ist aber der starke Trend zur Hierarchisierung im ‚Milieu’. Während sich angemeldete – sprich Steuern zahlende – Frauen als ‚ehrbar’ verstanden, wurden heimlich arbeitende Frauen als unehrlich angesehen. Die Grenzen waren im Alltag aber weniger dramatisch, als es die Polizeiberichte und Ordnungen vermuten lassen. Anhand von Zeugenaussagen rekonstruiert die Autorin die Wege in die Prostitution. Die Fallbeispiele zeigen, wie schnell (verheiratete) Frauen in Kontakt mit Männern kamen (S. 118). Zunächst für Aufgaben im Haushalt angestellt, führten solche Arbeitsverhältnisse häufig zu kommerziellem Sex. Kurtisanen mit einem festen Freier fühlten sich besser gestellt als jene als ‚öffentliche Frauen’ bezeichneten Prostituierten, die täglich wechselnde Kunden hatten. Die Angeklagten entwickelten aber gänzlich andere Vorstellungen über ihren Status als ‚freie’ Frau (S. 135). Sie verstanden sich als ‚frei’ im Sinne von unverheiratet und ungebunden, und damit verbanden sie das Recht, über ihren Körper selbst befinden zu können (‚Donna Libera’).

Die in den moralischen Traktaten verbreiteten Stereotype über die Bedeutung der Mütter für den Weg in die Prostitution der Töchter bestätigen sich anhand des empirischen Materials. In Kapitel sechs zeigt Storey allerdings, dass auch Männer ihren Anteil an diesem Lebensweg hatten (S. 139). Sie beschreibt, wie Mütter in die Ausbildung ihrer Töchter ‚investierten’, um sie später als Kurtisane an zahlungskräftige Männer zu vermitteln. Töchter wurden in jungen Jahren als Dienstmädchen zu Kurtisanen geschickt, wo sie auch Schreiben, Lesen, Tanzen und Musizieren lernten. Männer, die ihre Frauen und Töchter zur Prostitution zwangen, fürchteten interessanterweise eher den Ehrverlust, der ihnen durch das Bekanntwerden von Schulden entstehen konnte, als den Ehrverlust ihrer Ehefrauen und Töchter (S. 161).

Betuchte ‚Langzeitkunden’ (‚amico fermo’), die Kleidung und Wohnung bezahlten, waren die solideste finanzielle Absicherung für Kurtisanen. Die überlieferten Testamente und Steuerlisten, mit deren Hilfe Storey die wirtschaftliche Situation der römischen Prostituierten rekonstruiert (Kapitel 7), zeigen große Einkommensunterschiede. Die Mehrheit der Prostituierten war arm, aber immerhin ein Drittel verfügte über einen auskömmlichen Lebensstandard oder galt sogar als wohlhabend.

Das achte Kapitel widmet sich der materiellen Kultur und dem Lebensstil der Kurtisanen. Es ist ein ungewöhnlicher Blick hinter die Kulissen, der vor allem dem Umstand zu verdanken ist, dass die Frauen in Rom im Unterschied zu vielen anderen Städten zuhause arbeiten durften. Storey beschreibt diese Wohnungen als ‚soziale Räume’ der Interaktion mit sehr unterschiedlichen Funktionen. Die Wohnungen waren Treffpunkt der Männer, ihre Besuche ein öffentlicher Referenzpunkt für die Konstruktion ihrer Identität (S. 206f.).

Der abschließende Teil der Untersuchung nimmt die Kunden und die Beziehungen zu den Kurtisanen in den Blick, über die man in vergleichbaren Studien wenig erfährt. Für Kurtisanen war eine homogene Kundschaft aus den gehobenen Kreisen für die Statusabsicherung wichtig. Ähnliches lässt sich bei ihren Kunden beobachten. Sie wurden von Freunden unter Druck gesetzt, wenn sie zu einfachen Prostituierten gingen, denn die Ehre der Kurtisane und die Exklusivität ihres Körpers waren eng verbunden mit der Ehre ihrer Kunden. Storey geht davon aus, dass die Kriminalisierung der Prostitution das Verhältnis zwischen Freier und Prostituierter negativ beeinflusste, was auch in der Sprache vor Gericht deutlich wird. Dort reduzierten die Männer ihre dauerhaften Beziehungen zu Kurtisanen häufig auf kurzfristige Begegnungen. Die Verhörprotokolle zeigen deutlich den Konflikt zwischen männlichen und weiblichen Vorstellungen von Ehre, Freiheit und Sexualität: Frauen pochten auf ein selbstbestimmtes Leben, während Männer auf ihren Kontrollrechten beharrten. Die Mehrzahl der Beziehungen verlief aber in friedlichen Bahnen. Die Zahl der Prostituierten veränderte sich im 16. und 17. Jahrhundert kaum und die Häuser der Kurtisanen blieben trotz päpstlicher Kritik Treffpunkte für das gesellschaftliche Leben wohlhabender Männer. Die ‚römischen Verhältnisse’ können dabei als kulturelle Praxis vieler italienischer Städte angesehen werden. In Europa blieb Italien jedoch die Ausnahme. Das ‚goldene Zeitalter’ der Kurtisanen ging schließlich lautlos zu Ende. Ihre Akzeptanz als integraler Bestandteil römischer (oder besser italienischer) Kulturgeschichte verschwand und wurde durch andere Formen des ‚kulturellen Austausches’ in den höheren Schichten ersetzt (S. 249).

Storeys Untersuchung ist ein gelungener und spannender Beitrag zur Alltagsgeschichte weiblicher Prostitution in der Frühen Neuzeit. Sie verknüpft souverän ihr Forschungsanliegen mit der aktuellen Forschung, ohne diese langatmig auszubreiten. Das liest sich leicht, ohne dabei leichtfüßig zu sein. Durch ihre breite Quellenauswahl ermöglicht sie differenzierte Interpretationen, die gängige Vorstellungen über Ehre, Unehre und Moral erweitern. Sie präsentiert Frauen als Individuen, die trotz aller Härten ihr Schicksal in die Hand nahmen. Die Kurtisanen stellten jedoch nur eine Minderheit des Milieus in Rom. Die meisten Prostituierten dürften auch in der katholischen Metropole am Rande der Gesellschaft und in Armut gelebt haben. Ob sie immer so ‚frei’ waren, wie sie sich selbst verstanden, ist zu bezweifeln.

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