S. Panzram (Hrsg.): Städte im Wandel

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Titel
Städte im Wandel. Bauliche Inszenierung und literarische Stilisierung lokaler Eliten auf der Iberischen Halbinsel


Herausgeber
Panzram, Sabine
Reihe
Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 5
Erschienen
Münster 2007: LIT Verlag
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Hoffmann-Salz, Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln

Als eine der ersten „überseeischen“ Provinzen des Römischen Reiches und damit gleichzeitig auch als eines der ersten Experimentierfelder römischer Beherrschungspolitik eines überseeischen Raumes steht die Iberische Halbinsel schon lange im Mittelpunkt einer von lokalen wie internationalen Forschern geführten Debatte um die Methoden, die Rom in einem solchen Raum zur Sicherung des eigenen Herrschaftsanspruchs ein- und durchsetzte. Insbesondere die Frage nach der von Rom geförderten Urbanisierung und der Einbindung der lokalen Eliten in das neue Gesellschafts- und Politiksystem spielen dabei eine zentrale Rolle. Eben diesem Themenfeld ist auch der vorliegende Band zuzurechnen. Er stellt die Publikation der Beiträge eines gleichnamigen Kolloquiums in Hamburg im Jahre 2005 dar, wobei aber offenbar nicht alle Kolloquiumsbeiträge Eingang in die Publikation fanden und dafür andere in den Band aufgenommen wurden. Der Band ist dem 2006 verstorbenen Bauforscher und Islamwissenschaftler Christian Ewert gewidmet.

Ziel des Kolloquiums ebenso wie des vorliegenden Bandes war es, nach den Worten der Veranstalterin, interdisziplinär und „anhand von Fallstudien die Fragen der Funktionalität von Monumenten innerhalb der städtischen Topographie und der Repräsentation bzw. Konstituierung der lokalen Elite im Medium der Schrift“ zu thematisieren. Dabei wird insbesondere der „Vergleich des Wirkungszusammenhanges zwischen Stadt, sozialer Elite und Wandel in verschiedenen Zeiten und zwischen unterschiedlichen Kulturen“ betrachtet.1 Damit greifen die einzelnen Beiträge nicht nur die Frage nach der Selbstdefinition lokaler Eliten im Kontext der zunächst erst entstehenden römischen Städte auf der Iberischen Halbinsel auf, sie gehen durch die bewusst diachrone Perspektive über eine rein „römische“ Fragestellung hinaus und versuchen so, spezifische Entwicklungslinien für den Kulturraum der Halbinsel bis in die Neuzeit aufzuzeigen. Stellvertretend sollen einige der Beiträge im Folgenden vorgestellt werden.

Nach einem einleitenden Beitrag von Hans-Georg Niemeyer über die mögliche Vorläuferrolle der phönizischen Niederlassungen auf der iberischen Halbinsel für den Urbanisierungsprozess in der Region, die er begründet ablehnt, gliedert sich der Band in drei Abschnitte:2 Der erste – und in Bezug auf die Beiträge deutlich gewichtigste – Teil beschäftigt sich mit dem römischen Städtewesen zwischen Republik und Spätantike vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum Jahr 711 n.Chr. Im ersten Beitrag „Kontinuität und Innovation im Städtenetzwerk der nordöstlichen Iberischen Halbinsel zur Zeit der Republik“ (S. 25–57) setzt sich Francisco Pina Polo mit den Auswirkungen der römischen Eroberung im Nordosten der Iberischen Halbinsel auseinander. Dabei kann er zunächst zeigen, dass antike Quellen Begriffe wie polis, urbs, oppidum und civitas unterschiedslos für Städte gebrauchen, während kleinere Ansiedlungen als castella, vici oder ähnliches beschrieben werden. So macht Pina Polo zu Recht deutlich, dass moderne Unterscheidungen zwischen urbs, oppidum und civitas als in ihrer Urbanisierung unterschiedlich weit fortgeschrittene Siedlungstypen nur insofern begrifflich aufrecht erhalten werden können, als man sich ihrer modern-akademischen und eben nicht antik-juristischen Funktionalität bewusst ist (S. 26–28). Im Weiteren beschäftigt er sich mit dem Problem der Zerstörung von indigenen Siedlungsplätzen durch die Kampfhandlungen während der römischen Eroberung und dem Bürgerkrieg, aber auch mit der bewussten römischen Neugründung von Städten, wie etwa der späteren Provinzhauptstadt Tarraco. Gerade bei den Neugründungen spielten offenbar die erst unter Augustus intensiv ausgebauten Kommunikationswege im Norden der Halbinsel die entscheidende Rolle bei der Standortwahl (S. 53). Den „substanziellen Strukturwandel in der Region“ (S. 54) möchte er auf „die Planung eines neuen Städtenetzwerks nach italischem Vorbild durch Rom“ zurückführen, das „seine Politik entscheidend auf die Entwicklung des städtischen Netzwerkes in dieser Region ausrichtete, und zwar derart, dass es für seine wirtschaftlichen, politischen und administrativen Interessen von Vorteil war“ (S. 55). Auch wenn sein Fazit letztlich nicht überraschen kann, steht zu hoffen, dass insbesondere seine Analyse des antiken Umgangs mit Begriffen wie oppidum und civitas ebenso wie seine Neubewertung der Rolle der Kommunikationsachsen schon in voraugusteischer Zeit weiteren Eingang in die Forschung finden werden.

