1000 lat Wrocławia - 1000 Jahre Breslau

1000 lat Wrocławia - 1000 Jahre Breslau

Veranstalter
Muzeum Miejskie Wrocławia
Ort
Wrocław (Breslau)
Land
Poland
Vom - Bis
15.04.2009 -

Publikation(en)

Łagiewski, Maciej; Okólska, Halina; Oszczanowski, Piotr (Hrsg.): 1000 lat Wrocławia. Przewodnik po wystawie. Muzeum Miejskie. Wrocław 2009 428 S. ca. € 7,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mateusz Hartwich, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas

Schon Name und Ort der Mitte April neu eröffneten Dauerausstellung zu tausend Jahren Breslauer Stadtgeschichte stellt eine kleine Provokation dar: 1000 Jahre Breslau, ausgestellt im so genannten Königsschloss. Für einige Kommentatoren ging dieser Verweis auf die Hohenzollernherrschaft in Schlesien zu weit, da es Königsschlösser in Polen nur in Krakau oder Warschau geben sollte; andere wiederum benutzen weiterhin den bisher gebräuchlichen Namen „Spätgenpalais“ (nach den Vorbesitzern). Die nach jahrelangen Umbauarbeiten eröffnete, erste komplette Stadtgeschichtsschau situiert sich im Kontext dieser seit einigen Jahren laufenden Debatten über eine (neue) regionale Identität in Niederschlesien und den deutschen Anteil daran.1

Die Ausstellung bezieht in der Art der Präsentation und im Inhalt deutlich Stellung zu dieser Debatte. Wie der Ideengeber und Museumsdirektor Maciej Łagiewski im Museumsführer schreibt: „Nahezu 3.000 Exponate (…) erzählen von Menschen, Ideen, Ereignissen und der dahin fließenden Zeit, seit der Gründung eines Bistums in Breslau bis zu unseren Zeiten“.(S. 9) Dadurch entstünde „zum ersten Mal eine Ausstellung, frei von politischen Emotionen und ohne einseitigen Kommentar“, in der „Geschichte definiert, nicht deformiert“ werde (S. 12). Insgesamt lässt sich sagen, dass das Ziel einer „brauchbaren“ Geschichtsnarration aufgegangen ist, die dabei visuell recht ansprechend ist. Einige Mängel sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben.

Die Erzählung beginnt schon beim Eingang zum Museum – von der viel befahrenen ul. Kazimierza Wielkiego im Breslauer Stadtzentrum betritt man durch ein Säulentor den Hof des „Königsschlosses“, an dessen Seitenflügeln entlang so genannte „Meilensteine“ der Stadtgeschichte aufgestellt sind. Mit bloßen Jahreszahlen versehen, markieren sie einschneidende Ereignisse. Und hier folgt schon die erste Überraschung: Sie beziehen sich größtenteils auf klassische, politikhistorische Wendepunkte (1335, 1871, 1945 etc.), wobei von Menschen und Ideen hier lediglich die Gründung der Jesuitenakademie 1702 oder die so genannte „Jahrhundertflut“ an der Oder 1997 zeugen. Als eine Besonderheit kann man den doppelten Meilenstein „1526, 1530“ ansehen, wo neben dem Fall der Stadt an das Habsburgerreich die Verleihung des Stadtwappens (dort auch abgebildet) erwähnt wird. Dessen Würdigung erklärt sich durch den Kampf um seine Wiedereinführung 1990 als Erscheinungsform der Herausbildung der neuen Lokalidentität und durch Łagiewskis Forschungen zu dem Thema.

Die Ausstellung im Innern des Gebäudes verläuft über drei Stockwerke und durch 25 Räume; die Narration folgt recht klassisch einem chronologischen Muster, mit etablierten Epocheneinteilungen. Zu Beginn passiert man eine Vitrine mit jeweils einem ausgewählten Artefakt für jeden Zeitabschnitt, wobei die Auswahl recht plakativ ist, z.B. ein sowjetisches Maschinengewehr für 1933-1945; zum Schluss folgt ein großer Spiegel. Als Zufall, aber auch Ausdruck eines gewissen Trends im Ausstellungswesen darf gelten, dass die Berliner Polen-Ausstellung „My berlińczycy“2 genau so endet. Den eigentlichen Auftakt der Exposition bildet aber ein Monumentalgemälde des kürzlich verstorbenen Malers Franciszek Starowieyski „Die wundersame Wiederentdeckung des Kopfes vom Heiligen Johannes nach der kommunistischen Vernichtung“ – ein Auftragswerk für die Breslauer Millenniumsfeiern 2000, das dem Ernst des Anliegens eine Prise Ironie verleiht.

