H. Weber: Damals als ich Wunderlich hieß

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Titel
Damals als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule "Karl Marx" bis 1949


Autor(en)
Weber, Hermann
Erschienen
Berlin 2002: Aufbau Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Beatrix Bouvier, Institut für Sozialgeschichte Bonn

Jeder, der sich mit der Geschichte der DDR und der des deutschen Kommunismus befasst oder befasst hat, kennt Hermann Weber als den »Nestor« der deutschen Kommunismusforschung. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich wissenschaftlich mit der Geschichte der DDR und der kommunistischen Bewegung, die zu seinem Lebensthema geworden sind. Dies war es schon zu einer Zeit, als die so genannte DDR-Forschung noch nicht so boomte, wie sie dies heute tut, als es noch keinen Zugang zu den Archiven mit ihren umfangreichen Quellen gab, mit deren Hilfe heute manches differenziert belegt werden kann, was Hermann Weber schon lange vorher aufgrund eigenen Erlebens und genauester ständiger kritischer Beobachtung vor allem über die DDR schrieb. Somit gehörte er auch zu den wenigen westdeutschen DDR-Forschern, die ihr Urteil nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems und dem Untergang der DDR im Grundsatz nicht revidieren mussten, auch wenn das Ende, so wie es kam, nicht vorherzusagen war.

Als Prognostiker hat er sich nicht verstanden und nicht betätigt, wohl aber als ein Historiker, der zugleich bis zu einem gewissen Grad Zeitzeuge ist, stammt er doch selbst aus der kommunistischen Bewegung, von der er sich in einem schmerzhaften Prozess löste. Nie war er ein Renegat, der eifernd das verdammte, woran er einst selbst geglaubt hatte, auch dann nicht, wenn er frühzeitig und wiederholt darauf verwies, dass es zu den Besonderheiten und Eigentümlichkeiten der kommunistischen Bewegung gehörte, dass sie sich selbst mehr Opfer zufügte, als ihr Kampf mit den Gegnern kostete. Das führte gelegentlich zu heftigen Auseinandersetzungen. Es war zwar auch als eine Anklage zu verstehen, war aber nie in der Form denunziatorisch, wie dies heute manchmal wohlfeil ist, sondern stets mit dem Bemühen verbunden, Deformierungen einer Bewegung aufzuzeigen, die ursprünglich einmal mit auch humanistischen Visionen angetreten war, mit dem Wunsch und der Vorstellung von einer gerechteren, friedlichen und solidarischen Welt.

Nicht diese Vision und dieses Ziel hat er gelernt abzulehnen, wohl aber den Weg und die Mittel der Diktatur, mit deren Hilfe versucht worden ist, sie durchzusetzen. Nie hat er jemanden verdammt, der an dieses Ziel glaubte und bei seinem Glauben blieb, ihn interessierte vielmehr, wie es dazu kam, dass sich Menschen und dass sich der kommunistische Zweig der Arbeiterbewegung so sehr verformen konnten und sich weit von den Prinzipien der Aufklärung entfernten. Sein Bewertungsmaßstab, den er selbst als »Prinzip Links« definierte, war dabei die Emanzipation und Selbstbestimmung der arbeitenden Menschen in einer solidarischen Gesellschaft, die Garantie der politischen Demokratie und der Rechtssicherheit und schließlich der Respekt vor den Freiheitsrechten eines jeden Individuums.

In seinen nun vorgelegten »Erinnerungen« über die Erlebnisse des jungen Kommunisten Hermann Wunderlich an den ersten Zweijahreslehrgang der im Oktober 1947 in der damaligen SBZ eröffneten SED-Parteihochule »Karl Marx« zunächst in Liebenwalde, dann in Kleinmachnow, schildert er sowohl seine persönlichen Erlebnisse, seinen Werdegang, aber wie in einem Brennglas auch die sich in diesen entscheidenden Jahren der SBZ und bevorstehenden DDR vollziehende Entwicklung des Aufbaus der SED-Herrschaft, die Stalinisierung der anfangs heterogenen Partei, die in der Etablierung der stalinistischen Diktatur im Zuge des Kalten Krieges mündete. Wunderlich war der illegale Name, den man ihm für diese zwei Jahre gab, weil er einer von sieben der über siebzig Kursanten, darunter der spätere DKP-Vorsitzende Herbert Mies, war, die illegal aus den Westzonen in die SBZ geschleust worden waren, um in dieser neu errichteten Kaderschmiede der SED für künftige Aufgaben geschult zu werden.

