R.-P. Märtin: Die Varusschlacht

Cover
Titel
Die Varusschlacht. Rom und die Germanen


Autor(en)
Märtin, Ralf-Peter
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: S. Fischer
Anzahl Seiten
460 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das umfangreiche und mit vielen Abbildungen versehene Werk Märtins zur Varusschlacht wendet sich an ein breiteres Publikum. Es ist in einem populärwissenschaftlichen, unterhaltsamen Stil geschrieben, stützt sich jedoch durchweg auf die Breite der vorhandenen Quellen und wertet die neueste archäologische und althistorische Forschungsliteratur aus, so dass der Anmerkungsapparat den wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Geschrieben wurde das Buch im Hinblick auf die 2000-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald, die in diesem Jahr gleich mit drei Ausstellungen in Detmold, Haltern und Kalkriese sowie mit einem Kongress in Osnabrück begangen werden soll.

Nach einem literarisch geschickten Prolog über die Aufnahme der Hiobsbotschaft von der Varusschlacht in Rom im Herbst des Jahres 9 n.Chr. skizziert Märtin in anschaulicher Weise die höchst unterschiedlichen Lebensverhältnisse von Römern und Germanen und spannt dabei den Bogen von den Einfällen der Kimbern und Teutonen bis zur Regierung des Augustus (S. 13-65). Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Phase der Eroberung Germaniens durch die Feldherren Drusus und Tiberius zwischen 15 v.Chr. und 6. n.Chr. (S. 66-133). Das neunte Kapitel „Die Schule des Arminius“ liefert einen instruktiven Exkurs zur römischen Armee (S. 134-151), die beiden folgenden stellen die Protagonisten Varus und Arminius vor. Interessant ist die umsichtige Zusammenstellung aller Motive, die aus dem „Römerfreund“ Arminius einen „Römerfeind“ gemacht haben könnten (S. 176f.). Der im Buchtitel genannten Schlacht ist das zwölfte Kapitel gewidmet (S. 182-221). Darin wird das Geschehen ausführlich nachgezeichnet, so gut dies nach den vorhandenen Quellen möglich ist. Als Hauptkampfort entscheidet sich Märtin für die Fundstelle Kalkriese. Kapitel XIII erörtert das Geschehen in Rom und am Rhein zwischen 10 und 14 n.Chr. unter der nicht ganz zutreffenden Überschrift „Die Rache Roms“, die für die Schilderung der Feldzüge des Germanicus in den Jahren 14 bis 16 passender gewesen wäre (S. 222-239). Um diese geht es in den beiden folgenden Kapiteln (S. 240-267). Ein Epilog bietet einen Ausblick auf die weitere Entwicklung der römisch-germanischen Beziehungen (S. 268-280). Zu Recht wird darin festgestellt, „die Varusschlacht wäre Episode geblieben, wenn die nachfolgenden Feldzüge des Germanicus das Ergebnis korrigiert hätten“ (S. 275). Zweifellos von großem Interesse für viele Leser ist der abschließende Teil „Von Arminius zu Hermann“ über das Nachleben des Siegers der Varusschlacht (S. 283-356). Die Betrachtung reicht von der Auffindung und Veröffentlichung der Tacitus-Handschriften sowie der Arminius-Begeisterung bei den Humanisten und Reformatoren über die Napoleonische Zeit und die Errichtung des Hermannsdenkmals bis zur Rezeption vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.

Ein Schwachpunkt des Buches besteht darin, in der wissenschaftlichen Diskussion befindliche Zusammenhänge als gesichert darzustellen. Das rechtsrheinische Germanien in den Jahren vor der Varusschlacht wird ohne weiteres als römische Provinz betrachtet, so die Überschrift von Kapitel VIII, obwohl dieser Annahme gewichtige Schwierigkeiten entgegenstehen. Eigene Interpretation Märtins ist die Bezeichnung des Stammesheiligtums Ara Ubiorum an der Stelle des späteren Köln als „Altar Germaniens“ (S. 126-128). Trotz der ansprechenden Vermutung, dass hier das Zentrum des Kaiserkults für die geplante neue Provinz entstehen sollte, war es auch am Ende von Varus’ Statthalterschaft immer noch der Kultmittelpunkt der Ubier und wird nur so bezeichnet. Für den Beginn der Schlacht im Teutoburger Wald übernimmt der Autor die These von Dieter Timpe, sie sei durch eine Meuterei cheruskischer Hilfstruppen innerhalb des Römerheeres ausgelöst worden (S. 178-181). Eine römisch geschulte Kerntruppe unter dem Kommando des Arminius spielt in der Folgezeit allerdings keine Rolle, weshalb ihre Existenz auch im Herbst 9 hypothetisch bleiben muss. Ebenso ist es nur eine Vermutung, dass der 23-jährige Arminius gegen die Langobarden geschickt wurde (u.a. S. 128). Nicht besser ist es um die Feststellung bestellt, Domitius Ahenobarbus habe 3 v.Chr. den Drusus-Marsch zur Elbe wiederholt (S. 120f.). Ein Irrtum ist die mehrmals vorkommende Behauptung, Velleius Paterculus sei in den Jahren 4 bis 6 Legionskommandeur in der Rheinarmee gewesen (u.a. S. 98). Er war vielmehr ein dem Ritterstand angehörender Reiterpräfekt und erlangte erst 15 n.Chr. die Prätur und damit das Amt, das die Voraussetzung für den Befehl über eine Legion gewesen wäre, den er jedoch nach unserem Kenntnisstand nie erhielt. Die Landkarte im Vorsatz weist eine Provinz Germania bis zur Elbe für das Jahr 14 n.Chr. aus, was auch den Ausführungen im Buch widerspricht (S. 230). Ebenso problematisch ist die Karte im Nachsatz. Sie präsentiert „die Welt der Römer“ im Zustand des 2. Jahrhunderts n.Chr. und weist mit der Nennung von Constantinopolis sogar bis in die Spätantike.

Die genannten Monita ändern nichts daran, dass dieses Werk einen angenehm zu lesenden und oftmals spannenden Überblick bietet, wenn auch die Werbung auf dem Schutzumschlag mit „einer neuen verblüffenden Erklärung der Ereignisse“ zu hoch gegriffen sein dürfte. Tatsächlich verblüffend ist ein von Märtin verwerteter neuer Fund. Wenn sich die 2008 erfolgte Neuinterpretation einer 1989 veröffentlichten Bleischeibe aus dem Legionslager Dangstetten mit einer allerdings schwer lesbaren Inschrift bewahrheiten sollte, dass Varus bereits 15 v.Chr. der Befehlshaber einer der später mit ihm untergegangenen Legionen gewesen wäre, käme dies einer Sensation gleich (S. 153). War doch die gesamte bisherige Forschung davon ausgegangen, dass der Verlierer im Teutoburger Wald bis zum Antritt seiner Statthalterschaft im Jahre 7 niemals in die Grenzgebiete im Norden gekommen sei.

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