Als keinesfalls selbstverständlich sollte man ansehen, dass die Beschriftung konsequent dreisprachig ist (Polnisch, Deutsch, Englisch). Selbst die vielen multimedial präsentierten Zusatzinformationen an den insgesamt zehn Computerstationen wurden, sofern ersichtlich, übersetzt. Auch die Tatsache, dass in der deutschen Version stets von „Breslau“ und „Breslauer“ die Rede ist, spricht für die Vorurteilslosigkeit der Darstellung. Was die Auswahl der Exponate angeht, so erscheint einiges diskussionswürdig. So wird im Mittelalterteil die legendäre Schlacht am Hundsfeld (polnisch Psie Pole) erwähnt, wobei dazu auch ein Panoramagemälde aus den 1950er-Jahren präsentiert wird. Das ist insofern bedenklich, als dass dieses unter Historikern umstrittene Scharmützel in der kommunistischen Propaganda zur Belegung einer ewigen deutsch-polnischen Feindschaft missbraucht wurde. Dass Piastenherzog Heinrich der Fromme (gestorben 1241) durch ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert dargestellt wird, fällt dem gegenüber eher harmlos aus. Ansonsten kann als Fußnote zum Streit um die Rückgabe von nach Warschau verlagerten Kunstschätzen der schlesischen Kulturgeschichte angemerkt werden, dass viele Exponate als Deposita zentraler Museen in der Breslauer Ausstellung auftauchen.

Dass die Geschichte zum großen Teil als Werk großer Männer – durch entsprechende Porträts dargestellt – präsentiert wird, und Ideengeschichte meistens in Gestalt von ausgestellten Büchern daher kommt, könnte man noch hinnehmen. Als höchst problematisch erscheint aber die Nutzung eines deutschen Dokumentarfilms von 1931 zur Illustration des städtischen Lebens zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik. Als charakteristisch kann gelten, dass die Betonung des „deutschen“ Charakters des Ortes im Original in den polnischen Untertiteln umschifft wurde. Die Aussagen der jeweiligen Exponate sollten nicht allzu sehr mit der Narration der Ausstellung konfligieren. Recht plakativ erscheint die Behandlung der problematischen Zeitabschnitte: Das Dritte Reich wird auf Konzentrationslager, Zwangsarbeiter und vor allem die Festungszeit (Februar bis Mai 1945) beschränkt, so dass der Besucher wenig über die Haltung der damaligen Breslauer zum Nationalsozialismus oder den Alltag darin erfährt; die Jahre 1945 bis 1956 sind schon rein optisch gesehen Zeiten des roten Terrors. Gegenüber der Leinwand mit dem Film von 1931 wird ein polnischer Propagandafilm zur Austreibung der Deutschen nach 1945 ausgestrahlt, wobei die Einordnung seiner Rhetorik dem Besucher dankenswerterweise selbst überlassen wird.3

Die barocken und klassizistischen Räume wurden insgesamt sehr passend für die Exposition arrangiert. Die Ausstellungsmacher konnten aber der Versuchung nicht widerstehen, die prachtvollen Räume des Mittelteils – die Gemächer der Hohenzollernkönige – als schöne Interieurs in Szene zu setzen. Ähnliches gilt für den „Beyersdorf-Saal“, auf den die Galerie der Breslauer Kunst 1850-1945 folgt. Dies unterbricht die Chronologie der Ausstellung und ist anscheinend dem Wunsch geschuldet, die Kunstsammlung des Museums zur Schau zu stellen. Spätestens dann, wenn man einen Raum, angefüllt mit Riesengebirgslandschaften von Dressler, Morgenstern etc., betritt, fragt man sich nach dem Bezug zur Stadtgeschichte, abgesehen vom Wirkungsort der Maler. Hat man den Zugang zu den Sälen 16-25 gefunden, und lässt die Kunstsammlungen zu 1945-2000 beiseite, folgen die Abschnitte zum 19. und 20. Jahrhundert. Die Ausstellung endet, etwas überraschend, mit einer Präsentation des Kulturlebens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit besonderer Berücksichtigung des Theaters.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz aller aufgeführten Mängel, der Besuch des Museums sehr empfohlen werden kann, nicht zuletzt eben wegen des Gebäudes und des schönen barocken Gartens (mit Museumscafe). Abgesehen von allen Brüchen und gelegentlichen Verrenkungen, erzählt die Ausstellung auf eine recht kohärente Art „die komplexe und schwierige Geschichte einer Stadt im Herzen Europas“.(S. 9) Außerdem kommt hinzu, dass sowohl die besondere Lokalität mit ihrer Geschichte, wie auch die Bestände der eingegliederten Institutionen (Medaillen- und Kunstmuseum) in die Dauerausstellung eingebunden werden mussten. Dass diese Erzählung der Projektion der Eliten von der Vergangenheit – der „Geschichte nach Norman Davies“, wie ein amerikanischer Kollege es bezeichnet hat – oder gar dem Stadtmarketing entspricht, ist offensichtlich. Schließlich können historische Museen nur in sehr begrenztem Maße wissenschaftliche Debatten wiedergeben. Sie können aber zur Auseinandersetzung mit der Geschichte, ihrer Bedeutung für das Hier und Heute und somit für die eigene Identität, anregen. In diesem Sinne erfüllt das Breslauer Museum seine Rolle gut.

Anmerkungen:
1 Vgl. Philipp Ther/ Tomasz Królik/ Lutz Henke (Hrsg.): Das polnische Breslau als europäische Metropole. Erinnerung und Geschichtspolitik aus dem Blickwinkel der Oral History, Wrocław 2005.
2 Siehe <http://www.wirberliner.de> (19.06.2009).
3 Vgl. dazu bei Gregor Thum, Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003 [polnisch als "Obce miasto. Wrocław 1945 i potem", Wrocław 2006; Ende 2008 bereits in dritter Auflage erschienen]

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