Cover
Titel
Bautzen II. Sonderhaftanstalt unter MfS-Kontrolle 1956-1989. Bericht und Dokumentation


Autor(en)
Fricke, Karl-Wilhelm; Klewin, Silke
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft 8
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Beleites, Leipzig

„Ab nach Bautzen!“ konnte man vor zwei Jahren in großformatigen Anzeigen lesen. In der DDR war so das Damoklesschwert zu umschreiben, das über jeglichem widerständigen Verhalten hing. Die Fremdenverkehrswerbung Bautzens versuchte dem schlechten Ruf der wahrlich sehenswerten Kleinstadt in der Oberlausitz offensiv zu begegnen. Aber auch wer heute nach Bautzen kommt, sieht am Stadtrand zuerst einen großen Gefängnisbau. Wegen seines Innenlebens und seiner Außenfassade aus gelben Klinkern ist er auch als „Gelbes Elend“ bekannt.

Dass Bautzen in der DDR mehr als andere Städte mit großen Gefängnissen, wie Brandenburg, Cottbus, Bützow oder Hoheneck, zum Synonym für den politisch mißbrauchten Strafvollzug wurde, hat aber mit einem kleineren Gefängnis zu tun. Im Stadtzentrum gelegen firmierte das vormalige Gerichtsgefängnis von 1956 bis 1989 als Strafvollzugseinrichtung Bautzen II. Offiziell unterstand dieses Gefängnis zwar – ebenso wie der gesamte Strafvollzug der DDR – dem Innenministerium, tatsächlich hatte sich jedoch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hier besondere Rechte gesichert.

Wer als Gefangener hierher kam, kam auf der Grundlage einer Entscheidung des MfS. Wer hier arbeitete, war vom MfS sorgsam ausgewählt worden. Häftlinge und Bedienstete wurden vom MfS gleichermaßen intensiv überwacht. Und natürlich fand keine Häftlingsverlegung oder –entlassung ohne vorhergehende Anweisung der Geheimpolizei statt. Und auch die schon ohnehin strenge Geheimhaltung über alle Belange des DDR-Strafvollzuges wurde hier noch strenger gehandhabt. So dauerte es immerhin zwanzig Jahre, bis das erste Foto von Bautzen II in die westliche Presse gelangte. Die Herrschaft des MfS über das Gefängnis bestimmte schließlich auch den Umgang mit den Akten während der friedlichen Revolution Ende 1989. Noch vor der Öffnung von Bautzen II für Demonstranten, Anwälte, Journalisten und Vertreter von Parteien hatten die MfS-Mitarbeiter sämtliche Akten beseitigt. Vermutlich wurden sie im benachbarten Kesselhaus verbrannt.

Diese Umstände erforderten und erschwerten gleichermaßen eine Gesamtdarstellung über die Strafvollzugsanstalt und das Haftregime in Bautzen II. Andererseits schufen die Einrichtung der Gedenkstätte Bautzen sowie die von ihr ausgehenden Recherchen in Archiven sowie die Befragung von Zeitzeugen eine neue Materialbasis. Die Zusammenarbeit von Karl Wilhelm Fricke, der 1956 zu den ersten Häftlingen in Bautzen II gehörte, bis 1959 dort inhaftiert war und seitdem als Journalist und Autor einen herausragenden Beitrag zur zeithistorischen Aufarbeitung der politischen Justiz in der DDR leistete, mit Silke Klewin, die als Leiterin der Gedenkstätte Bautzen deren Potential einbringen konnte, ist der vorliegenden Arbeit ausgesprochen förderlich gewesen.

Der Inhalt des Buches wird im Untertitel als „Bericht und Dokumentation“ bezeichnet. Wer das Buch in der Mitte aufschlägt, hat damit den Beginn des Dokumentationsteils erreicht. Dieser besteht aus 28 alphabetisch geordneten, sehr, mitunter gar zu knappen, Falldarstellungen, die jeweils mit einem Porträtfoto und einem ausgewählten Faksimile illustriert sind. Im darauffolgenden Dokumentenanhang findet der Leser Abschriften von zehn wesentlichen – fast allen bisher auffindbaren – Dienstanweisungen von MdI und MfS zu Bautzen II sowie die dort geltende Hausordnung von 1957. Schließlich folgt eine knappe Chronik der Strafvollzugsanstalt Bautzen II von 1956 bis 1989. Eine Auswahlbibliografie, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Personenregister runden den Anhang ab und machen die Arbeit zusammen mit dem detaillierten Inhaltsverzeichnis auch ohne Sachregister für gezieltes Nachschlagen nutzbar.

Die erste Hälfte des Buches, der Bericht, gliedert sich in vier Teile. Zunächst wird zur Einleitung ein kurzer Überblick über die Prinzipien und Struktur des Strafvollzuges der DDR, die Rolle des MfS dabei im Allgemeinen sowie innerhalb von Bautzen II im Besonderen gegeben. Der zweite Teil befasst sich mit der „Sonderstrafvollzugsanstalt“ des MfS Bautzen II und gliedert sich in einen Abschnitt zur Baugeschichte, einen zu Personal und Administration sowie einen zur Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft. Der dritte Teil konzentriert sich auf die Haftbedingungen in Bautzen II. Hier kommen im Wesentlichen ehemalige Häftlinge zu Wort, deren veröffentlichte oder bislang unveröffentlichte Äußerungen thematisch geordnet und ausführlich zitiert werden. Ein kurzer vierter Teil thematisiert schließlich die Außenwahrnehmungen von Bautzen II sowie die durch die friedliche Revolution herbeigeführte Endphase der Sonderhaftanstalt.

Insgesamt ist hier ein ausgesprochen lesenswertes und lesbares Buch entstanden, das nicht zu Unrecht auch von der Bundeszentrale für politische Bildung vertrieben wurde. Dem mit dem Thema vertrauten Zeithistoriker bieten sich möglicherweise nicht viele neue Erkenntnisse. Insbesondere die Schilderungen der Haftbedingungen sind zum großen Teil schon publiziert und wurden von den unveröffentlichten Quellen in der Regel bestätigt. Kleinere, jedoch nicht unbedeutende Einzelheiten, wie die Absicherung der Haftanstalt nicht nur mit Signaldrähten, sondern tatsächlich mit einem 380-V-Elektrozaun, oder die umfassende Ausstattung der Zellen und anderer Räume mit akustischer und visueller Überwachungstechnik konnten bisher zwar oft vermutet, nicht jedoch nachgewiesen werden. Hier fällt das gelegentliche Fehlen genauer Quellenangaben leider negativ ins Gewicht. Auftretende Ungenauigkeiten bei Signaturen der zitierten MfS-Unterlagen müssen möglicherweise auch der Gauck-Behörde angelastet werden. Bedauerlich sind sie auch, weil bisher dort dem Nutzer keine Findmittel zur Verfügung gestellt werden und korrekte Quellenangaben in Publikationen für den wissenschaftlich arbeitenden Leser daher um so wichtiger sind.

Der Abdruck der wichtigen und bisher unveröffentlichten untergesetzlichen Normen zu Bautzen II erleichtert nicht nur interessierten Betroffenen das Verständnis ihrer Vergangenheit, sondern gibt auch Einblick in die tatsächlichen Machtverhältnisse, die durch die formale Unterstellung der Haftanstalt unter die Verwaltung Strafvollzug des DDR-Innenministeriums eher verschleiert wurde.

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