Arbeit in Zukunft

Veranstalter
Deutsches Hygiene-Museums Dresden im Programm "Arbeit in Zukunft" der Kulturstiftung des Bundes, kuratiert von der Praxis für Ausstellungen und Theorie (13707)
rda_hostInstitution_reex
13707
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.06.2009 - 11.04.2010

Publikation(en)

Cover
Lepp, Nicola; Tyradellis, Daniel (Hrsg.): Arbeit. Sinn und Sorge. Zürich, Berlin 2009 : diaphanes, ISBN 978-3-03734-096-7 422 S. € 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Roeckner, Potsdam

In dem bildgewaltigen, künstlerischen Dokumentarfilm „Workingsman's Death“ von Michael Glawogger aus dem Jahr 2005 war man als Zuschauerin fast schon schmerzlich nah dran am rohen, gesundheits- und oft auch lebensbedrohlichen Arbeitsalltag in vielen Teilen der Welt. Etwa beim Schwefeltransport auf dem Rücken schwerbeladener Lastarbeiter an einem indonesischen Vulkan oder beim Selbstversorger-Steinkohlenabbau mit primitivsten Mitteln in der Ukraine. Von diesen Schrecken gegenwärtiger Arbeit haben wir in der weitgehend post-materiellen Arbeitswelt des Westens praktisch keine eigene Anschauung. Körperlicher Schwerstarbeit ist bei uns vor allem noch im Museum nachzuspüren: Insbesondere Industriemuseen haben sich seit den 1970er-Jahren der Aufgabe gestellt, vergangene, schwere Arbeitswelten und ehemalige Stätten der Arbeit – wie stillgelegte Fabriken, Zechen oder Hochhöfen – nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.1

Jetzt hat das Dresdener Hygienemuseum in einer Sonderausstellung einen ganz neuen Weg des kulturellen Umgangs mit dem gesellschaftlich stark diskutierten Thema „Arbeit“ gewählt und sich damit, bezogen auf den Rahmen von Museumsausstellungen, an eine Pionierleistung gewagt: Den Blick auf den einzelnen Menschen und seinen Umgang mit gegenwärtigen post-industriellen Arbeitswelten hierzulande. Die Veranstalter der Dresdener Ausstellung wollen die Besucher ganz generell zum eigenen Nachdenken und zur eigenen Positionsbildung anregen, einen „[…] Resonanzboden [konstruieren], auf dem das Nachdenken über Arbeit stattfindet“, so Klaus Vogel und Gisela Staupe, Direktor und stellvertretende Direktorin des Hygienemuseums.2

Kuratiert hat die Ausstellung die Berliner „Praxis für Ausstellung und Theorie. Hürlimann / Lepp / Tyradellis“. Daniel Tyradellis, Philosoph und wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung, geht es um eine Veränderung der Wahrnehmung, um verstärkte Reflektion, ohne gleich das Ziel klar im Blick haben zu können. Die Problematik erörtert Tyradellis mit weitem historischem Blick, indem er eine Vision am Beginn der Industrialisierung aufgreift – bedauerlicherweise nicht in der Ausstellung selbst, sondern in einem begleitenden Essay in der Wochenzeitung „Freitag“. „Es hätte so schön sein können. Als das Maschinenzeitalter anhob, sahen Visionäre bereits eine Zukunft voraus, in der die Menschheit nicht mehr würde arbeiten müssen. […] Doch es kam anders. […] Tatsächlich übernehmen Maschinen viele und immer mehr Arbeiten, aber das wird nicht als Erfolg gewertet, sondern man nennt es strukturelle Arbeitslosigkeit und empfindet es als Krise.“ Ziel der Ausstellung sei deshalb eine Veränderung von Wahrnehmung und Begriffen: „Letztlich geht es darum, den in uns allen abgelegten Begriff der Arbeit zu verändern.“3 Zugespitzt interpretiert stellt Tyradellis hier das Diktum „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ seines in die Geschichte eingegangenen Berufskollegen Karl Marx sozusagen wieder von den Füßen auf den Kopf: Vor der möglichen Änderung der Verhältnisse stehe zunächst der Bewusstseinswandel.

