T. Biskup u.a. (Hrsg.): Das Erbe der Monarchie

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Titel
Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918


Herausgeber
Biskup, Thomas; Kohlrausch, Martin
Erschienen
Frankfurt am Main/New York 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Machtan, Universität Bremen

Um es gleich deutlich zu sagen: Die konzeptionelle Schwachstelle dieser Publikation besteht darin, dass ihre Thematik nicht dort systematisch ansetzt, wo man eigentlich beginnen sollte, wenn man über ein „Erbe“ reflektiert: beim Erblasser nämlich und dessen Todesfall, beim Notar bzw. Testamentsvollstrecker sowie bei den Erben, deren Erbberechtigung, aber auch deren Willen zum Erbantritt. Historisch-konkret gesprochen: beim monarchischen Dynastiekartell, das in der Novemberrevolution zwar komplett und definitiv entthront, aber keineswegs konsequent entmachtet, geschweige denn enteignet wurde; bei den Mandataren der Entkrönten, die in Justiz, Bürokratie und Kultur omnipräsent blieben und den Handlungsspielraum der (demokratisch legitimierten) eigentlichen Konkursverwalter des politisch abgewirtschafteten Systems erheblich und mit Erfolg einzuschränken wussten; schließlich beim Volk, dem immerhin verfassungstheoretisch inthronisierten neuen Souverän, dem Gegenentwurf zu aller Fürstenmacht „von Gottes Gnaden“. Der Verzicht auf diese historisch-politische Erdung der Fragestellung bewirkt, dass das diverse Nachdenken über das „Nachleben“ der deutschen Monarchie doch etwas abgehoben wirkt – und auch ein wenig metaphorisch, da sich die Beiträge ziemlich einseitig auf die symbolischen, rituellen und emotionalen Seiten der Monarchie beziehen, während die eminent politische Seite dieser Institution doch weitgehend ausgeblendet wird.1 Dennoch handelt es sich um ein durchaus lesenswertes Buch, das auf eine sehr interessante Tagung in Potsdam im Frühjahr 2007 zurückgeht.2

In ihrer Einleitung haben die Herausgeber versucht, das Nachleben und Nachwirken der Monarchie über die Zäsur der deutschen Revolution von 1918/19 analytisch genauer zu fassen. Weder sei – so begründen sie ihren Ansatz – das Ende dieser prägenden Institution von der Wissenschaft bisher „strukturell erfasst“ noch die Frage ihrer „versteckten Kontinuitäten“ ernsthaft diskutiert worden (S. 12). Deshalb soll nun endlich der Versuch gemacht werden, „das Problem des ‚anwesend Abwesenden’ für die kulturgeschichtliche Analyse fassbar zu machen“ (S. 16). Dabei gehen sie erklärtermaßen mit der aktuellen, vor allem durch neuere englische Studien belebten „Konjunktur der Monarchiegeschichte“. Ausgangspunkt ist der Befund, dass die „bis zuletzt politisch dominanten Monarchien in Deutschland ein Produkt des 19. Jahrhunderts sind“ und dass es mithin „eine modernisierte und in Staat und Gesellschaft neu verankerte Monarchie war, die 1918 abgeschafft wurde“ (S. 23).

Hier ist nun freilich schon zu fragen, von welcher Monarchie (im Singular) hier eigentlich die Rede ist, denn die Staatsform des Bismarckreiches von 1871 basierte ja gerade auf einem innerlich hochlabilen Monarchie-Modell, dem ganz unterschiedliche Strukturelemente von fürstlicher Souveränität und performativer Machtkultur eingeschrieben waren. Den tatsächlichen Modernisierungsgrad und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Herrschaftsform hat – jedenfalls was die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts anbelangt – noch kein Historiker empirisch untersucht; mentalitätsgeschichtlich nicht, aber auch nicht institutionsgeschichtlich oder kollektivbiografisch. Und ob die Monarchien in Deutschland im November 1918 wirklich „gestürzt“ bzw. „abgeschafft“ wurden (was den erklärten politischen Willen von Volksparteien zur Republik unterstellt), ist ebenfalls nicht ausgemacht. Ich wäre eher geneigt, von einer Implosion des monarchischen Prinzips, ja einer kollektiven Selbst-Entkrönung zu sprechen.3 Damit wäre der Betrachtung dessen, was da bis weit in das 20. Jahrhundert an monarchischer Hinterlassenschaft in die politische Kultur von Deutschland hineinwirkte, ein ganz anderer Fluchtpunkt zugewiesen.

In den insgesamt elf Beiträgen des Bandes soll also an medialen, an materiellen und an institutionellen Aspekten fallstudienartig aufgearbeitet werden, was im kurzen 20. Jahrhundert an genuin monarchischer „Materie“ persistierte, genauer: wie mit dieser Persistenz umgegangen wurde. Zwei weitere – gleichsam vorgeschaltete – Aufsätze befassen sich mit den Schicksalen von Herrschern bzw. Herrscherhäusern, die bereits im 19. entmachtet wurden. Dabei geht es vorzugsweise um (womöglich paradigmatische) Strategien dieser Entthronten bzw. ihrer Parteigänger, das Debakel des Machtverlustes zu konterkarieren bzw. zu kompensieren. Streng genommen handeln auch die drei Beiträge, die unter dem Dach „Sentiment und Medien“ rubriziert sind, noch nicht wirklich von der Perzeption des Monarchischen im postmonarchischen Zeitalter, sondern von der Rolle der deutschen Kaiser (Wilhelm I. und II.) als nicht zuletzt kulturell zubereitete Zelebritäten. Sie untersuchen, wie ein medial vermitteltes Näheverhältnis des Publikums zu dem im Prinzip entrückten Reichsmonarchen entstand (Eva Giloi und Dominick Petzold) oder spüren der Faszinationskraft von Emotionspolitik am Beispiel von Hohenzollern-Hochzeiten nach (Daniel Schönpflug). Ob der Celebrity-Kult der Gegenwart freilich strukturell auf die frühe Medialisierung gerade des europäischen Fürstenlebens zurückzuführen ist, dürfte mit Blick auf das gänzlich unroyale Mutterland dieses Kultes, die USA, doch eher zu bezweifeln sein. Natürlich war die Empfänglichkeit vieler gekrönter Häupter für eine mediale Aufwertung ihrer Existenzen schon in der Sattelzeit des Medienzeitalters groß, aber als „Medienstars“ wurde ihnen doch schon sehr bald und weit vor ihrem politischen Untergang der Rang von anderen Kultfiguren abgelaufen. In welchem öffentlichen Licht dann Mitte der 1950er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland die royale Prominenz noch wahrgenommen wurde, zeigt Monika Wienfort mit Blick auf die Thronwechsel in Belgien und Großbritannien. Denn, so argumentiert sie, „für und in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit traten die europäischen Dynastien – und nicht der Bundespräsident – gleichsam als adaptiertes Erbe an die Stelle der entthronten eigenen Herrscherfamilien“ (S. 141). Dieses „transnationale“ Erleben fürstlicher Prachtentfaltung über Bilder habe die öffentliche Wahrnehmung der Monarchie zu einem vorzugsweise „ästhetischen Genuss“ gemacht, von dem keinerlei Gefahr mehr für die politische Akzeptanz des eigenen republikanischen Staatswesens ausgegangen sei. „Eine Wiedereinführung der Monarchie in der Bundesrepublik kam in den 1950er Jahren weder für die politischen Eliten noch für eine Mehrheit der Bevölkerung in Betracht“ (S. 157). Und wie Tobias Kies an anderer Stelle des Readers zeigt, spielte das Monarchische auch im Amte des Bundespräsidenten keine Rolle mehr. Was auch bedeutet, „dass die Bevölkerung den Bundespräsidenten zu keinem Zeitpunkt monarchisch überhöhte“ (S. 282).