Die meisten dieser aus den Westzonen stammenden Parteihochschüler unterschiedlichen Alters stammten wie Hermann Weber aus der KPD. Für die Entsendung zu diesem Kurs und für die denkbaren Auswahlkriterien hatte er eine geradezu »blütenreine« Herkunft. Der Mannheimer Arbeitersohn war sechs Jahre alt, als die Gestapo des »Dritten Reiches« seinen Vater verhaftete und für anderthalb Jahre ins Gefängnis sperrte, weil er illegal für die KPD gearbeitet hatte. Die Haftzeit änderte die politischen Anschauungen des Vaters nicht, prägte sich seinem Sohn aber tief ein, der als Jugendlicher dem väterlichen Vorbild folgte und ein ebenso vehementer Gegner des Nationalsozialismus wie überzeugter Kommunist wurde. Er wurde sofort nach Kriegsende nicht nur Mitglied der Mannheimer KPD, sondern eben auch ein überzeugter und gläubiger, wenn auch stets kritischer Kommunist, war er doch schon frühzeitig eher zufällig auf eine ihn beeinflussende – u. a. anarchistische – Lektüre gestoßen, die mit der herrschenden Linie nicht konform war. Dieses Recht auf selbständige Lektüre und eigenes Denken hielt er für selbstverständlich, für geradezu notwendig nach den Jahren der Unterdrückung durch den Nationalsozialismus, und dies ließ er sich auch nicht nehmen, als es dann auf der Parteihochschule immer gefährlicher wurde und er lernen musste, dies nur heimlich tun zu können, bis es schließlich für ihn und für andere gar nicht mehr möglich war.

Doch da hatte die anfängliche relative Liberalität der Parteihochschule, die ihm eigenständige Lektüre und eigenes Denken ermöglichte, ihm schon den Stempel aufgedrückt, sodass er sich nur widerstrebend, äußerlich – und mit großen „Bauchschmerzen“ – den zunehmenden Zwängen anpasste, wofür er sich selbst schämte. Und er leugnet nicht, dass für nicht wenige die Anpassung auch dadurch erleichtert wurde, dass die Parteihochschüler in diesen Notjahren nicht geringe Privilegien genossen. Sie lebten besser als die Bevölkerungsmehrheit zumindest in der Ostzone, hatten ausreichendes Essen, bekamen Kleidung und Zigaretten, konnten Kulturveranstaltungen besuchen und eine gut ausgestattete Bibliothek benutzen.

Im Rahmen seiner Lektüre hatte er sich frühzeitig an die Devise Trotzkis gehalten, man könne die Wahrheit vielleicht finden, wenn man die Lügen vergleiche. Das tat er auch auf der Parteihochschule und stieß frühzeitig auf die ihn irritierenden stalinistischen Säuberungen der dreißiger Jahre, die ihn mehr als nachdenklich machten, ihn dann jahrzehntelang beschäftigten und zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit den doktrinären Kommunisten und ihrer Geschichtsschreibung führten, weil sie diese beschönigten oder gar leugneten.

Wenn das Wort geht, der Zeitzeuge sei in der Regel der größte Feind des Historikers, so kann dies für die Erinnerungen von Gerda und Hermann Weber nicht gelten. Beide haben sich weder den Emotionen noch den Erinnerungen allein überlassen, sondern haben diese durch sorgfältige Archivrecherchen und – soweit möglich – durch Befragungen von ehemaligen Mitschülern und Dozenten abgesichert und ergänzt. Und Hermann Weber wäre nicht der Historiker, der er ist, wenn er seine eigenen Erlebnisse bloß sorgfältig dokumentieren wollte, sondern nicht auch reflektieren würde, welche tiefen politischen, gesellschaftlichen, aber eben auch persönlichen Einschnitte diese zwei Jahre von 1947 bis 1949 für ihn und seine Frau, die er auf der Parteihochschule kennen gelernt hatte, bedeuteten.

