M. Schramm: Wirtschaft und Wissenschaft in DDR und BRD

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Titel
Wirtschaft und Wissenschaft in DDR und BRD. Die Kategorie Vertrauen in Innovationsprozessen


Autor(en)
Schramm, Manuel
Reihe
Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien 17
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
355 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Ahrens, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

"Wissenschaftsbasierte", forschungs- und entwicklungsintensive Unternehmen mit qualifizierten Belegschaften sind eine traditionelle Stärke der deutschen Wirtschaft. Innovationsträgheit war, darüber dürfte sich die wirtschaftshistorische Forschung mittlerweile einig sein, eine der wesentlichen Ursachen für den wirtschaftlichen Niedergang der DDR. Manuel Schramms Habilitationsschrift setzt also an einer für das Verständnis der ost- wie westdeutschen Wirtschaftsentwicklung zentralen Schnittstelle an, indem sie nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher und unternehmerischer bzw. betrieblicher Forschung in beiden Systemen fragt. Durch Fokussierung auf die Interaktion der beteiligten Akteure bietet die Arbeit eine kulturhistorisch inspirierte Verbindung von Wirtschafts- und Technikgeschichte. Inhaltlich konzentriert sie sich auf den Werkzeugmaschinenbau, die Feinmechanik und Optik sowie die Chemie bzw. Pharmazie. Damit wird ein relativ breites Spektrum an Innovationen – von der Gleitsichtbrille über numerische Steuerungen bis zur Biotechnologie – zu unterschiedlichen Zeiträumen zwischen den 1950er- und den 1990er-Jahren abgedeckt.

Nach einem pointierten Überblick über die Organisation von Forschung und Entwicklung in beiden Systemen und speziell in den untersuchten Branchen sucht Schramm zunächst nach Indikatoren für "interorganisationale Netzwerke" zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Der Vergleich von Ehrenpromotionen an Technischen Hochschulen deutet nicht nur darauf hin, dass traditionelle Austauschbeziehungen zwischen Unternehmen und akademischer Forschung in der DDR relativ früh verloren gingen. Er ergibt zudem den durchaus überraschenden Befund, dass die zunehmende "Verwissenschaftlichung" der bundesdeutschen Industrie sich keineswegs auf dieser Ebene niederschlug. Die berufliche Mobilität zwischen beiden Arbeitsfeldern blieb zwar in der Bundesrepublik größer als in der DDR, ging aber auch hier zurück.

Die Hauptteile der Arbeit beschäftigen sich nacheinander mit Kooperationsbeziehungen zwischen Industrie und Wissenschaft in der DDR und der Bundesrepublik. Die überlegt ausgewählten Fallbeispiele bilden unterschiedliche Konstellationen der Forschungs- und Entwicklungskooperation ab, zugleich demonstrieren sie schrittweise die Bedeutung der jeweiligen Systembedingungen. Wirtschaft wie Wissenschaft waren in der DDR nicht autonom in der Wahl ihrer Partner, Hochschulpolitik und Kombinatsbildung begrenzten die Möglichkeit zur Aushandlung von Kooperationen zusätzlich. Vordergründig konnte der direkte politische Einfluss durchaus positive Effekte haben, deren wirtschaftlicher Ertrag aber zumindest zweifelhaft war. So demonstriert das Beispiel Carl Zeiss Jena, wie der Staat einerseits den Umfang der Vertragsforschung drastisch erhöhen konnte, dadurch aber andererseits eingespielte Kooperationsformen zerstörte. Obwohl die akademischen Forschungen durchaus frühzeitig begannen und ein "hohes wissenschaftliches Niveau" (S. 132) erreichten, lag es für die Betriebe deshalb nahe, die als wirtschaftlich sinnvoll erachteten Innovationen möglichst selbst voranzutreiben und auf die eigenen Kapazitäten zurückzugreifen. Mangels Verwertungsalternativen ergab sich auch kein positiver Konkurrenzeffekt daraus, dass – wie Schramm für den Chemnitzer Werkzeugmaschinenbau zeigt – "die Wissenschaftler an Hochschulen und Akademie-Instituten von der Industrie meist eher als Rivalen denn als Partner wahrgenommen wurden" (S. 151). Angesichts begrenzter gesamtwirtschaftlicher Ressourcen rächte sich das spätestens bei komplexen, qualitativ neuen und kostenaufwendigen Innovationen, für die beispielhaft die Einführung computernumerischer Steuerungen steht. Nicht nur in diesem Fall erwies sich das Innovationssystem der DDR zudem als wenig originell. Auch die "Nachentwicklung" amerikanischer Antibiotika und der zögerliche Einstieg in die Biotechnologie demonstrieren, dass der "kapitalistische Weltmarkt" vielfach den Takt vorgab, dem die DDR nolens volens zu folgen hatte. Zudem war das Planungssystem trotz der zusehends angespannteren Budgets offenbar damit überfordert, parallele Forschungsarbeiten in Kombinaten und Universitäten zu verhindern.

