S. Grampp u.a. (Hrsg.): Revolutionsmedien - Medienrevolutionen

Cover
Titel
Revolutionsmedien - Medienrevolutionen.


Herausgeber
Grampp, Sven; Kirchmann, Kay; Sandl, Marcus; Schlögl, Rudolf; Wiebel, Eva
Reihe
Historische Kulturwissenschaften 11
Erschienen
Konstanz 2008: UVK Verlag
Anzahl Seiten
699 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Birkner, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg

„Womit beginnen?“ fragte Wladimir Iljitsch Lenin 1901. Womit beginnt man eine Revolution? Lenins Antwort führt mitten hinein in die Frage nach Revolutionsmedien und Medienrevolutionen: Er gründete eine Zeitung.

Bereits im Jahr 2004 hatten die Autoren Kay Kirchmann, Marcus Sandl und Rudolf Schlögl mit Fabio Crivellari in dem Band „Die Medien der Geschichte“ festgestellt: „‚Medialität der Geschichte’ akzentuiert also nicht nur die Tatsache, dass uns Geschichte ja nur in medialer Überlieferung überhaupt zugänglich ist, sondern stellt sehr viel weitgehender darauf ab, dass Medien selbst elementare Produktivkräfte des Geschichtlichen sind.“ In diesem Zusammenhang wird dann auch an gleicher Stelle von der „hinlänglich nachgewiesenen Rolle der elektronischen Bildmedien für den und beim Sturz der kommunistischen Regime Europas“ gesprochen, sowie über die „nicht weniger evidenten Funktionen der Medien für neuzeitliche Geschichtsverläufe überhaupt – Stichwort: Buchdruck und Reformation oder Französische Revolution und Flugblatt“.1

Diesen Zusammenhängen spürt das neue Buch nach. Je nach Fachrichtung werden dabei geschichts-, medien-, literatur- und kunstwissenschaftliche Blickwinkel eingenommen, was zu einer kreativen Vielstimmigkeit führt. Gerade hierin liegt der Mehrwert dieses Bandes für all jene, die sich im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Medien befinden. Die unterschiedlichen Herangehensweisen, die dieses Buch vereint, verbinden gleichsam ein hohes Maß an theoretischer Abstraktion mit konkreter Forschung. Dabei gehen alle Beiträge, so die Medienwissenschaftler Nicole Wiedenmann und Kay Kirchmann, davon aus, dass es Revolutionen gibt, „auch und gerade dort, wo sie dem je verhandelten Gegenstand nach eingehender Prüfung die kategoriale Zuweisung ‚revolutionär’ letztlich absprechen oder diese als rein rhetorische Strategie decouvrieren“ (S. 25). Revolution sei eben kein „‚Ding an sich’, sondern die wertende Klassifizierung einer Begebenheit“ (S. 55). Dabei ist der Anspruch des Bandes interdisziplinär, auch wenn Wiedenmann und Kirchmann provokant fordern, den „Gegenstand ‚Revolution’ den angestammten Geltungssphären der Geschichts-, Politik- und Sozialwissenschaften zu entreißen“ (S. 64). Doch bleibt kritisch anzumerken, dass der reichhaltige konstruktivistische Fundus der Kommunikationswissenschaften zur „Wirklichkeit der Medien“2 weitgehend ungenutzt bleibt, obschon dies der eigentliche Tenor des Buches ist: Medien konstruieren Wirklichkeit, Historiker konstruieren Geschichte(n) und auch Revolution(en) – und diese wiederum konstruieren sich selbst. „Die Unterschrift erfindet den Unterzeichner“ (S. 60), wird Jacques Derrida zur Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zitiert.

Christian Holtorf erklärt, die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels im Atlantik 1858 sei nur insofern eine Medienrevolution gewesen, als die Medien sie als revolutionär bezeichnet hätten (S. 131). Medienrevolutionen, meint auch Markus Buschhaus, würden eben nicht nur fest-, sondern auch hergestellt (S. 206). So lässt sich dieses erste Kapitel des Buches „Medien als Revolution“ pointieren: „Es gibt keine Medienrevolutionen und es gibt sie natürlich doch: nämlich als Figuren in den Diskursen über Medien, und gerade als solche müssen sie ernst genommen werden“ (S. 167), schreibt Rainer Leschke.

