A. Holzer: Krieg gegen Zivilbevölkerung 1914-1918

Titel
Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918


Autor(en)
Holzer, Anton
Erschienen
Darmstadt 2008: Primus Verlag
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, FB A (Neuere und Neueste Geschichte), Bergische Universität Wuppertal

Ein Bild sagt bekanntermaßen mehr als tausend Worte. Dieses Sprichwort wird durch das vorgelegte Werk des Fotohistorikers Anton Holzer mit neuer Gültigkeit versehen. In sechzehn Teilkapiteln zeigt er ein fast unbekanntes Gesicht des Ersten Weltkriegs, das weit entfernt ist von den Schützengräben Verduns und dem nicht enden wollenden Trommelfeuer an der Somme. Schon nach wenigen Seiten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Waffengang, der das Ende des bürgerlichen Zeitalters einläutete, den Charakter eines professionellen Vernichtungskrieges in sich trug. Vergeblich sucht man in Armee- und Militärarchiven nach den Bildern, die Holzer jetzt veröffentlicht hat. Denn das auf Fotoplatten gebannte Grauen passt einfach nicht in das bisher entworfene Bild des Ersten Weltkrieges.

Gemeint ist hierbei das Niedermachen und Töten von Zivilisten auf höchst effektive Weise durch deutsche und speziell österreichisch-ungarische Truppen. In Polen, der Ukraine, der Schweiz und den Ländern Ex-Jugoslawiens waren die zusammengetragenen Beweise für den Völkerkrieg 1915/16 zu finden. Holzer versteht es, durch seine Bildauswahl zu zeigen, inwieweit blanke Gewalt gegen Frauen, Kinder und Alte ein bewusst genutztes Instrument der Kriegsführung wurde, das alles andere als isoliert vom Rest des Geschehens lag. Nur zu gut weiß der Fotohistoriker, dass er kein Detail verschweigen muss, wenn er den Leser – besser den Betrachter – von „Austrian Brutalities“ zu angeblichen Spionen führt und diese schließlich bis zum Galgen oder vor das Erschießungskommando begleitet. Wenig zögert er auch, durch die Wahl der Fotografien auf die Faszination des Grauens für die Täter hinzuweisen.

Einen Rahmen bekommen die Bilder durch Holzers Orientierung an den Gedanken und dem Werk von Karl Kraus, dessen Texte neben unzähligen weiteren – eher unbekannten Primärquellen – stehen. Die sich daraus ergebende Kombination aus Bild- und Textmaterial führt zwangsläufig zu der Frage, ob nicht zu lange nur auf die Kriegsverbrechen und eine unkontrollierte Militärjustiz in den Jahren des Zweiten Weltkrieges geschaut worden ist.

Holzer gibt schonungslos eine thematisch gegliederte Antwort, die fortan erweitert werden kann. Dem Anspruch, eine erste Momentaufnahme der Forschung in diesem Bereich geliefert zu haben, wird er vollauf gerecht. Weitere Arbeiten auf dem Bildquellenband aufzubauen wird leicht fallen, da der für ein solches Werk doch sehr ausgiebig gestaltete Anmerkungsapparat genügend Anknüpfungspunkte bietet. Besonders im Bereich der Propaganda-Historiographie wäre dies sehr wünschenswert, die Holzer – im Schatten der Galgen in Galizien und in Jugoslawien – etwas oberflächlich abhandelt.

Nur schwer lässt sich eine tiefgehende Charakterisierung des Bandes entwickeln, der sich ganz und gar durch die Seltenheit des Materials und die zu Grunde gelegte Forschungsarbeit in den Archiven Ost- und Südosteuropas auszeichnet, wo sich 1914 bis 1918 die meisten der abgelichteten Todes- und Hinrichtungsszenen abspielten. Auf den zweiten Blick fallen einige methodische und inhaltliche Aspekte auf, die eine genauere Einordnung des Bandes in die Erforschung des Ersten Weltkrieges erlauben. Da wäre sicherlich zunächst auf den Katalogcharakter des Bandes hinzuweisen. Zuweilen wirkt der Fließtext wie ein musealer Leittext, der den Leser von Exponat zu Exponat führt. Gleichzeitig wird darin Holzers ureigene Meinung widergespiegelt. Störend wirkt der damit einhergehende Versuch der Vereinnahmung durch nicht notwendige „Wir“-Formulierungen. Freilich mindert all dies nicht den Wert der Arbeit, die hoffentlich zu einer längst fälligen Diskussion über den Krieg gegen Zivilisten zwischen 1914 und 1918 führen wird.

Ganz nebenbei zeigt der Band, dass die Kennzeichen der sogenannten Neuen Kriege – sprich: die Vermischung von Gewalt, Sexualität und Formen von blankem Voyeurismus von zweifelhaft legalisierten Bluttaten im Krieg – eben alles andere als neu sind. Ihre Geschichte beginnt im Ersten Weltkrieg – und nicht erst mit den Anschlägen des 11. September 2001 oder der Entkolonisation in den 1960er-Jahren.

Anders klingen letztlich die Worte von Clausewitz, dass der Krieg die Fortführung der Politik nur mit anderen Mitteln sei, sobald Holzers Quellenband aus der Hand gelegt worden ist. Genau wie „Die andere Front. Photographie und Propaganda im Ersten Weltkrieg“ sollte auch dieser zweite Holzer-Band nicht in den Universitätsbibliotheken fehlen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die blinden Flecken des Weltkrieges aufklären zu wollen.

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