Titel
Zwischen Regie und Regime. Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen


Autor(en)
Schittly, Dagmar
Reihe
Forschungen zur DDR-Gesellschaft
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Günter Agde

Die Bonner Politologin Dagmar Schittly (Jahrgang 1967) setzt sich mit ihrer Dissertation (die nunmehr als Buch vorliegt) einen sehr hohen Anspruch: Im Spiegel der DEFA-Produktionen will sie die Filmpolitik der SED untersuchen. Immerhin sind über 40 Jahre SED-Herrschaft im Kontext ebenso langer SED-Kulturpolitik darzustellen und dahinein die umfangreiche Produktion des Spielfilm-Produktionsmonopolisten der DDR, eben der DEFA, einzuordnen: Das sind rund 750 Spielfilme abendfüllender Länge (Klugerweise beschränkt sich Schittly auf die Spielfilme, denn die Einbeziehung von Dokumentarfilmen und Wochenschauen hätte mit Sicherheit die Arbeit endgültig gesprengt.).

Methodisch folgt Schittly einer mittlerweile traditionellen und bewährten Methodik, nämlich entlang der Chronologie zu arbeiten: So widmet sich ihr Einstieg in die immense Materie den Gründungsjahren 1945-1949. Als erste deutsche Filmfirma nach dem Kriege begann die DEFA mit der Produktion von Spielfilmen. Die Lizenz dazu erhielt sie von der sowjetischen Besatzungsmacht, der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), der Obrigkeit über den Ostteil Deutschlands, der seinerzeitigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ).

Den Hauptteil nehmen die Jahre 1949 bis 1989 ein – diese 40 Jahre untergliedert sie noch einmal in vier Kapitel, und schließlich bildet das Schlusskapitel das Ende der DDR und der DEFA 1989/90 nach.

Für jedes dieser Kapitel stellt sie einige Spielfilme genauer vor, die ihr als paradigmatisch für den betrachteten Abschnitt gelten. Die Filmauswahl ist akzeptabel, weil sie aussagekräftig für die Zeitabschnitte steht, obwohl man natürlich mit jedem anderen Film der jeweiligen Etappe so ziemlich das gleiche beweisen könnte. Und: in der diversen DEFA-Literatur der letzten Jahre tauchen auch immer wieder die gleichen Filme als Beweisstücke auf – etwa Kurt Maetzigs „Thälmann“-Filme (1954/56), oder Beyers „Versteck“ (1977). Man hätte sich durchaus die Kühnheit gewünscht, bekannte Fragen an weniger strapazierte Beispiele zu stellen.

Kaum akzeptabel erscheint mir, dass sie ihre Filmbeispiele auf die knappe Fabelbeschreibung nach Art moderner Filmlexika begrenzt und weitgehend darauf verzichtet, Filmspezifisches wenigstens zu erwähnen. Man muß quasi die erwähnten Filme kennen und ihren Wert aus dem Gedächtnis abrufen können. Das ist wenig gerecht und der Sache nicht angemessen, bleibt wohl aber ein Dauerdilemma solcher Überblicksdarstellungen (und war schon immer ein Problem aller filmhistorischer Abrisse. Auch die Großen dieses Fachs wie Georges Sadoul oder Jerzy Toeplitz hatten hier keine plausible Lösung – Toeplitz’ deutsche Herausgeber haben sich seinerzeit damit beholfen, dass sie in Anhängen wenigstens die Schlüsselfilme eingehender beschrieben und mit Fotos deren Bildkraft unterstrichen).

Schittly verschenkt sich dabei die reizvolle und schöne Möglichkeit, genauer zu untersuchen, wie denn nun das SED-Regime gerade auf solche Mittel reagierte, die nur der Filmkunst – und keiner anderen Kunst sonst - zur Verfügung standen und die weit über den bloßen Transport von Ideologien hinausgingen. So etwa hat die formale filmische Brillanz von Konrad Wolfs Film „Solo Sunny“(1980) erheblich zum subversiven Wert dieses Filmes beim Publikum beigetragen, war aber mit den Rastern des SED-Funktionärsdenkens kaum zu fassen und folglich schwerer zu diskriminieren. Ähnliches ließe sich bei einzelnen Rollengestaltungen herausarbeiten, wie etwa bei Geschonnecks Gestaltung des Karbidkalle in Frank Beyers Film „Karbid und Sauerampfer“(1963). (Daß die öffentliche, SED-konforme Reputation von Wolf und Geschonneck diese Filme weniger angreifbar machte als andere, ist nur ein Nebeneffekt und sollte über den Kern des Problems nicht hinwegtäuschen.)