In den fünf Abteilungen „Frei-Raum“, „Maschinen-Raum“, „Übungs-Raum“, „Werk-Raum“ und „Welt-Raum“ spannt die Ausstellung inhaltlich einen sehr weiten Bogen: Es geht zunächst um Freizeit als das Gegenteil von Arbeit beziehungsweise die Frage nach Grenzverschiebungen zwischen beiden. Anschließend werden Erfolge sowie Abgründe des Kapitalismus vorgestellt und Bildung als das Lernen von Arbeit sowie Arbeitstätigkeiten an sich und die damit verbundenen Gefühle thematisiert. Schließlich wird der scheinbar unendliche Talkshowdiskurs über Arbeit präsentiert, dem Impressionen zukünftiger Arbeit gegenübergestellt sind. Dabei steht die Ambivalenz des Themas im Vordergrund: „Sinn und Sorge“, so der Untertitel der Schau. Anregungen zur eigenen Auseinandersetzung werden etwa auf Bildschirmen mit kunstvoll arrangierten Kurzinterviews zu Fragen wie „Wann stehen Sie morgens auf?“ oder „Wieviel verdienen Sie?“ mit einer Vielzahl von Personen gegeben. Die Beschreibungen dieser Menschen bleiben dabei aber weitgehend abstrakt, so dass über die Aussagen ihre jeweiligen Arbeitswelten nicht vorstellbar werden. Ebenfalls auf Bildschirmen lässt sich die Arbeit eines Chirurgen oder einer Künstlerin beobachten, allerdings in so hohem Maße verdichtet und verknappt, dass der ästhetische Eindruck vor möglichen Aussagen und Positionen deutlich überwiegt. Diese Materialsammlung, das Anreißen verschiedener Lebenswelten und Denkweisen, ergänzt der Ausstellungskatalog von über vierhundert Seiten, der in Form und Inhalt an einen sehr umfangreichen Reader für ein Uni-Seminar erinnert.

Die Ausstellungsgestaltung ist im Wesentlichen von Film- und Videoinstallationen bestimmt, die die Berliner Gestalter und Szenographen Detlef Weitz und Rose Epple entwickelt haben. Arbeit bleibt in der künstlerisch-philosophisch ausgerichteten Schau weitgehend virtuell, was, so der Hauptkritikpunkt, problematisch ist. Zu wenige anschauliche Anknüpfungspunkte und eigene Positionen der Ausstellungsmacher werden geboten für die – gewollte – eigene Auseinandersetzung. Augenfällig wird diese Mühe mit dem Konkreten im Umgang mit den wenigen Objekten in der Ausstellung. Schwer zugänglich wirkt dieses von den Machern „Dingspur“ genannte Ausstellungselement. Anfangs sind abstrakte, ikonographische Skulpturen von Krug, Schuh, Hammer, Puppe und Papier zu sehen. In den folgenden Räumen entwickeln sie sich ins Konkrete: Der Schuh wird beispielsweise zu einer Auslage aktueller Markenturnschuhe, zu einem Designer-Pumps, einer Sammlung von ausgetretenen Alltagsschuhen und einem Arztschuh. Die dahinterstehenden Reflektionen mögen sich bei viel Nachdenken erschließen, sinnlich-einleuchtend und Aufmerksamkeit hervorrufend sind sie in der Ausstellung meist nicht. Neben den vielen Medieninstallationen verblasst der Eindruck der marginal eingesetzten Originalexponate und wird den hohen Veranschaulichungsansprüchen des „Mediums Ausstellung“ 4 nicht gerecht.

