W. Weber u.a. (Hrsg.): Faszinierende Frühneuzeit

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Titel
Faszinierende Frühneuzeit. Reich, Frieden, Kultur und Kommunikation 1500-1800. Festschrift für Johannes Burkhardt zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Weber, Wolfgang E. J.; Dauser, Regina
Erschienen
Berlin 2008: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antoinette Saxer, Queen Mary, University of London

Der erste Blick auf die Johannes Burkhardt gewidmete Festschrift verspricht einen wilden Ritt durch die Friedens-Freuden und Kriegs-Leiden der Frühen Neuzeit.1 Von Schwaben nach Schweden traben dreizehn Geschichten durch die Jahre zwischen 1500 und 1800. Die von Wolfgang E. J. Weber und Regina Dauser herausgegebenen Aufsätze von SchülerInnen und KollegInnen des Augsburger Ordinarius veranschaulichen jedoch mehr als die Komplexität und Faszination einer Epoche. Die Lesereise führt durch ein weites Spektrum geschichtswissenschaftlicher Ansätze, die die deutschsprachige Frühneuzeitforschung heute prägen. Wie es der Untertitel des Sammelbandes andeutet, werden die Aufsätze von den thematischen Klammern „Reich und Frieden” (1. Teil) sowie „Kultur und Kommunikation” (2. Teil) umrahmt. Ein Schriftenverzeichnis Johannes Burkhardts rundet den gelungenen Jubiläumsband ab.

Im ersten Beitrag geht Karl Otmar Freiherr von Aretin der Frage nach, ob das Alte Reich eine ‚Föderation’ gewesen sei. Die Entwicklung der Reichsverfassung im Zeitraum zwischen 1648 und dem Rheinbund von 1806 umreißend, kritisiert Aretin die republikanische Lesart des Reiches als föderalen Bund – beispielsweise durch Rousseau, Mably oder den Abbé de Saint-Pierre. Der Verfassungstypus und die Regierungsart des Reiches waren einzigartig, so Aretin, denn sie wurden durch das Neben- und Miteinander der im Westfälischen Frieden angelegten Entwicklungsmöglichkeiten einer hierarchisch-lehensrechtlichen und einer föderativen Ordnung bestimmt.

Im Sinne der „Neuen Politikgeschichte” legt Susanne Friedrich den Schwerpunkt ihres Aufsatzes über Legitimationsprobleme von Kreisbündnissen auf die Diskursivität sowie die sprachliche und symbolische Aushandlung, Konstruktion und Repräsentation von Politik. Die Rechtsgrundlagen und Legitimationen von Kreisbündnissen sowie die multiplen Legitimationsstrategien der Reichskreise, die ihre Bündnispolitik zum Zweck der Rechts- und Friedenssicherung seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts deutlich erweiterten, lesen sich als analytisch sorgfältig aufbereitete Analyse solcher diskursiver Prozesse.

Heinz Durchhardts begriffsgeschichtlicher Beitrag verzeichnet zwei Umbrüche im frühneuzeitlichen politischen Vokabular: Zum einen skizziert der Autor den Aufstieg von „Europa” als Begründungs- und Legitimationsformel in Friedensverträgen der Frühen Neuzeit und, damit einhergehend, den Bedeutungsverlust und Untergang des Konzepts der Christianitas während des 17. Jahrhunderts. Zum anderen beschreibt Durchhardt vor dem Hintergrund einer „sich rasant beschleunigenden Säkularisierung des politischen Denkens” (S. 53) seit der Frühaufklärung den Aufstieg eines europäischen Freiheitsbegriffs, welcher die völkerrechtlichen Ordnungsvorstellungen von Ruhe und Sicherheit ablöste.

Der Aufsatz von Heinz Schilling über schwedische Kriegsbeute im 16. und 17. Jahrhundert ist der symbolischen Repräsentation von Macht und machtpolitischer Ansprüche gewidmet. Interessant ist der Blick über den Tellerrand, den der Autor mit Hinweisen zu den tagesaktuellen Debatten über sowjetische Kriegs- und Kunstbeute eröffnet. Vor dem Hintergrund eines „internationalen Systems autonomer Machtstaaten mit der darin eingeschlossenen ungebremsten politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Konkurrenz” (S. 63 und 68) werden zwei Seiten frühneuzeitlicher und moderner symbolischer Beutepolitik sichtbar: neben der Darstellung von Macht und Rang nach Außen dient der visuell-repräsentative Umgang mit Kriegsbeute, in Schillings Narration, auch der nach Innen gerichteten Selbstaffirmation und -positionierung.

Georg Schmidt geht es darum, durch die Aktualisierung frühneuzeitlicher Exempla die explanatorische Relevanz der Geschichtswissenschaft sichtbar zu machen. So entwickelt er seine Überlegungen zur deutschen Reformationsgeschichte von gegenwärtigen Diskursen und Problemkreisen aus, insbesondere von der Bedeutung von „Freiheit, Pluralität und Frieden” für Identitätsbildungsprozesse vor dem Hintergrund pluraler und multikultureller Gesellschaften und der Herausforderungen, die diese an Individuen und Kollektive stellen. Die historisch-konzeptuelle Rückblende in die Jahre der Reformation liefert selbstverständlich keine Antworten auf gegenwärtige Fragen, doch gelingt es Schmidt, die Aushandlung praktikabler Lösungen aufzuzeigen, die „über Scheiterhaufen, Unterdrückung oder Marginalisierung hinauswiesen” (S. 77).

