Bracewell, Wendy; Drace-Francis, Alex (Hrsg.): Under Eastern Eyes. A Comparative Introduction to East European Travel Writing on Europe. Budapest 2008 : Central European University Press, ISBN 978-9-639-77611-1 388 S. € 32,95

Bracewell, Wendy; Drace-Francis, Alex (Hrsg.): A Bibliography of East European Travel Writing on Europe. . Budapest 2008 : Central European University Press, ISBN 978-9-639-77612-8 582 S. € 40,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Noack, Department of History, National University of Ireland, Maynooth

Mit „Under Eastern Eyes“ und „A Bibliography of Eastern European Travel Writing on Europe“ haben die britischen Herausgeber Wendy Bracewell und Alex Drace-Francis in zwei Bänden das beeindruckende Ergebnis eines internationalen und interdisziplinären Forschungsprojektes zur Reiseliteratur Osteuropas vorgelegt. Den Fluchtpunkt des Forschungsinteresses im vorliegenden Projekt bildeten Fragen nach der Konstruktion Europas in der Reiseliteratur und ihrer jeweiligen Indienststellung durch die Autoren. Räumlich deckt das Projekt die Länder zwischen Deutschland und Russland im Norden sowie den gesamten Balkan ab.

Um es gleich vorwegzunehmen: die Entscheidung der Herausgeber, die Ergebnisse getrennt in einem Essayband und einer knapp kommentierten Bibliographie zu veröffentlich ist überzeugend und benutzerfreundlich zugleich.

„Under Eastern Eyes“ umfasst drei einführende Essays von Historikern und Literaturwissenschaftlern zu Reiseliteratur im Allgemeinen sowie zum Europabezug der osteuropäischen Autoren im Besonderen, gefolgt von neun Essays zur Reiseliteratur in unterschiedlichen Epochen von der Renaissance (ca. 1550) bis zur Gegenwart. Neben slawischen Autoren (und einem Karikaturisten) sind Ungarn und Rumänen erfreulich prominent vertreten. Die einführenden Essays von Alex Drace-Francis und David Chirico bieten eine ausgezeichnete Einführung zur Gattung der travelogues und ihrer literaturwissenschaftlichen Erforschung. Mit Ausnahme der Diskussion über die Grenzziehung Europas aus der Feder Bracewells werden sie dem Kenner aber wenig Neues bieten.

Doch Interessierte, die sich bislang weniger intensiv mit Reiseliteratur auseinandergesetzt haben, werden sich über die ausgezeichnete Zusammenfassung des Forschungsstandes ebenso freuen wie über die anregenden Fragen, die hier aufgeworfen werden. Offensichtlich hatten die Herausgeber eine studentische Leserschaft im Sinn. Jedenfalls bieten die folgenden exemplarischen Aufsätze gute Beispiele für ganz unterschiedliche Herangehensweisen an historische Reiseberichte und mögliche Erträge hinsichtlich der Erkundung konfessioneller, nationaler sowie supranationaler Identitätsbildung.

Graeme Murdock’s Essay über frühmoderne ungarische Reisende ist ein Beispiel für die erste Richtung, Irina Popova-Novaks Beitrag über ungarische Reisende im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eines für die zweiten sowie Wendy Bracewells Erkundung von Wahrnehmung der Gemeinsamkeiten und Differenzen im Panslawismus ein Beispiel für die dritte. Die Selbstversicherung europäischer Identität in Abgrenzung zum exotisch empfundenen Fremden stehen im Mittelpunkt der Essays von Malina Kalinowska über Slowackis Orientreisen im frühen 19. Jahrhundert und von Zoran Milutinovic über einen serbischen Afrikareisenden einhundert Jahre später. Komplexe Bezüge zwischen europäischer, jüdischer und rumänischer Identität entdeckt Diana Georgescu in Mihail Sebastians Reisereportage der Zwischenkriegszeit, während Andi Mihalache das Wechselverhältnis von Raum und Zeit in den etwa zeitgleichen impressionistischen Berichten des rumänischen Politikers und Reisenden Nicolae Iorga freilegt.

Zwei Aufsätze widmen sich schließlich bildlichen beziehungsweise schriftlichen Eindrücken von Reisenden aus dem sozialistischen Polen und Bulgarien in den kapitalistischen Westen. Auch hier gelingt es Katarzyna Murawska-Muthesius und Rossitza Guentchova, ein faszinierendes Vexierspiel zwischen geforderter Abgrenzung und vereinnahmender Selbstversicherung oder Authentisierung nachzuvollziehen.

Damit zeigt der erste Band eine ganze Reihe von Möglichkeiten auf, sich dem eigentlichen ‚Werkzeug für die Forschung’, der Bibliographie, anzunähern. In fünfzehn Kapiteln versammelt sie in der Regel nationalsprachliche Primärquellen der Reiseliteratur, die zwischen 1550 und der Gegenwart publiziert wurden (Manuskripte wurden nicht berücksichtigt).

Neben den Nationalliteraturen der zeitgenössischen Staaten Ost- und Südeuropas (einschließlich der Ukraine, Albaniens und Griechenlands) fand dankenswerterweise auch die hebräische und jiddische Literatur Berücksichtigung. Da Sprache das Gliederungskriterium darstellt, sind die Literaturen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Mazedonien und Slowenien sowie Tschechien und die Slowakei gesondert dargestellt. Konsequenterweise werden Serbien, Kroatien und Bosnien dagegen gemeinsam behandelt. Die Sorgfalt der Bearbeiter spiegelt sich nicht zuletzt in der Aufnahme eines Abschnittes, der diejenigen Reiseberichte aufführt, die in europäischen Verkehrssprachen einschließlich des Lateinischen verfasst wurden. Schließlich bietet der Band noch eine Auswahlbibliographie der Sekundärliteratur zu europäischen Reiseberichten – auch bei der Bibliographie waren die Herausgeber offensichtlich um Seminartauglichkeit bemüht.

Die Bibliographie enthält Geburts- und Todesjahr der Verfasser, führt Originaltitel und englische Übersetzung auf sowie Ort und Datum der Publikation. Zudem wird vermerkt, welche Reiseziele in den Berichten beschrieben werden. Da der Band über ein ausführliches Sachregister verfügt, dürfte dies auch diejenigen Historiker interessieren, die ganz konventionell Reiseberichte als Quellen für Regionalstudien auszuwerten gedenken.

Soweit vorhanden, werden auch Sekundärquellen zu den Reiseberichten mit aufgeführt. Ihre Zahl ist allerdings gering, da die Reiseberichte, wie die Herausgeber mit Recht bemerken, „überraschend wenig Aufmerksamkeit gefunden haben“ (S. vii). Dies sollte sich mit der Vorlage dieser Bibliographie wirklich ändern, zumal sie nicht nur nationalsprachliche Literaturen systematisch zugänglich macht, sondern darüber hinaus demjenigen, der entsprechende Sprachkenntnisse mitbringt, einen breiten komparativen Zugriff ermöglicht. Beide Bände zusammen verlangen geradezu danach, zur Vorbereitung von Seminaren zu ost- und südeuropäischer Reiseliteratur oder, genereller, zum Problem der europäischen Identität eingesetzt zu werden.

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