Auch schon unmittelbar nach 1918 war und blieb der (politische) Monarchismus, soweit er aktiv auf eine Restauration der abgewickelten Staatsform des deutschen Kaiserreichs zielte, ausgesprochen schwach, wie Arne Hofmann in seinem Beitrag zeigen kann. Zur Marginalisierung hätten vor allem diese Negativ-Faktoren beigetragen: Die beschämende Kaiserflucht, die ungelöste (unlösbare) Prätendentenfrage, die dynastische Konkurrenz unter den ehemaligen Bundesfürsten, ein fehlendes Monarchie- bzw. Restaurationskonzept sowie Legitimations- und Nachwuchsprobleme. Konsequenterweise stellt Hofmann die Frage, inwieweit „die inhärente Schwäche dieses Monarchismus ein Erbe der zugrunde gegangenen Monarchie war“ (S. 247). Aber er beantwortet diese wichtige Frage nicht durch den naheliegenden Vergleich des Weimarer Monarchismus mit dem Wilhelminischen, sondern nur indirekt in Anlehnung an eine Hypothese von Martin Kohlrausch.4 Nicht so sehr die eher randständigen, von Modernisierungsängsten geplagten Verbandsmonarchisten seien der demokratischen Republik gefährlich geworden, sondern die weitaus zahlreicheren „Monarchisten im weiteren Sinne“, denen die Restauration der Monarchie kein akutes Anliegen mehr war, obwohl sie mit dieser Staatsform noch sympathisierten. Dafür erwies sich die Masse dieser Krypto-Monarchisten aber als umso anfälliger für die neuen politischen Visionen auf der radikalen Rechten, und sie seien schließlich wohl tatsächlich zum Nationalsozialismus übergetreten. Eine neue Erkenntnis kann man das nicht nennen; eher die Sublimierung der womöglich interessanteren Aufgabenstellung, die strukturellen Schwächen des deutschen Monarchismus vor 1918 zu analysieren. Was nicht zum wenigsten die Frage aufgeworfen hätte, wie „monarchistisch“ denn die Monarchen selbst vor ihrer Entkrönung gewirkt haben. Könnte es nicht sein, dass das Kaiserreich schon vor 1914 eine Monarchie ohne (nationale) Monarchisten war?

Von den vier interessanten Beiträgen, die sich mit der Aneignungsgeschichte der materiellen bzw. kulturellen Güter aus monarchischen Hinterlassenschaften befassen, besitzt der Aufsatz von Cajetan von Aretin über den „Umgang mit gestürzten Häuptern“ die wohl größte Aktualität, und zwar durch die anhaltenden Eigentumsansprüche der vormaligen Herrscherhäuser Wettin bzw. Baden gegen ihre Nachfolgestaaten, deren Reklamationen millionenschwerer Kulturgüter lebhafte öffentliche Debatte über die tatsächliche Berechtigung solcher Forderungen hervorgerufen haben. Hier zeigt sich für den Autor zu Recht „eine bis heute nachwirkende Ambivalenz im Umgang mit den gestürzten Monarchien“ (S. 161), die letztlich auf die Unvollendetheit der deutschen Revolution schlechthin zurückzuführen ist. Statt die ehemaligen Herrscher kraft revolutionären Rechtes komplett zu enteignen und sie dann nachträglich gegebenenfalls (teilweise) zu entschädigen, bemühten sich die neuen Republiken mit einer Konzilianz um Verhandlungs- bzw. Konsenslösungen, die auf nichts anderes als politische Selbstverleugnung hinauslief. „Niemals und nirgends sind abgedankte Fürsten so anständig, ja dummfreundlich gutmütig behandelt worden wie in Deutschland nach der Revolution“. Auf diesen Nenner hat der regierungsseitig für die Fürstenabfindung in Preußen zuständige SPD-Finanzexperte Kurt Heinig 1926 einmal seine einschlägigen Erfahrungen gebracht. Aretins Untersuchung macht dafür den Herzenswunsch der Vernunftrepublikaner in den neuen Regierungen nach einer „gerechten“ Abfindung ihrer ehemaligen Herrscherfamilien verantwortlich. Der sei in der Vorstellung verankert gewesen, „die Republik durch Fortsetzung der Rechtstradition zu legitimieren. Dies konnte nur gelingen durch eine Versöhnung des alten mit dem neuen System und erforderte daher eine rechtsstaatliche Abwicklung der Monarchie“ (S. 182). Freilich ging dieses Kalkül nicht auf, weil das generöse Entgegenkommen der neuen Machthaber von den Begünstigten und deren Hilfstruppen keineswegs mit politischer Loyalität gegenüber der Demokratie von Weimar honoriert wurde. Es hat im Gegenteil dem ideologischen Bürgerkrieg nur weiter Vorschub geleistet.