Der Beitrag von Rolf Kiessling untersucht die territoriale und konfessionelle Politik der schwäbischen Reichsstädte in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Im Vordergrund steht die Frage nach deren Herrschaftsauffassung, die Kiessling im Spannungsverhältnis zwischen der „italienischen Option”, dem klassischen Modell von Stadtrepubliken, und dem „Turning Swiss” im Sinne von Thomas A. Brady analysiert, also der besonderen, ökonomisch bestimmten Verbindung von Stadt und Land unter dem gemeinsamen Vorzeichen der Verteidigung nach Außen.2

Der zweite Teil des Sammelbandes beginnt mit Business, Spiel und Spaß. Wolfgang Behringers Aufsatz über die Fugger als Sportartikelhändler überzeugt, erfrischt zur Halbzeit und bereitet einer Sportgeschichte der Frühen Neuzeit, die mit Vorfreude erwartet werden kann, den Weg.

In Mark Häberleins Aufsatz über die Praxis des Schenkens im 16. Jahrhundert spielen die Fugger ebenfalls die Hauptrolle. Die Fuggerischen Geschenke, so Häberlein, standen in einem engen Verhältnis zu deren geschäftlichen Interessen und Praktiken. Aus solchen Verflechtungen werden die sozialen Strategien einer reichsstädtisch-bürgerlichen Familie destilliert, die einerseits deren Aufstieg in Kreise des Reichsadels erleichterte und zum anderen der Status-Repräsentation innerhalb der ständischen Gesellschaft diente. Dementsprechend hebt der Autor die auffälligen Gemeinsamkeiten zwischen den Praktiken des Schenken, des Stiftens und des Sammelns hervor.

Fuggerische Rückzahlungsforderungen an die spanische Krone im 19. Jahrhundert bilden den Gegenstand von Stephanie Haberers Beitrag. Von besonderem Interesse sind die von der Autorin besprochenen Leitgedanken zur Archivführung, wie sie Anton Fugger im zweiten Kodizill zu seinem Testament von 1560 bereits verfügt hatte, ferner die familieninterne Archivrecherche im frühen 19. Jahrhundert als Vorarbeit zu einer „Geschichtsschreibung im eigenen Auftrag” (S. 156) sowie schließlich die Problematik der Durchsetzbarkeit berechtigter, doch längst verjährter Forderungen und Ansprüche.

Jutta Schumann beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit der bäuerlichen Nebenerwerbsarbeit wie Spinnen, Weben, Bierbrauen oder Schnapsbrennen in der wirtschaftstheoretischen Literatur des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. In der Theorie, so Schumanns Bilanz, wurde die ländliche Nebenerwerbsarbeit weitgehend ignoriert. Einerseits scheinen zahlreiche Autoren eine Verbindung zwischen den Zwangsarbeitspausen der Bauern im Winter und den Nebenerwerbsaktivitäten gesehen und als sinnvoll erachtet zu haben. Andererseits hatten Land und Landwirte in der durch den „Vorrang der Landwirtschaft vor der Stadtwirtschaft” sowie die „Einschätzung des Landes als Absatzmarkt für die Stadt” (S. 184) geprägten zeitgenössischen Sicht des protoindustriellen Wirtschaftssystems einen festen Platz, den es aus gesamtökonomischer Perspektive zu sichern galt.

Christine Werkstetter stellt in ihrem geschlechtergeschichtlichen Beitrag eine gescheiterte Ehe – die zweite Ehe der Augsburger Unternehmerin Anna Barbara Gignoux (1725-1796) – im Spiegel der Scheidungsakten dieses Falles vor. Neben den Einblicken in die Arbeits- und Lebenswelt ihrer Protagonistin, die Werkstetter detailreich darstellt, problematisiert die Autorin die in der Forschung immer wieder debattierte Frage, ob Scheidungsakten als historische Ego-Dokumente herangezogen und gelesen werden können. Die Fallstudie bejaht dies, vorausgesetzt eine dichte Kontextualisierung „der Geschehnisse und Darstellungen” (S. 216) ergänze die kritische Quellenarbeit.

Paul Münch geht in seinem Aufsatz der Rolle „verschnittener“ Männer im Leben und Werk Mozarts nach. Die dezidierte Verbindung musik- und kulturhistorischer Perspektiven mit Ansätzen aus Genderforschung und Historischer Anthropologie ermöglichen es Münch, die bislang vorherrschende Einschätzung der Haltung Mozarts zu Kastratensängern seiner Zeit, beispielsweise zum Salzburger Sopranisten Francesco Ceccarelli, der in Mozarts Familien- und Freundeskreis geachtet und geschätzt wurde, als „kritisch” zu revidieren.

„Kleine Politik ganz groß” – mit dem diesen Sammelband abschließenden Beitrag, der die Sonnen- und Schattenseiten von Freundschaft und Gönnerschaft und die vielen Gesichter der damit verbundenen Machtverhältnisse entblättert, stimmt Wolfgang Reinhard nachdenklich. Die Konvergenz von Mikro- und Makropolitik, die immer wieder neue Beziehungsgeflechte hervorzubringen vermag – gespiegelt in diversen Praktiken, von päpstlichem Nepotismus über universitäre Berufungsverfahren bis hin zu fragwürdigen Besetzungen des diplomatischen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland ab 1951 – gipfelt in Reinhards Aufsatz in der Problematisierung der postmodernen Leitkategorie des „Netzwerkes”.

Anmerkungen:
1 Einbandabbildung: Friedens=Freude, Kriegs=Leid. 1649, in: Wolfgang Harms / Cornelia Kemp (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Sammlungen der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt. Band IV, Tübingen 1984, S. 349.
2 Thomas A. Brady, Turning Swiss. Cities and Empire 1450-1550, Cambridge 1985.