Legitimerweise präsentieren die Ausstellungsmacher keine fertigen Antworten zu Aspekten des gesellschaftlich überdiskutierten Themas „Arbeit“, vermeiden polarisierende Zuspitzungen, die es bereits im Übermaß gibt. Aber diese „Fleischlosigkeit“, auch die fehlende historische Verankerung, lässt einen zu freischwebend-beliebig zurück. „Wer Geschichte scheut, bleibt im Käfig der Gegenwart eingesperrt“, so das Urteil von Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung. 5 Wo die Reibefläche an Positionen der Ausstellungsmacher oder an konkreten Beispielen aus Gegenwart und Vergangenheit fehlt, bleibt zu wenig haften.

Ästhetisch ist die Ausstellung ein Genuss, mit schönen ironischen Brechungen. Anfangs grüßt ein ausgestopftes Faultier als unverkennbares Symbol der Arbeitsunlust. Ein Spielzeug-Fernseher beantwortet die Frage „Richtige Arbeit?“ auf Knopfdruck mit einem Bild von Baggern und Baumaschinen. Ein ästhetisch sehr gelungenes Statistikband, das sich die Wände entlang zieht, soll mithilfe von Zahlen die radikalen Umbrüche der Arbeitswelt hierzulande in den vergangenen sechs Jahrzehnten erschließen: Die dahinterstehende gesellschaftliche, politische und kulturelle Dramatik vermittelt diese abstrakt-künstlerische Präsentationsform nur schwer.

Gekonnte spielerische Elemente wie Videos von Fantasie-Puppenfiguren, gebastelt aus Zahnstochern, Schaumstoff oder Strümpfen von den Puppenspielern Julia Giesbert, Michael Hatzius und Ivana Saevic, sind wichtige Vermittlungselemente. Ein Spielkarten-Domino bietet, ganz im Vorbeigehen, die deutlichsten Thesen: Die Spielkarten dienen gleichzeitig als eine Art Ausstellungsflyer, den man auch mit nach Hause nehmen kann. Äußerst knapp, in fast lexikalischer Sprache werden darauf zentrale Begriffe zum Thema definiert und ihre jeweilige Ambivalenz vorgestellt. Zum Schlagwort „Erwerbsarbeit“ heißt es einerseits: „Der unbedingte Wunsch nach Erwerbsarbeit setzt den Möglichkeiten der eigenen Lebensplanung Grenzen. Er kann dazu führen, dass Berufe nur aufgrund ihres gesellschaftlichen Ansehens gewählt werden.“ Andererseits: „Für die meisten Menschen bildet die Erwerbsarbeit weiterhin das selbstverständliche organisierende Zentrum der eigenen Lebensplanung. Die Gesellschaft sollte alles daran setzen, dieses bewährte Modell zu erhalten.“

Unbenommen der genannten Kritikpunkte verdient die Ausstellung als Pionierleistung hohe Anerkennung: Erstmals zeigt sie in einem Museum das komplexe, diskursiv und moralisch hoch aufgeladene Thema gegenwärtige Arbeitswelten umfassend, intellektuell und ästhetisch anspruchsvoll. Die Ausstellungsmacher legen damit einen bedeutenden Beitrag zur Präsentation vergangener und gegenwärtiger Arbeitswelten in Museumsausstellungen vor.

Anmerkungen:
1 Vgl. Katja Roeckner, Ausgestellte Arbeit. Industriemuseen und ihr Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, Stuttgart 2009.
2 Klaus Vogel / Gisela Staupe, Grußwort, in: Nicola Lepp / Daniel Tyradellis (Hrsg.): Arbeit. Sinn und Sorge, Zürich 2009, S. 7 f.
3 Daniel Tyradellis, Musen gegen Maschinen. Warum arbeiten? Eine Ausstellung in Dresden wagt die kulturelle Gesamtschau am Ende des Industriezeitalters, in: Der Freitag, 25.6.2009.
4 Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004.
5 Jens Bisky, Im Käfig der Gegenwart. Was wir tun, wenn wir arbeiten. Zur sehr professionell gescheiterten Ausstellung Arbeit. Sinn und Sorge im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, in: Süddeutsche Zeitung, 27.6.2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension