S. Brather (Hrsg.): Zwischen Spätantike und Frühmittelalter

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Titel
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Archäologie des 4. bis 7. Jahrhunderts im Westen


Herausgeber
Brather, Sebastian
Reihe
Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände 57
Erschienen
Berlin 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
VII, 480 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Bockmann, Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der von Sebastian Brather herausgegebene Ergänzungsband 57 des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde (RGA) enthält die schriftlichen Fassungen von 15 Beiträgen, die auf der 2005 in Freiburg veranstalteten Tagung „Gräber, Siedlungen und Identitäten. Das 4. bis 7. Jh. im Westen“ gehalten wurden. Einführung und Zusammenfassung stammen von Sebastian Brather, der selbst mit seinem Werk zur ethnischen Deutung in der Archäologie des frühen Mittelalters viele der Beiträge in diesem Band grundlegend beeinflusst hat.1 Während die Einleitung vor allem das Ziel der Tagung, verschiedene Ansätze in der Frühmittelalterforschung zusammenzuführen, und den Aufbau des vorliegenden Bandes erläutert, gibt Brather abschließend kurze Zusammenfassungen der wichtigsten Aussagen der Artikel und einen perspektivischen Ausblick.

Der Band ist in fünf Sektionen aufgeteilt. Die erste Sektion zum Verhältnis zwischen historischen und archäologischen Quellen beginnt mit einem Beitrag von Walter Pohl, der sich mit den methodischen Grundlagen zur Erforschung von Identitäten im Frühmittelalter beschäftigt („Spuren, Texte, Identitäten. Methodische Überlegungen zur interdisziplinären Erforschung frühmittelalterlicher Identitätsbildung“). Pohl, der in den letzten Jahren zahlreiche grundlegende Publikationen zum Thema vorgelegt hat 2, plädiert für eine Abkehr von traditionellen Ethnizitätskonzepten in der Tradition der Siedlungsarchäologie und dafür, ethnische Identität als Teil einer umfassenden sozialen Praxis anzusehen, die ebenso integrativ wie abgrenzend gebraucht werden konnte. Michael Kulikowski beschäftigt sich im Folgenden mit der Frage „Wie Spanien gotisch wurde. Der Historiker und der archäologische Befund“. Er setzt sich unter anderem mit den als „westgotisch“ interpretierten Gräberfeldern der kastilischen Meseta auseinander, weist auf die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten in der Aussagefähigkeit hin und interpretiert sie schließlich als Niederschlag einer eigenen lokalen Entwicklung fernab des westgotischen Zentrums in der Tarraconensis, wenn auch unter dessen Einfluss.3 Philipp von Rummel schließt diesen ersten Teil mit einem Beitrag über „Ambrosius, Julianus Valens und die ‚gotische‘ Kleidung. Eine Schlüsselstelle historisch-archäologischer Interpretation“ ab, in dem er darlegt, dass Ambrosius von Mailand mit seinem Vorwurf der „gotisch-heidnischen“ Anbiederung an seinen politisch-religiösen Gegner, den homöischen (bzw. „arianischen“) Bischof Julianus Valens, diesen beim Kaiser des Sakrilegs anklagen wollte, wobei die zitierten materiellen Attribute Halsring und Armreifen nicht als Anzeiger ethnischen Gotentums, sondern als militärische Ehren- und Rangabzeichen zu verstehen sind, die vor allem Julianus Valens’ Einfluss beim Militär verdeutlichen sollten.4

Im zweiten Abschnitt beschäftigen sich zwei Artikel zunächst mit Bestattungen: Hubert Fehr („Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung? Zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes“) interpretiert die Nekropolen des Reihengräberhorizonts als materielle Zeugnisse, die die verschiedenen Einflüsse anzeigen, der die Grenzregion des Limes ausgesetzt war, und wendet sich damit von Positionen ab, die diese als Zeichen germanischer Einwanderung sehen wollen. Guy Halsall, selbst profunder Kenner der merowingischen Gräberarchäologie 5, steht ebenfalls ethnischen Interpretationen im klassischen Sinn skeptisch gegenüber und betrachtet in seinem Beitrag („Gräberfelduntersuchungen und das Ende des römischen Reichs“) Gräberfelder vor allem als Quellen zur Sozialgeschichte. Dabei kann er nachweisen, dass die frühmerowingischen Bestattungen Nordgalliens im Kontext des Rückzugs der kaiserlichen Verwaltung Ausdruck des lokalen Autoritätsanspruchs einer an die Peripherie geratenen Elite darstellen und damit belegen, dass politische Veränderungen in dieser Zeit sehr wohl zeitnah und aufmerksam auch am Rand der römischen Welt wahrgenommen worden sind. Die zweite Sektion wird durch einen Beitrag von Bonnie Effros abgeschlossen 6, der sich mit der Forschungsgeschichte der frühchristlichen Archäologie in Frankreich beschäftigt („Auf der Suche nach Frankreichs ersten Christen. Camille de la Croix und die Schwierigkeiten eines Klerikers als Archäologe im späten 19. Jh.“).

Auch in der dritten Sektion, die mit „Archäologie der gentes“ überschrieben ist, liegt der Schwerpunkt auf der Gräberarchäologie. Den Beginn machen hier Michel Kazanski, Patrick Périn und Anna Mastykova („Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien. Zum Stand der Forschung“), die das Fundmaterial der nordgallischen Nekropolen der frühen Merowingerzeit betrachten, um dieses auf Ähnlichkeiten mit als westgotisch interpretiertem Fundmaterial zu untersuchen und schließlich als Zeugnis einer kleinen eingewanderten Gruppe im Militärdienst zu deuten. Antonel Jepure („Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie. Zurück zu den Altgrabungen anhand bisher unausgewerteter Dokumentationen“) wendet sich wie Kulikowski in der ersten Sektion den westgotenzeitlichen Gräberfeldern der kastilischen Meseta zu und kann anhand neu bearbeiteter Altdokumentationen Perspektiven aufzeigen, wie trotz der forschungsgeschichtlichen Schwierigkeiten, die mit diesen bedeutenden Nekropolen verbunden sind, zusätzliche Informationen gewonnen werden können. Claudia Theune beschäftigt sich in ihrem Beitrag („Methodik der ethnischen Deutung. Überlegungen zur Interpretation der Grabfunde aus dem thüringischen Siedlungsgebiet“) mit den thüringischen Gräberfeldern.7 Durch einen konsequenten Einbezug der Kontexte der Bestattungen inklusive des Verhältnisses der Nekropolen zu den Siedlungen kann sie eine Kontinuität innerhalb der Bestattungssitten und der verwendeten Beigaben zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert nachweisen und darlegen, dass das Material, das traditionell als „thüringischer Trachtkreis“ bezeichnet wird, weiter als nur im angenommenen thüringischen Siedlungsgebiet verbreitet ist, in dem zudem auch „fremde“ Objekte auftreten, womit erneut die methodischen Schwierigkeiten in einer Konzentration auf „ethnische Marker“ im Fundmaterial offen gelegt werden.

Sebastian Brather eröffnet den nächsten inhaltlichen Abschnitt des Bandes, der sich mit „Bestattung und Identität“ auseinandersetzt. Sein Artikel („Kleidung, Bestattung, Identität. Die Präsentation sozialer Rollen im frühen Mittelalter“) stellt in erster Linie eine theoretische Auseinandersetzung mit der Bestattung als sozialer Aktion dar, deren oberstes Ziel nach Brather die Positionierung des Bestatteten und der direkt mit ihm verbundenen Personen innerhalb der lokalen Gesellschaft ist, wobei Kleidung, aber auch mit der Bestattung verbundene Rituale in erster Linie die soziale und nicht die ethnische Identität inszenieren. Der folgende Beitrag von Eva Stauch („Alter ist Silber, Jugend ist Gold! Zur altersdifferenzierten Analyse frühgeschichtlicher Bestattungen“) korreliert anthropologische Altersbestimmungen mit der Ausstattung der Bestatteten und kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass bei jüngeren Frauen eher goldene bzw. goldfarbene (vergoldetes Silber, Bronze) Gegenstände mit ins Grab gelangt sind, während es bei älteren Frauen eher silberne waren, was impliziert, dass goldene Beigaben ebenso Anzeiger der horizontalen und nicht unbedingt nur der vertikalen Abstufung innerhalb der Gräberfelder sein kann. Im folgenden Artikel kann Karen Hoilund Nielsen („Stil II als Spiegel einer Elitenidentität? Der Tierstil von der Herkunftsmythologie bis zur Königssymbolik und Kirchenkunst im angelsächsischen Britannien“) zeigen, dass frühmittelalterliche Funde mit Tierstil II-Ornamentik in England ausschließlich bei männlichen Angehörigen einer Elite wohl als Legitimationsmittel eingesetzt worden sind, während Tierstil I-Verzierungen einerseits einer breiteren Schicht zuzuweisen und andererseits auf mit Frauen verbundenen Objekten häufiger anzutreffen sind. Schließlich stellt Lyn Blackmore („Schätze eines angelsächsichen Königs von Essex. Die Funde aus einem Prunkgrab von Prittlewell und ihr Kontext“) die spektakulären Funde aus einem reichen Oberschichtgrab der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts in Prittlewell im englischen Southend-on-Sea vor, das als mögliches Königsgrab angesprochen wird.

Zwei Beiträge befassen sich in der letzten Sektion schließlich mit „Handwerk und Austausch“. Hans-Ulrich Voss („Fremd – nützlich – machbar. Römische Einflüsse im germanischen Feinschmiedehandwerk“) untersucht den Technologietransfer zwischen Handwerkern aus dem Römischen Reich und den Regionen nördlich davon und kann zeigen, dass eine bewusste Auswahl römischer Techniken stattgefunden hat, deren Anwendung und Weiterentwicklung vom Stilempfinden der nicht-römischen Elite bestimmt war, in dem sich auch Modeströmungen der Zeit niederschlugen. Jörg Drauschke beschäftigt sich mit mediterranen Objekten in westeuropäischen Fundkontexten des frühen Mittelalters, kritisiert die pauschale Einordnung dieser Objekte als „byzantinisch“ als zu ungenau und verfolgt Herkunft und Verbreitung einer Reihe von Fundgattungen. Zudem weist er darauf hin, dass Handel keineswegs der einzige Übermittlungsweg gewesen sein muss, und plädiert daher generell für eine differenziertere Auseinandersetzung mit Importfunden in dieser Zeit.

Der von Brather herausgegebene Band fügt sich in die Reihe der Ergänzungsbände des RGA ein, in der in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Veröffentlichungen zur „völkerwanderungszeitlichen“ bzw. frühmittelalterlichen Archäologie erschienen sind. Eine stärkere Vernetzung archäologischer und historischer Forschung, wie in der Einleitung von Brather gefordert, erscheint angesichts der äußert komplexen Entwicklungen der Zeit in der Tat in noch größerem Maße wünschenswert, gerade um die theoretischen Stärken in der historischen Forschung mit der archäologischen Materialgrundlage zu verbinden, die durchaus zu anderen Ergebnissen als den aufgrund historischer Informationen erwarteten führen kann. In diesem Sinne ist der Band eine sehr gelungene Zusammenstellung wichtiger Forschungen vor allem archäologischer Natur auf diesem Gebiet, wobei er gleichzeitig auch theoretisch ausgerichtete Artikel enthält. Der Band stellt damit in der Tat, wie Brather in der Zusammenfassung schreibt, eine Ergänzung zu der sehr weitreichenden Arbeit der von der European Science Foundation geförderten Arbeitsgruppe zur „Transformation of the Roman World“ dar, die vornehmlich historische Projekte einschloss.8 Einflussreiche Untersuchungen der letzten Jahre, die zahlreiche neue Perspektiven auf die Frühmittelalterforschung gerade auch aus archäologischer Sicht erschlossen haben, sind im vorliegenden Band durch Beiträge der entsprechenden Autoren berücksichtigt, so dass man sich im Hinblick auf weiteren interdisziplinären Austausch mehr Publikationen dieser Art wünschen würde.

Anmerkungen:
1 Sebastian Brather, Ethnische Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie, Berlin 2004.
2 Aus der umfangreichen Publikationstätigkeit Pohls sind in diesem Zusammenhang vor allem Walter Pohl, Telling the Difference: Signs of ethnic identity, in: Walter Pohl / Helmut Reimitz (Hrsg.), Strategies of Distinction, Leiden 1989, S. 17–69 und Walter Pohl, Die Völkerwanderung, Stuttgart 2002 zu nennen.
3 Kulikowski hat ausführlich über die Städte Spaniens in der Spätantike und zur Westgotenzeit gearbeitet, als Monographie erschienen ist: Michael Kulikowski, Late Roman Spain and its Cities, Baltimore 2004.
4 Mit dem Thema befasst sich auch ein Kapitel seiner 2007 als Ergänzungsband des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde (Bd. 55) erschienenen Dissertation: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert, Berlin 2007.
5 Vgl. Guy Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation: forty years on, in: John Drinkwater / Hugh Elton (Hrsg.), Fifth-century Gaul: a crisis of identity, Cambridge 1992, S. 196–207; Settlement and social organisation: the Merovingian region of Metz, Cambridge 1995; Burial writes. Graves, „texts“ and time in early Merovingian northern Gaul, in: Jörg Jarnut / Jörg und Matthias Wemhof (Hrsg.), Erinnerungskultur im Bestattungsritual, München 2003, S. 61–74.
6 Bonnie Effros’ eigentlicher Forschungsschwerpunkt liegt ebenfalls in der merowingischen Gräberarchäologie: Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages, Berkeley, Los Angeles 2003
7 Theune hat selbst eine viel beachtete Monographie in der Reihe der Ergänzungsbände beigesteuert hat: Claudia Theune, Germanen und Romanen in der Alamannia. Strukturveränderungen aufgrund der archäologischen Quellen vom 3. bis zum 7. Jahrhundert, Berlin 2004.
8 Unter dem Titel „Transformation of the Roman World“ ist zwischen 1997 und 2004 bisher eine Reihe von 14 Sammelbänden erschienen.

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