B. Hüppauf u.a. (Hrsg.): Frosch und Frankenstein

Cover
Titel
Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaften


Herausgeber
Hüppauf, Bernd; Weingart, Peter
Anzahl Seiten
459 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Adelmann, Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn

Erkenntnis und Faszination sind keine Gegensätze. In einer ersten Annäherung könnte man sagen, sie haben einfach nichts miteinander zu tun oder behaupten, sie werden zwei Kategorien zugeordnet, die jeweils Unvereinbares klassifizieren. Ein wissenschaftliches Objekt kann faszinierend sein, was aber die über es zu gewinnenden Erkenntnisse nicht berührt. Ebenso muss das Wissen über ein wissenschaftliches Objekt nicht unbedingt zu seiner Faszination beitragen. Dieser kategorialen Trennung von Erkenntnis und Faszination kann durch die Analyse eines produktiven Zusammenspiels beider Elemente im Forschungsprozess eine neue Perspektive hinzugefügt werden. Wissenschaftliche Bilder oder Visualisierungen liefern für diese strategische Verschmelzung von Erkenntnis und Faszination eindrückliche Beispiele.

Der Sammelband „Frosch und Frankenstein“ von Bernd Hüppauf und Peter Weingart greift diese Perspektive auf, wenn er „Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft“ (Untertitel) thematisiert.1 Damit reiht sich der Band in die intensive interdisziplinäre Auseinandersetzung der letzten 20 Jahre um Wissenschaftsbilder ein. Von der Kunstgeschichte über die Wissenschaftstheorie bis zur Soziologie reichen die verschiedenen Perspektivierungen des Bildes als ein zentrales Element sowohl im innerwissenschaftlichen Austausch als auch in der öffentlichen Kommunikation. Dieser umfangreiche Kontext entfaltet sich im ersten Teil des Sammelbandes, in dem der Theorie und Geschichte von Wissenschaftsbildern und ihrer Popularisierung ein entsprechend breiter Raum zugesprochen wird. Neben der Einleitung der Herausgeber entfalten die Beiträge von Sybilla Nikolow und Lars Bluma, Carsten Kretschmann, William J. Thomas Mitchell sowie Dieter Mersch die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas. Damit dient der erste Teil des Sammelbandes nicht nur als eine hervorragende Grundlage für die nachfolgenden spezifischen analytischen Fragestellungen in den anderen Teilen, sondern liefert gleichsam eine Einführung in die aktuelle Debatte über den epistemologischen Status von Wissenschaftsbildern.

Die beiden Herausgeber sehen insbesondere in der „Medienrevolution gegen Ende des 19. Jahrhunderts“ (S. 11) einen historischen Popularisierungsschub für wissenschaftliche Bilder. Während ihre Rezeption innerhalb der Wissenschaften durch bildliche Konventionalisierungen und eindeutige Codes einigermaßen abgesichert ist, betonen sie immer wieder, dass über die Wirkung auf die Öffentlichkeit und ihre Wechselwirkung mit den Wissenschaften wenig bekannt ist. Dieses aufgezeigte Forschungsdefizit ist plausibel und steht im Mittelpunkt aller Beiträge zum Sammelband. Die These von Hüppauf und Weingart ist, dass Bilder ein prinzipiell „leichter zugängliches Medium der Kommunikation als die (begriffliche) Sprache“ (S. 14) sind und dadurch in unterschiedlichen Kontexten auch völlig anders rezipiert werden. Hüppauf und Weingart gehen sogar so weit, dass Bilder im Übergang von Wissenschaft zur Öffentlichkeit zu anderen Bildern werden: Sie verlieren ihre spezifischen Zwecke, initiieren Assoziationen und treten in Wechselwirkung mit anderen populären Bildern. Mit ihrer Digitalisierung wird dieser Prozess weiter vorangetrieben. Populäre Bilder der Wissenschaft greifen auf das Faszinationspotential von digitalen Wissenschaftsbildern zurück. Somit wird eine Parallelentwicklung zwischen dem zunehmend wichtigeren epistemischen Status von Wissenschaftsbildern und ihrer Zirkulation in der Populärkultur konstatiert.

Dieses Argument greifen Sybilla Nikolow und Lars Bluma in ihrem Beitrag auf, indem sie insbesondere die Zirkulation der Bilder zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit als eine Herausforderung an die Geschichtswissenschaft begreifen. Auf der Basis eines beeindruckenden Überblicks über das aktuelle Forschungsfeld entwickeln sie Perspektiven für eine stärkere Berücksichtigung der Geschichte des wissenschaftlichen Bildes. Zentral sind hierbei die Anerkennung des Bildes als wichtiger Gegenstand der Untersuchung von Wissenskommunikation, die Analyse von Überschneidungsräumen von Wissenschaft und Öffentlichkeit (Museum, Zoo und ähnliches), die Betrachtung von Wissensobjekten, die sowohl innerwissenschaftlich als auch in der Öffentlichkeit funktionieren, und schließlich die Untersuchung des Austauschs zwischen Wissenschaftsbildern und anderen wissenschaftlichen Repräsentationsformen.