Schittly skizziert in ihren Kapiteln jeweils die politische und anschließend für den gleichen Zeitraum die kulturpolitische Entwicklung der DDR und kommt sodann auf die „eigentliche“ Filmarbeit, auf die Verästelungen zwischen Studioproduktion und SED-Oberen – in Gestalt vor allem der Funktionäre in der Hauptverwaltung (HV) Film und in der Kulturabteilung des SED-ZK – zu sprechen. Die Gliederung nach der Chronologie hat auch anderswo ihre Handlichkeit erwiesen, so bleibt es nicht aus, dass Schittly auf Erkenntnisse zurückgreift, die andere vor ihr bereits gültig dargestellt haben, etwa Manfred Jäger in seinen Untersuchungen „Kultur und Politik in der DDR“ (Köln 1994), noch immer eine der profundesten Arbeiten zum Thema. Auch Thomas Heimanns Dissertation „DEFA, Künstler und SED-Kulturpolitik“, Berlin 1994, fließt hier unkommentiert ein.

Innerhalb ihrer Methodik vermag Schittly, die schillernden Wechselverhältnisse zwischen den Filmemachern einerseits und dem SED-Regime andererseits glaubhaft darzustellen. Jeder Film des Studios war ein neues Abenteuer (um einen Buchtitel zur Verlagspraxis in der DDR zu usurpieren), und jedes Abenteuer war anders, eine langjährige Abfolge von Widersprüchen, Reibereien, Scharmützeln, von tatsächlichen Schlachten und Gefechten auch auf Nebenschauplätzen. Jede Produktionsgeschichte jedes DEFA-Filmes verdiente eine genaue, ausführliche Darstellung, von der ersten Fabelidee bis zur Premiere, und in jedes Projekt, in jeden Film war auf jeweils eigene Weise das SED-Regime ebenso involviert wie die beteiligten Filmemacher mit der Absicht einen Film machen zu wollen, den möglichst viele Zuschauer freiwillig und gern ansahen. Solche Komplexität ist natürlich als Gesamtüberblick kaum zu leisten, und insofern ist im Einzelnen noch viel Forschungsbedarf vorhanden.

Soweit ihr möglich, nutzt Schittly diverse Akten aus den SED-Apparaten und aus der DEFA-Hierarchie, um die schnörkelreichen Indoktrinierungen der Filmproduktion nachzuweisen. Das gelingt ihr gut begreiflicherweise bei „ihren“ Filmbeispielen. Doch war zugleich manche Verästelung im Wechselfeld von Filmproduktion und SED-Kulturpolitik widerspruchsreicher und komplizierter als zu lesen ist. Funktionäre wie etwa Alfred Kurella (Politbüro- und langjähriges ZK-Mitglied, neben Hager der wichtigste Mann für die DDR-Kultur) oder Albert Wilkening (langjähriger Studiodirektor) haben erheblichen Einfluß auf die DDR-Filmproduktion gehabt. Sie (und andere) erscheinen bei Schittly wie Monolithen, die sie aber realiter nicht waren. Der beinahe sprichwörtliche Doktrinär Kurella kannte und durchlebte (seltene) Nachdenklichkeits-Phasen, in denen er ein offenes Gespräch mit den Künstlern (auch der DEFA) wirklich suchte. Dies hatte merkbare Folgen. Ähnlich bei Hans Rodenberg. Und Wilkening war – bei vielen Schwankungen und ideologischen Phasenverschiebungen – vor allem darauf bedacht, das Studio in kontinuierlicher Produktion zu halten. Freilich, sie alle unterlagen letztlich der SED-Hierarchie und trugen diese mit. Sie teilten das Schicksal anderer Politbüro-Greise, deren Erstarrung und deren kaltes Ende.