Mit diesem Wissen liest man mit großem Gewinn, wie sich der anfangs von Hermann Weber noch als liberal empfundene Lehrbetrieb mit der Verlegung der Parteihochschule nach Kleinmachnow unmerklich und dann immer spürbarer veränderte, bis die Atmosphäre dann geradezu vergiftet war, was spätestens nach der Flucht von Wolfgang Leonhard im März 1949 nach Jugoslawien offenkundig wurde. Inhaltlich zeigte sich dieser Wandel, als mit dem Beginn des dritten Semesters 1948/49 Stalins schon damals berüchtigter »Kurzer Lehrgang« der Geschichte der KPdSU zur Pflichtlektüre wurde. Erst damit, so die Bilanz Webers, sei die Parteihochschule zu jener Indoktrinationsanstalt stalinistischen Typs geworden, die die SED als «Partei neuen Typs« wollte und die sie vorher so noch nicht war.

Es gehört zu den Besonderheiten an diesen Erinnerungen, dass Hermann Weber diese Veränderungen und die Funktionsmechanismen der Parteihochschule mit den ihr abverlangten und zugewiesenen Aufgaben der Kaderausbildung nicht nur am äußeren Ablauf des Schulbetriebs, an den unterschiedliche Reden und Vorträgen führender Parteifunktionäre schildert, sondern auch am Werdegang seiner Mitschüler und Dozenten aufzeigt, soweit er diese jeweils rekonstruieren konnte. Es sind häufig kleine Mosaiksteine, die er zusammenträgt und die ein teilweise bedrückenden Bild ergeben. Obwohl die Absolventen dieses Kurses durchaus gute Startbedingungen hatten, wurden sie doch noch nicht die »Elite«, die sie eigentlich werden sollten. Es wurden vielfach Lebenswege, die weder den Erwartungen der Kursanten noch den Vorstellungen der Parteiführung bei Beginn des Lehrgangs entsprochen hatten, in den sie immerhin immens viel Geld gesteckt hatte. Hermann Weber beschreibt diesen Lehrgang letztlich als Misserfolg für die SED, wohl auch, weil sich darin wie in den einzelnen Biographien der Wandel der SED zur »Partei neuen Typs« widerspiegelte, die deren Heterogenität beseitigte, die es eben auch in den Lebensläufen gab. Der parteilich indoktrinierte und folgsame Parteisoldat konnte dabei noch nicht herauskommen, den gab es erst danach.

Trotz dieser negativen Erfahrungen und wenig erfreulichen Bilanz kann Hermann Weber auf seine Zeit als »Wunderlich« ohne Zorn zurückblicken. Sie bleibt eine wichtige und schmerzhafte Erfahrung seines Lebens, wohl auch, weil sie seinen Ablösungsprozess vom Kommunismus beschleunigte, auch wenn dieser dann in Westdeutschland noch ein paar Jahre dauerte und ihm das Leben dort auch nicht einfach gemacht wurde. Für den Leser ist dieses Buch eine zwar gewinnende, aber keineswegs einfache Lektüre, denn Hermann Weber setzt voraus, dass man grundsätzlich mit der Materie vertraut ist. Immer wieder verweist er bei Schilderungen darauf, dass Wichtiges längst woanders publiziert ist. Dennoch vermittelt er Einblicke in eine Welt, die es nicht mehr gibt und die für Nachgeborene nur schwer zu begreifen ist. Aber gerade weil es keine Abrechnung ist, weil er um Verständnis bemüht ist, wirken diese Erinnerungen so überzeugend, weil die beiden Menschen, die dahinter sichtbar werden, weil Gerda und Hermann Weber persönlich überzeugen. Dies mag anregend auch für diejenigen sein, die mit den Details nicht so vertraut sind, wie Historiker, die sich mit dieser Materie beschäftigen.

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