Der Beitrag von Carsten Kretschmann widmet sich der Darstellung der Ansätze im Bereich der Wissenschaftspopularisierung. Dabei wendet er sich gegen einen normative Verwendung von Popularisierung als Banalisierung von Wissenschaft. Stattdessen sieht er in der Popularisierung einen heuristischen und analytischen Begriff, mit dem die Prozesse der Transformation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit beschrieben werden können.

William J. Thomas Mitchell fragt in seinem spekulativen Text zu einer Bildwissenschaft als Naturwissenschaft, was eine Mathematik, eine Physik und eine Biologie der Bilder wäre. Damit rückt er in einem Gedankenexperiment die Bildwissenschaft aus dem Kreis der Kultur- und Sozialwissenschaften. Durch diese Verschiebung kommt er zu spannenden Einsichten über den medialen Charakter des Bildes, die wiederum im Zentrum seiner philosophischen Bestimmung liegen. Die Physik würde Bilder beschreiben als „immaterielle, fantasmatische Wesen, die ein physisches Medium benötigen, um zu erscheinen“ (S. 101); die Biologie der Bilder müsste indes beachten: „Die Zerstörung einer Spezies bedeutet nicht notwendigerweise die Zerstörung ihres Bildes.“ (S. 103)

Mit seiner Betrachtung der visuellen Epistemik in Naturwissenschaft und Mathematik schließt Dieter Mersch an die Forderung der vorangegangenen Beiträge an, Bilder als genuine Verfahren der Wissenserzeugung ernst zu nehmen. Gleichzeitig zeigt er eine Reihe von Unterschieden zwischen Sprache und Bild auf, die eine Spezifik der visuellen Argumentation begründen. Darunter versteht er unter anderem die „Rahmung“ des Bildes, seine fehlende Syntax, seine mangelnde Negation und Hypothetizität sowie seine räumliche Organisation. Möchte man sich in den aktuellen Stand der Forschung und insbesondere in die Problematiken von Wissenschaftsbildern einlesen, bietet der erste Teil des Sammelbandes einen gelungenen Einstieg und eine Vertiefung wichtiger Forschungsfragen.

Die folgenden drei Teile bieten eine Reihe von Einzelanalysen, die das ganze anregende Panorama unterschiedlichster Fragestellungen im Kontext von Wissenschaftsbildern und ihrer Popularisierung aufspannen. Im zweiten Teil „Wissenschaftsbilder“ reicht die Bandbreite der Themen vom Frosch als historisch tradiertes Wissenschaftsbild (Bernd Hüppauf) über den Zusammenhang von Jack the Ripper mit der viktorianischen Praxis der Vivisektion (Colin Milburn) oder der Figur des Wissenschaftlers als öffentliche Person (Charlotte Bigg) bis zu Fallstudien aus der Südpolforschung (Dorit Müller), der Nanotechnologie (Andreas Lösch) und der Magnetresonanztomografie (Lisa Cartwright/Morana Alač). Im etwas kurzen dritten Teil geht es im Interview mit Wolf Singer und dem Beitrag von Karl Clausberg um Bilder der Wissenschaft und Kunst. Im vierten und letzten Teil geraten die Bilder der Wissenschaft in der Populärkultur in den Fokus. Nach einem einführenden Beitrag von Joachim Schummer und Tami I. Spector analysiert Petra Pansegrau die Stereotypen von Wissenschaftlern in Spielfilmen und Peter Weingart betrachtet die Repräsentation von Wissenschaft in Comics. Lutz Koepnick verknüpft Theorien der Erinnerung und ihre Thematisierung im Science-Fiction und Bruce Clarke analysiert den Film „Die Fliege“ als ein Beispiel für den selbstreferenziellen Wissenschaftler.

Die Bandbreite der Beiträge verdeutlicht die Unübersichtlichkeit des von diesem Sammelband anvisierten Forschungsfelds. Trotzdem harmonieren die allgemeinen Überlegungen zu Beginn des Buches sehr gut mit den interessanten und unterhaltsamen Einzelanalysen, die im Anschluss daran präsentiert werden. Die Fragen, die Wissenschaftsbilder aufwerfen, müssen sowohl auf der Makroebene als auf der Mikroebene viele Antworten zulassen, um zu ertragreichen Überlegungen zu kommen. In diesem Sinne sind die Schlussworte in der Einleitung von Hüppauf und Weingart mehr eine Verheißung als eine Einschränkung: „Dieses Buch stellt mehr Fragen zur Rolle der Wissenschaftsbilder in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit, zu ihrem Wandel und den Übergängen zur Kunst und zu den populären Bildern, als dass es Antworten gäbe.“ (S. 35)

Anmerkung:
1 Die überwiegende Mehrzahl der Beiträge im Sammelband sind überarbeitete Übersetzungen aus einem englischsprachigen Band der beiden Herausgeber von 2007: Bernd Hüppauf / Peter Weingart (Hrsg.) Science Images and Popular Images of the Sciences, New York: Routledge 2007.

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