Juan M. Abascal, Martín Almagro-Gorbea und Rosario Cebrián präsentieren neueste Forschungsergebnisse zu Segobriga (S. 59–77). Insbesondere der Fund einer durch die Konsularangabe auf das Jahr 15 v.Chr. datierten Inschrift mit der Nennung des lokalen ordo decurionum erlaubt dabei eine nun gesicherte Neudatierung der Verleihung des Munizipalrechts an die Gemeinde in bzw. vor diesem Jahr. Diese Sicht wird für sie durch eine ebenfalls neu entdeckte Patronatsehrung für einen Caesaris Augusti scriba bestätigt. Angesichts der durch das Edikt von El Bierzo gleichfalls für 15 v.Chr. bezeugten Maßnahmen des Augustus im Nordwesten der Iberischen Halbinsel möchten die Autoren eine grundsätzliche Neuordnung der Verhältnisse in Spanien in der Zeit des letzten Aufenthaltes des Kaisers annehmen und gleichzeitig neues Licht auf die Frage nach der Datierung der Quellen des älteren Plinius für seine spanischen Städtelisten werfen. Für sie steht fest, dass Plinius auf Informationen aus der Periode vor 15 v.Chr. zurückgriff. Die Autoren folgern: „wenn andere peregrine Städte bei Plinius folglich auch augusteische municipia sind, so müsste das genannte Datum des Statuswechsels [bis 15 v.Chr.] für alle gelten“ (S. 63). Auch wenn diese Schlussfolgerung nicht unproblematisch ist, eröffnet der Inschriftenfund doch erneut die Diskussion um die Aktualität der Daten des Plinius und insbesondere nach der Bedeutung seiner Unterscheidung zwischen „neuem“ und „altem“ latinischem Recht.3 Hier muss eine von den Autoren indirekt ja auch angemahnte Neubewertung der Inschriften der Iberischen Halbinsel aus dem kritischen Zeitraum vorgenommen werden, bevor weitere Aussagen möglich sind.

Es folgen Beiträge zur kaiserzeitlichen Entwicklung der iberischen Halbinsel: Evan W. Haley fragt nach der Interaktion von Stadt, Wirtschaft und kaiserlicher Verwaltung in der Baetica während der Kaiserzeit (S. 79–85), Ángel Ventura Villanueva untersucht vorwiegend auf epigraphischer Grundlage die Eliten der Colonia Patricia, dem antiken Cordoba, um 5 v.Chr. (S. 87–126), Sven Ahrens bietet neue Erkenntnisse der Bauforschung an der sogenannten nova urbs von Italica (S. 127–147) und Joaquín Ruiz de Arbulo schließlich beschäftigt sich mit baulicher Inszenierung und literarischer Stilisierung auf dem „Provinzialforum“ von Tarraco (S. 149–212).

Daran schließen sich drei Beiträge zur Region in der Spätantike an. Den Anfang macht hier Sabine Panzram mit „Bischöfe und Sexualität. Die canones von Elvira als Instrument der Sozialdisziplin“ (S. 213–235). Die canones verwendet sie als Quelle zur Analyse der „Handlungsspielräume der Angehörigen der verschiedenen sozialen Gruppierungen einer Stadt“ in der Baetica und für das „Bemühen der Bischöfe, Laien und Kleriker eine exklusiv christliche Identität zu schaffen“, woraus sich auch der hohe Anteil an canones erkläre, der sich mit Fragen der Sexualmoral beschäftigt (S. 217). Nach der Vorstellung und Interpretation zahlreicher Beispiele aus dem Regelwerk der canones kommt sie unter anderem zu dem Schluss, dass es das Sexualverhalten war, das nach den canones „einen Gläubigen als Christen und einen Christen als Kleriker auswies“ (S. 231). Sie müssen so für Panzram als Element der „Sozialdisziplin“ verstanden werden, welches im „Prozess der Internalisierung von Normen und der Institutionalisierung frühchristlicher Gemeinden“ im 4. Jahrhundert an christlichen Normen orientiertes Verhalten fördern und fordern wollte. Den Erfolg des Christentums im 5. Jahrhundert sieht sie als „Macht der Gewohnheit“, als „die Kirche die Gläubigen mental kontrollierte und emotional mobilisierte, das heißt ihre Herrschaft sich auf den freien Willen der Menschen gründen konnte“ und die Bischöfe damit „die Machtfrage für sich entschieden“ hatten (S. 235). Die canones von Elvira können damit sicherlich als Element der literarischen Stilisierung einer spezifischen sozialen Gruppe verstanden werden und erlauben auch einen Einblick in deren Verortung innerhalb der städtischen Gesellschaft. Allerdings überrascht, das Panzram nicht ihren Beitrag zum Kolloquium „Corduba im 4. Jh.n. Chr. - zwischen Provinziallandtag und Konzil“ veröffentlichte, der auf den ersten Blick weit mehr Anknüpfungspunkte zum Thema zu bieten scheint. Mit der Verortung der frühen christlichen Gemeinden im Sozialgefüge der hispanischen Städte beschäftigen sich dann auch die folgenden Beiträge von Pedro Mateos Cruz zu den Anfängen der Christianisierung in den Städten Hispaniens (S. 237–263) und von Javier Arce zu Städten und Bürgern im Hispanien der Spätantike (S. 265–282).