In seiner als „Nachwort“ annoncierten Zusammenschau der einzelnen Beiträge präzisiert Christopher Clark am Schluss noch einmal die Leitfrage dieser gemeinsamen Spurensuche nach dem, was von der zusammengebrochenen Monarchie in Deutschland eigentlich überlebt hat, indem er über Form und Inhalt dieser (vermeintlichen) Kontinuität reflektiert. Dabei interessieren ihn einmal die vieldiskutierte Verbindung von Kaisertum und Führertum im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts und zum anderen die Perzeption monarchischer Traditionen bei der Schaffung des Amtes eines Bundespräsidenten im Jahre 1949. Was den ersten Punkt betrifft, so lässt er die Frage offen, ob das Führerkonzept, wie es in der Hitlerdiktatur seinen ultimativen Ausdruck fand, eher aus dem monarchischen Diskurs (schon aus der Vorkriegszeit) resultierte, oder ob es sich hier um etwas Eigenes handelte, „das im Vakuum der gescheiterten Monarchie gedeihen konnte“ (S. 315). Und mit Blick auf die Bundesrepublik hält er es immerhin für falsch, die Entstehung des höchsten Staatsamtes „allein aus einer bewussten und ideologischen Beschäftigung mit dem Erbe der Monarchie und deren Weimarer präsidialen Nachfolger zu erklären“ (S. 317). Synthetische Klarheit kann man das nicht unbedingt nennen. Aus dem Subtext seiner Argumentation, die offenkundig von dem Bemühen diktiert wurde, es allen Seiten recht zu machen, kann man jedoch eine gewisse Präferenz für die These ableiten, dass sich die Institution Monarchie in Deutschland spätestens 1918 so weitgehend diskreditiert hatte, dass von einem Fortleben inhärenter Strukturmerkmale dieser Einrichtung nur sehr bedingt und vielfach gebrochen die Rede sein kann.

An diese Extrahierung möchte ich anknüpfen. Natürlich hängt in der Geschichte immer alles Nachfolgende irgendwie mit Vorangegangenem zusammen. Aber könnte es im vorliegenden Fall nicht einfach so gewesen sein, dass die Monarchie in Deutschland 1918/19 politisch, kulturell und mythisch definitiv erledigt war? Dass ihr nur eine gänzlich verfehlte politische Weichenstellung durch ihre Nachlassverwalter in den diversen republikanischen Regierungen zu jener (künstlichen) Lebensverlängerung verholfen hat, die dann als sog. Erbe noch einige Jahre durch die Geschichtspolitik geisterte? Dass es aber an dem klinischen Tod des Patienten Monarchie als einem historisch-politischen Faktum letztlich auch aus Historikersicht nichts zu deuten gibt bzw. geben sollte? Damit wäre jedenfalls eine Hypothese gewonnen, von der aus man viel besser beobachten und beurteilen kann, was von dieser todesverblichenen Königsmacht sich an Versatzstücken bzw. als Phantomschmerz noch im mentalen Haushalt der postmonarchischen Gesellschaft in der einen oder anderen Weise hat (er-)halten können.

Anmerkungen:
1 Auf die Gefahren einer solch einseitigen Betrachtung haben jüngst erst wieder hingewiesen Jeroen Deploige; Gita Deneckere (Hrsg.), Mystifying the Monarch. Studies on Discourse, Power, and History, Amsterdam 2006.
2 Vgl. Tagungsbericht von Henning Holsten, H-Soz-u-Kult 27.06.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1605>.
3 Vgl. meine Studie Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2. Aufl. 2008.
4 Vgl. Martin Kohlrausch, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005, S. 439ff. bzw. S. 469ff.

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