Dem nüchternen Fazit für den Osten, dass die praktischen Erträge von Forschungs- und Entwicklungskooperationen äußerst gering blieben, steht keineswegs eine uneingeschränkt positive Bilanz für den Westen gegenüber. Schramm hat klugerweise auch hier das Scheitern von Kooperationsversuchen beleuchtet und nicht nur Erfolgsbeispiele präsentiert. Die im Vergleich zur staatlich organisierten Innovationspolitik der DDR deutlich ungünstigere Quellenlage spiegelt sich darin, dass die Fallstudien zu den gleichen oder prinzipiell ähnlichen Innovationsprojekten teils sehr kurz ausfallen. Die Beispiele zeigen dennoch die Vielfalt und Komplexität von Kooperationsbeziehungen und Forschungsförderung sowie deren Grenzen und Erfolge. Der Markt allein, so lässt sich resümieren, drängt zwar zu permanenter Innovation. Er bewirkt aber trotz der größeren Wahlmöglichkeiten aller Beteiligten nicht zwangsläufig erfolgreiche Kooperationen, und staatliche Fördermittel sind dafür ebenfalls keine Garantie.

Ob man aus den zahlreichen Fallbeispielen wirklich mit hinreichender Sicherheit ableiten kann, welche Rolle "Vertrauen" in Innovationsprozessen spielt, ist eine andere Frage. Schramm stellt die auch im Titel hervorgehobene, "viel versprechende Kategorie" Vertrauen (S. 22), die in den letzten Jahren zunehmend auf wirtschaftshistorisches Interesse stößt, durchaus theoriebewusst ins Zentrum seines analytischen Ansatzes, ohne sie aber für seine Zwecke weiter auszudifferenzieren und zu operationalisieren. In einigen Fallstudien taucht das Stichwort nur am Rande oder gar nicht auf; in anderen erscheint die Verallgemeinerung punktueller Befunde unter diesem Label zumindest problematisch. Sind persönliche Differenzen zwischen einzelnen Akteuren wirklich hinreichende Belege für ein generelles Misstrauen gegenüber Systemen der Kooperation; war der Rückzug auf Forschungspotenziale des Unternehmens oder Kombinats tatsächlich Ausdruck eines allgemeinen Mangels an Regelvertrauen; wie unterscheidet man "Vertrauen" in der unternehmerischen Hochschulfinanzierung von reinen Nützlichkeitserwägungen? Darüber hinaus vermisst man, trotz der schlüssigen Versuchsanordnung der Fallbeispiele, eine explizite Formulierung der Vergleichsmaßstäbe und -kategorien in der Einleitung; die Bedeutung der dort hervorgehobenen Kapitaltheorie Pierre Bourdieus für die konkrete Untersuchung bleibt hingegen unklar.

Solche Nachfragen sind freilich keine generellen Einwände gegen das Buch, sondern machen deutlich, dass es eine zumal für den Systemvergleich wichtige Diskussion anstoßen kann. Dazu gehört auch, dass der Verfasser am Ende seinen eigenen Leitbegriff souverän relativiert: "Vertrauen ist also für Kooperationen wahrscheinlich eine notwendige Bedingung, nicht aber für Innovationen." (S. 300) Zugleich stützen seine Fallstudien die Skepsis gegenüber "einer verbreiteten Netzwerkrhetorik" (ebd.) und forschungspolitischem Machbarkeitsoptimismus, liefern also Anregungen nicht nur für den historischen Innovationsvergleich.

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