Der zweite Teil des Bandes, „Stadt und Elite zwischen Conquista und Reconquista (711–1492)“ bietet zwei Beiträge: Christian Ewert setzt sich mit dem Kalifensitz Córdoba, der benachbarten Herrscherresidenz von Madīnat az-Zahrā‘ und der Hafenstadt Almería auseinander und kann nachweisen, wie stark gerade in Córdoba die antike Vergangenheit in die islamische Gegenwart assimiliert wurde, obwohl eine etwa in ihrem Straßensystem typisch islamische Stadt entstand. Im Anschluss beschäftigt sich Ludwig Vones mit León als Zentrum ideologischer Selbstdarstellung des christlichen Königtums im 10. und 11. Jahrhundert (S. 307–321). Hier kann er in Auseinandersetzung mit der ersten historischen Analyse dieses Themenfeldes durch Sánchez-Albornoz von 1925 neue Forschungsfragen aufzeigen und die wechselnde ideologische und faktische Rolle Leóns für das christliche spanische Königtum nachzeichnen. Im dritten Teil „Der Herrscher, der Hof und die Stadt im Siglo de Oro (1492–1700)“ geben dann zwei weitere Beiträge einen Ausblick auf die Entwicklungen in der Frühen Neuzeit. So zeigt Horst Pietschmann die Interaktion zwischen Stadt und Herrschaft im Spanien des 16. Jahrhunderts auf (S. 325–359), und Rainer Wohlfeil beschäftigt sich mit dem frühneuzeitlichen Spanien im Spiegel der numismatischen Zeugnisse (S. 361–397).

Inhaltlich kann der Band also dem eigenen Anspruch gerecht werden, da er – wenn auch wie bei Sammelbänden üblich nur schlaglichtartig – einen Blick auf entscheidende Einzelaspekte der großen Frage nach der (Selbst)Inszenierung von Eliten im Kontext der sich durch die Zeit wandelnden Stadt ermöglicht. Die diachrone Perspektive scheint dabei vor allem zwei zentrale Anstöße für diesen Wandel der Stadt auf der Iberischen Halbinsel aufzuzeigen, die beide bereits in römischer Zeit wirkmächtig waren: Dies ist zum einen eine von außen an den lokalen Kontext herangetragene Veränderung des Kommunikationsraumes und zum anderen die dann einsetzende Anpassung des lokalen Kontexts an diese Veränderung. So bedeuten römische wie arabische Eroberung aber auch die Herrschaft durch einen nicht exklusiv in der Stadt verorteten katholischen König einen neuen, durch diese „fremde Macht“ geschaffenen politischen und gesellschaftlichen Referenzrahmen, an den sich insbesondere die lokale Elite in ihren Kommunikationsformen und damit auch Inszenierungsformen anpassen musste. Auch wenn diese Erkenntnis keinesfalls originell ist, so zeigen die im Band gebotenen Analysen deutlich auf, wie facettenreich dieser Anpassungsprozess im Einzelfall war und wie stark er sich insbesondere in der baulichen Gestaltung des urbanen Raumes manifestierte.

Ein besonderer Vorteil des Bandes ist die Übertragung aller Beiträge der spanischen Kollegen ins Deutsche, sodass hier auch ein wichtiger Anstoß zur weitergehenden Auseinandersetzung mit der spanischen Forschung in Deutschland gegeben werden kann. Damit eröffnet der Band Einsichten in die lebendige spanische Althistorie und Archäologie, deren Erkenntnisse angesichts der Sprachbarriere hierzulande häufig kaum rezipiert werden. Hilfreich sind auch die Karten und Abbildungen, die einigen Beiträgen beigegeben sind.

Anmerkungen:
1 Vgl. Sabine Panzram, Tagungsbericht Städte im Wandel. Bauliche Inszenierung und literarische Stilisierung lokaler Eliten auf der Iberischen Halbinsel. 20.10.2005-22.10.2005, Hamburg, in: H-Soz-u-Kult, 23.12.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=965>.
2 Alle Beiträge werden in der Einleitung von Panzram kurz zusammengefasst: S. 6–9.
3 Vgl. etwa Plin. nat. hist. 3,18 bei der Aufzählung der Anzahl von Siedlungen in der Citerior: oppida civium Romanorum XIII, Latinorum veterum XVII; vgl. 3,7 zur Baetica.

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