Das zweite Kapitel behandelt „Medien in der Revolution“. Bei Lenin wird, wie eingangs bereits erwähnt, „ein Medium – ein Massenmedium – zum Ausgangspunkt und Fundament aller revolutionären Aktivität erhoben“ (S. 325), so Jens Ruchatz. Letzterer arbeitet dabei heraus, dass Lenin in der Zeitung die Spitze der Avantgarde der Revolution sieht, sie jedoch nicht als Medium, sondern als Massenkommunikationsmittel (S. 331) konzipiert. Bertolt Brechts vielfach erörterte Idee, den Rundfunk „aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln“ (S. 382), untersucht Christian Filk, der insbesondere betont, dass Brecht sich seiner utopischen Position dabei vollauf bewusst war (S. 385). Neben diesen Beiträgen zu Medienkonzeptionen wird hier anhand von Fallbeispielen die Rolle der Medien für die jeweilige Revolution herausgestellt. Rolf Reichardt nennt die Französische Revolution von 1789, die an anderer Stelle als „Reflexionsfigur der Selbstbeobachtung und symbolisch-diskursiven Überformung aller folgenden Revolutionen“ (S. 70) bezeichnet wird, eine „Presse-Revolution“ (S. 241): „Nicht zuletzt von Flugschriften ausgelöst, schuf die Französische Revolution erstmals eine ‚moderne’ Meinungspresse, deren Nachfolger dann am Ausbruch der Juli- und der Februarrevolution beteiligt waren.“ (S. 273) Daran anschließend untersucht Ursula E. Koch die Einflüsse der französischen Revolutionen auf Deutschland. Sie sieht für 1789 und 1830 in Deutschland „Ansätze einer plurimedialen Kommunikation“ (S. 316) und für die 1848er Revolution einen „quantitativ wie qualitativ revolutionär zu nennenden neuen Impuls“ (S. 317). Ähnlich differenziert fällt das Urteil von Boris Barth für die Revolution von 1918/19 in Deutschland aus. Eindeutiger dagegen argumentiert der Fernsehjournalist Klaus Bresser zur friedlichen deutschen Revolution 1989. Das Fernsehen biete zwar letztlich nur „Aspekte der Wahrheit“ (S. 454), sei aber dennoch, oder gerade deshalb, „ein nahezu ideales Transportmittel für Revolutionen“ (S. 453).

Im dritten Kapitel stehen „Mediale Repräsentationen der Revolution“ im Mittelpunkt. Hier wird noch einmal deutlich, wie sehr Revolutionen immer auch mediale Konstruktionen sind. Nicht nur für den von ihm untersuchten „Revolutionsfilm“ stellt Norbert M. Schmitz am Beispiel von Jean Renoirs „La Marseillaise“ klar: „Geschichte ist bekanntlich zunächst einmal eine Erzählung, das heißt eine narrative Konstruktion“ (S. 598). Im Falle des Fernsehfilmes „Rotmord“ (1969) von Tankred Dorst und Peter Zadek handelt es sich demnach, so Petra Maria Meyer, um „eine als solche ausgewiesene Inszenierung von Geschichte aus medialen ‚Partikeln von Wirklichkeit’“ (S. 628). Dabei richte sich die Bildarbeit in „Rotmord“ durchgängig gegen die „Nichtfiktionalitätsfiktion“ des Fernsehens (S. 640). Die mediale Konstruktion von Geschichte im Allgemeinen und Revolution im Speziellen kann also medial auch wieder dekonstruiert werden, doch auch dies ist dann wieder eine Konstruktion.

Es ist das Verdienst dieses Buches, anhand von Revolutionen den Zusammenhang von Geschichte und Medien aus vielerlei Perspektiven beleuchtet zu haben. Auch wenn der Historiker Rudolf Schlögl gleich zu Beginn konstatiert: „Keine Revolution ist ein bloßes Medienereignis“ (S. 22), so ist ihm, als Fazit der Lektüre dieses Sammelbandes, darin zuzustimmen, dass man sie als „medial bedingte Kommunikationszusammenhänge“ begreifen kann, ja muss. Dabei wird die Reflektion über die zahlreichen Ebenen der Konstruktion von Revolutionen, die dieser innovative Band auf sehr hohem Niveau betreibt, hoffentlich weiter- und auf anderen Feldern fortgeführt werden.

Anmerkungen:
1 Fabio Crivellari u.a. (Hrsg.), Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 20.
2 Klaus Merten / Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994.