In der Dreier-Schritt-Methode Schittlys liegt die Gefahr der Vereinfachung wegen zu starker Komprimierung nahe. Dieser Gefahr ist sie nicht immer entgangen. Zu jenen schlimmen Vorgängen um das 11. Plenum 1965, das als Kahlschlag-Plenum in die DDR-Geschichte eingegangen ist und dem nahezu eine gesamte Jahresproduktion der DEFA zum Opfer fiel (von den menschlichen Tragödien der Repressierten ganz zu schweigen), weiß sie infolge ihrer Methodik in der Sache nichts wirklich Neues zu präsentieren, das Gleiche gilt für die Biermann-Ausbürgerung 1976. Hier resümiert sie zügig und geschmeidig das bislang Bekannte, übergeht dabei freilich bedauerlicherweise andere Forschungsergebnisse und hinterfragt sie auch nicht kritisch. (Im Falle des 11. Plenums zum Beispiel Monika Kaisers Studie „Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker“, Berlin 1998).

Wie manch anderer DDR-Forscher hat auch Schittly Stasi-Akten einbezogen. In ihren Zusammenhang von Filmproduktion und ideologischer Indoktrinierung gehört die Stasi dazu. Schittly begründet die langjährigen Stasi-Dienste des Kurzfilmregisseurs Helmut Brandis und des Starschauspielers Erwin Geschonneck mit deren seltsamer Charakter-Mischung von Eitelkeit und Geltungsdrang, von Parteidisziplin und dem subjektivem Willen, via Stasi Veränderungen bewirken zu wollen. Insofern ist sie wohl gerecht. Für Brandis oder Geschonneck erbringen Schittlys Stasi-Nachrichten jedoch nichts, was zu neuen Urteilen über die künstlerischen Leistungen der beiden veranlassen könnte.

Andererseits versucht sie auch keine Systematisierung (dies wäre wohl dann eine andere Arbeit gewesen), so daß sie die Forschungsergebnisse von Axel Geis (Repression und Freiheit, DEFA-Regisseure zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, Potsdam 1997) und Joachim Walter (Sicherungsbereich Literatur, Berlin 1996) ebenso vernachlässigen kann wie Frank Beyers Stasiakte (mitgeteilt in seiner Autobiographie „Wenn der Wind sich dreht“, München 2001, und in „Regie: Frank Beyer“, hrsg. von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam 1995). Das DEFA-Stasi-Kapitel Schittlys ist ein Appendix, eine Zutat. Salopp gesagt: wer interessante Aktenfunde macht, möchte sie gewiß auch gern veröffentlicht sehen. Aber mehr ist es wohl nicht.

Weshalb die Autorin immer nur die Filmkritiken Heinz Kerstens zu DEFA-Filmen zitiert und damit dessen Sicht als die herrschende ansetzt, ist schwer nachzuvollziehen (Heinz Kersten, So viele Träume, Berlin 1996). Gewiß, Kersten war lange Jahre ein feinfühliger und aufmerksamer Beobachter und Sympathisant der DEFA-Produktionen. Seine Rezensionen im Rias und im Tagesspiegel sind treffend. Und daß Schittly die Rezensionen von Peter Ahrends aus der „Weltbühne“ nicht heranzieht, vermag man noch nachzuvollziehen, wenn man weiß bzw. nach der Wende erfuhr, dass sich hinter diesem Pseudonym ein langjähriger Mitarbeiter der DEFA verbarg (Gleichwohl waren diese Kritiken allesamt zutreffend, genau beobachtend und zudem brillant geschrieben.). Aber die Rezensionen von Rosemarie Rehahn in der „Wochenpost“, von Fred Gehler im „Sonntag“, von Margit Voß im Berliner Rundfunk, von Günter Sobe in der „Berliner Zeitung“, von Michael Hanisch, Hans-Jörg Rother und vielen anderen können bei DEFA-historischen Erkundungen allemal genauso nützlich und aufschlussreich sein.

Schittlys Arbeit ist lesbar und nützlich, ein Eildurchgang durch den 40-jährigen ostdeutschen Part deutscher Filmgeschichte, in gewohnter Solidität vom Ch.Links Verlag Berlin betreut und zur Publikation gebracht.

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