K. Scholz: The Greatest Story Ever Remembered

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Titel
The Greatest Story Ever Remembered. Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als sinnstiftendes Element in den USA


Autor(en)
Scholz, Kristina
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
56,50 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jacob S. Eder, Department of History, University of Pennsylvania

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hat in den USA Konjunktur. Dies zeigen zum Beispiel das erst 2004 eröffnete, äußerst pompöse National World War II Memorial an der National Mall in Washington und der enorme Erfolg von Ken Burns’ Dokumentation „The War“ im Jahr 2007. Warum gerade der „Good War“ (Studs Terkel) sich einer so großen Popularität in den Vereinigten Staaten erfreut und wie er zur „greatest story ever remembered“ werden konnte, ist das zentrale Erkenntnisinteresse der Dissertation von Kristina Scholz, deren chronologischer Schwerpunkt auf der Zeit nach 1990 liegt. In diesen Zeitraum fällt die Errichtung einer Vielzahl von Museen und Denkmälern sowie die Veröffentlichung unzähliger Bücher und Filme zur Thematik – Scholz subsumiert diese unter den Begriff „Erinnerungsmanifestationen“. Runde Jahrestage bedeutender Ereignisse des Zweiten Weltkriegs (wie etwa des Angriffs auf Pearl Harbor oder des D-Day) und auch das allmähliche Sterben der Generation der Veteranen und Zeitzeugen erklären unter anderem das gesteigerte Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an der Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

Scholz erläutert die Leitmotive des amerikanischen Weltkriegsdiskurses und dessen Popularität. Zudem geht sie auf die gesellschaftliche Funktion von „guten Geschichten“ im Allgemeinen ein. „Gute Geschichten“ sind demnach für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft unerlässlich. Sie definieren die Identität einer Gemeinschaft, indem sie der gemeinsamen Vergangenheit einen Sinn verleihen: „Erzählungen über die Vergangenheit einer Gesellschaft vermitteln Werte, moralische Leitlinien und Legitimationsgrundlagen für das Handeln dieser Gesellschaft und ihrer Mitglieder.“ (S. 300) Solche Erzählungen müssen laut Scholz einfach strukturiert, sozial integrativ, flexibel, lebendig (Zeitzeugen), gut über Medien vermittelbar, „historisch fesselnd“ sowie „menschlich interessant“ und schließlich „zeitlos“ sein (S. 295ff.). Die amerikanische „Geschichte“ vom Zweiten Weltkrieg enthält all diese Kriterien.

Einem ersten Kapitel zu theoretischen Aspekten der Erinnerungsforschung folgt ein knappes Kapitel über die Entwicklung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1990. Darin hebt Scholz vor allem dessen Interpretation als „guter Krieg“ und „Verteidigungskrieg“ im amerikanischen „historischen Gedächtnis“ hervor. Bevor sie in einem kurzen Kapitel auf die – ihrer Ansicht nach geringe – Rolle der Geschichtswissenschaft im Diskurs über den Krieg eingeht, analysiert Scholz ausführlich „Erinnerungsmanifestationen“, „sinnstiftende Geschichten“, Tabuthemen („blinde Flecken“), die „Hüter“ der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und deren Strategien sowie den Stellenwert des Weltkriegs für das Selbstverständnis der USA seit etwa 1990. Dieses Kapitel (S. 137-275) bildet den Schwerpunkt der Arbeit.

Zunächst stellt Scholz eine Reihe von „Erinnerungsmanifestationen“ seit 1990 vor, wie Stephen Ambroses Buch „Band of Brothers“ (1992) oder Steven Spielbergs Kinofilm „Saving Private Ryan“ (1998). Ursächlich für die hohe Integrationskraft und das enorme Identifikationspotenzial dieser „Manifestationen“ zum Zweiten Weltkrieg seien einfache Strategien bei der Vermittlung an ein breites Publikum, wie zum Beispiel „Emotionalisierung“, „Dramatisierung“ oder „Personalisierung“. Scholz geht nicht nur den Funktionsweisen einzelner Erzählungen nach, sondern setzt sich auch das Ziel, die Verbreitung und Konfrontation konkurrierender Erzählungen zu ergründen. Bestimmte Interpretationen des Krieges werden demnach von „Erinnerungshütern“ verbreitet, also Politikern, Journalisten, Autoren, Filmemachern oder Angehörigen von Veteranen- und anderen Interessenverbänden. Bei der Beschreibung dieser Akteure und ihrer Beweggründe offenbart sich jedoch einer der zentralen Schwachpunkte von Scholz’ Dissertation. Anstatt die „Erinnerungshüter“ und ihre Motivationen genauer zu untersuchen – zum Beispiel durch Interviews oder den Besuch in einem (Verbands-)Archiv –, begnügt sich die Autorin mit einer oberflächlichen und überblicksartigen Darstellung. So wird kaum verständlich, warum erst beinahe 60 Jahre nach Kriegsende ein nationales Kriegsdenkmal in Washington errichtet wurde. Politische Hintergründe hätten hier viel umfangreicher ausgelotet werden müssen, als Scholz dies auf nicht einmal einer halben Seite tut (S. 143f., S. 215f.).

Aufschlussreich ist dagegen die Untersuchung bestimmter sprachlicher Muster, die den Diskurs über den Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Öffentlichkeit dominieren. Das markanteste Beispiel hierfür ist die Bezeichnung der amerikanischen Kriegsgeneration als „Greatest Generation“. Ihr wird nicht nur der Sieg über „das Böse“ schlechthin zugeschrieben, sondern auch die Etablierung der USA als Supermacht in der (westlichen) Welt. Neuerdings wird diese Deutung, wie Scholz erläutert, aber vermehrt kritisch hinterfragt – unter anderem um zu zeigen, dass viele Mitglieder dieser Generation schwer geschädigt und traumatisiert aus dem Krieg heimkehrten.

Bestimmte Ereignisse werden in der amerikanischen Öffentlichkeit nach wie vor nur ungern oder gar nicht thematisiert. Auch diesen „blinden Flecken“ geht Scholz nach. Neben dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki oder der Traumatisierung der GIs ist hier vor allem die Internierung von etwa 120.000, vermeintlich illoyalen, Japanese Americans nach dem Angriff auf Pearl Harbor gemeint. Mit dieser unrühmlichen „Geschichte“ tut sich die amerikanische Gesellschaft immer noch schwer. Wiedergutmachungszahlungen und lokale Ausstellungen zielten daher eher auf einen „Schlussstrich“ unter dieses Kapitel denn auf eine dauerhafte Integration in die „gute Geschichte“ des Weltkriegs ab. Dementsprechend ist das kleine und versteckt gelegene National Japanese American Memorial To Patriotism During World War II in Washington nicht nur den ehemals internierten, sondern auch den gefallenen Japanese Americans gewidmet. Das „Hüten unangenehmer Erinnerung“ (S. 278) fällt, so Scholz, dann vor allem in den Aufgabenbereich der Geschichtswissenschaft.

Was bedeutet dies alles nun für das amerikanische Selbstverständnis und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten? Unter anderem durch eine Analyse von Reden US-amerikanischer Präsidenten zeigt Scholz, wie sehr sich das Selbstbild als Nation der Freiheit und Demokratie aus der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg speist und durch eine entsprechende Deutung der amerikanischen Kriege nach 1945 zementiert wird. So soll zum Beispiel eine „Märtyrer-Heilsbringer-Dichotomie“ (S. 252) nicht nur ex post militärische Katastrophen wie den Vietnamkrieg rechtfertigen, sondern auch konkrete Lehren für die Außenpolitik bereithalten: Dem „Opfer“ von Pearl Harbor sei die Befreiung Europas und Asiens gefolgt. Analog dazu traten die USA nach dem „Opfer“ des 11. September 2001 erneut zu einem Befreiungskreuzzug an. Dabei sieht sich Amerika, egal ob in Opferrolle oder Heldenpose, stets als „gut“ – die „Bösen“ sind immer die anderen, auch wenn dies tausendfaches Leiden und Sterben für unschuldige Zivilisten bedeutet.

Trotz der Verdienste des Buches – vor allem die umfangreiche Analyse eines vielfältigen Quellenmaterials populärer Geschichtsdarstellungen sei ausdrücklich hervorgehoben – sind einige Aspekte zu bemängeln. Nicht nachvollziehbar ist etwa, warum Scholz die amerikanische Erinnerung an den Holocaust konsequent ausklammert – mit der Begründung, sie unterliege „eigenen Regeln“ (S. 53). Dies überrascht nicht nur ob der Präsenz des Holocaust in der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern auch aufgrund seiner Relevanz für die Interpretation der Geschichte des Zweiten Weltkriegs in den USA (Stichwort: „liberation“). Der theoretische Teil zur Funktionsweise „guter Geschichten“ ist durchaus spannend und hilfreich, verwässert die eigentliche Argumentationslinie des Buches aber ein wenig. Ist der Zweite Weltkrieg in den USA nun wirklich die „greatest story ever remembered“ oder nur eine „gute Geschichte“, die man vielleicht doch besser in die lange Tradition des American Exceptionalism hätte einordnen sollen? Eine Antwort bleibt Scholz dem Leser weitgehend schuldig.

Insgesamt mangelt es der Dissertation an Tiefenschärfe. Der Besuch in dem einen oder anderen Archiv sowie Zeitzeugeninterviews wären lohnend gewesen, um Hintergründe und Konflikte genauer zu verstehen. Die amerikanische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg kann nicht nur anhand von „Erinnerungsmanifestationen“ ergründet werden.