Titel
Scared to Death. From BSE to Global Warming: Why Scares are Costing Us the Earth


Autor(en)
Booker, Christopher; North, Richard
Anzahl Seiten
XIV, 494 S.
Preis
£ 16.99/$ 29.95/€ 23,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Arendes, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Angst vor einer tödlichen Epidemie oder einer Katastrophe großen Ausmaßes ist so alt wie die Menschheit selbst. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges befindet sich zumindest der überwiegende Teil der westlichen Welt in einer Phase des Friedens und genießt seit den 1950er-Jahren in Form der (Massen-)Konsumgesellschaft die positiven Folgen der wirtschaftlichen Prosperität. Die lähmende Erfahrung des Kalten Krieges und die Gefahr einer Vernichtung der gesamten Menschheit durch die Atombombe sind mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost(mittel)europa 1989/90 allmählich in Vergessenheit geraten. Kollektiven Ängsten und Untergangsszenarien sollte somit die Grundlage entzogen sein. Das vorliegende, nicht nur in Großbritannien kontrovers diskutierte Sachbuch geht von der gegenteiligen Annahme aus1: Unsere modernen Gesellschaften werden gerade in den letzten 20 Jahren von einem bemerkenswerten und nach Ansicht der beiden Autoren Christopher Booker und Richard North sehr gefährlichen psychologischen Phänomen ergriffen, nämlich dem Entstehen von „great fear, centred on a mysterious new threat to human health and wellbeing. As a result, we are told, large numbers of people will suffer or die.“ (S. viii) Als die bei weitem wirkungsmächtigste dieser neuen ‚Todesängste’ wird die globale Klimaerwärmung ausgemacht: Sie steht für eine neue Form der Apokalypse. Die mit ihr korrespondierenden Bedrohungsszenarien lassen sich als eine mögliche Antwort auf der Suche nach einer Ersatzreligion verstehen, und der ökonomische Preis, den die betroffenen Gesellschaften für die notwendigen „Gegenmaßnahmen“ aufbringen müssen, ist enorm.

Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung zu kollektiven Ängsten bzw. Panikstimmungen beschäftigt sich der erste Teil des Buches mit „Food-Scares“. Während sich Beispiele wie die Salmonellen enthaltenden ‚Killereier’ oder die ‚Hysterie’ um Bakterien in Lebensmitteln allein auf den britischen Kontext in den 1980er- und 1990er-Jahren beschränken, beinhalten die ‚BSE/CJD-Krise’ und der belgische ‚Dixionskandal’ gesamteuropäische bzw. globale Anknüpfungspunkte. Als direkte Folge der Lebensmittelskandale konnte sich in Großbritannien eine ausgesprochene „Health and Safety Culture“ etablieren, die sich heute auf nahezu alle Lebensbereiche erstreckt.

Im zweiten Teil des Buches rücken dann globale Aspekte des kollektiven Angstsyndroms in den Mittelpunkt. Zu diesen „allgemeinen Ängsten“ gehören diejenige vor dem „Millennium Bug“ der Jahreswende 1999/2000 oder die Diskussion um „Asbestverseuchung“ und „bleihaltiges Benzin“. Nicht nur vom Umfang her bildet die globale Klimaerwärmung (S. 331-409) den Höhepunkt des Buches. Sie ist – im Gegensatz zu den anderen skizzierten Bedrohungsszenarien – „brandaktuell“. Die beiden Autoren halten die Klimaerwärmung jedoch eher für eine „Verschwörung“ der Umweltlobbyisten als für eine ernsthafte Bedrohung. Der moralisch motivierte Kampf gegen den Klimawandel nehme die Gestalt einer „secular religion“ an (S. 331); Klimazertifikate werden als moderne Form des Ablasshandels gegeißelt. Booker und North werden nicht müde zu betonen, dass die ökonomischen und sozialen Kosten zur Bekämpfung der Ängste weitaus höher zu veranschlagen seien als die Bekämpfung der die Ängste verursachenden Probleme.

Die Autoren sehen wiederkehrende Muster (S. 164ff.): Ein real vorhandenes Problem wird aufgebauscht bzw. in einen völlig neuen Zusammenhang gestellt. Die angenommene Bedrohung muss über universelle Züge verfügen, so dass jeder potenziell betroffen zu sein scheint. Die Bedrohung sollte zudem in dieser Form noch nicht aufgetreten sein, das heißt ein starkes Element der Unsicherheit beinhalten. Sie muss zum Zeitpunkt ihres Entstehens auf einem von breiten Teilen der Fachwissenschaft akzeptierten Forschungsstand beruhen, auch wenn ein gehöriges Maß an Unsicherheit die Bedeutung der Bedrohung noch verstärkt. Sie muss schließlich durch die Medien gesteigert werden, in Form einer obsessiven Berichterstattung. Der Punkt des Umschlags in eine allgemeine Krise oder auch Hysterie ist dann erreicht, wenn die Politik die Bedrohung, nachdem sie sich lange hinter einem Wall von Abwiegelungen verschanzt hat, „offiziell“ bestätigt und so umfangreiche Reaktionen seitens der Behörden auslöst.

Alle Bedrohungs- und Angstszenarien durchlaufen nach Booker/North dieses mehrstufige Modell, das sich auch als Drama in mehreren Akten darstellen lässt – gespielt von Akteuren aus Wissenschaft, Politik, offiziellen Behörden und Medien. Stets ringen zwei Seiten miteinander: die Antreiber („Pusher“), die die Panik schüren, und die Blockierer („Blocker“), die die Sache herunterzuspielen versuchen. Wenn (zum Teil selbst ernannte) wissenschaftliche Experten und Journalisten eine symbiotische Beziehung eingehen, setzen sich in vielen Fällen am Ende die Panikmacher durch. Hat sich durch ‚umfangreiche Studien’ (S. 233) erst einmal ein offizielles Bild etabliert, so ist es sehr schwierig oder sogar nahezu unmöglich, dies zu ändern, auch wenn es in der Zwischenzeit wissenschaftlich korrigiert worden ist. Insgesamt müsse hier von einer wachsenden ‚Politisierung der Wissenschaft’ gesprochen werden (S. 228, S. 261).

Ob wir uns nun in einem neuen ‚Zeitalter des Aberglaubens’ (S. 453) oder auch nur einem ‚modernen Zeitalter der Angst’ (S. 459) befinden, bleibt nach der Lektüre des Buches trotzdem mehr als zweifelhaft, da neben der durchgängig polemischen Behandlung der vom Ansatz der Autoren abweichenden Positionen noch eine Reihe weiterer Schwächen auftritt, die an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollten: Zuerst ist hier die durchgängig extrem dünne Quellenbasis zu bemängeln. Die spärlich gesäten Anmerkungen und Endnoten geben in der Regel Querverweise auf die weitere tagespolitische Presseberichterstattung und nur sehr selektiv auf naturwissenschaftliche oder medizinische Fachliteratur. Wenn auf Forschungsergebnisse verwiesen wird, die die Autoren als ‚weiterführend’ einstufen, dann entstammen diese Ergebnisse häufig der so genannten ‚grauen Literatur’ und stehen zudem quer zum Mainstream der aktuellen Forschung. Von den in der Regel nicht in die naturwissenschaftlichen Forschungsdiskurse eingeweihten Lesern erwarten die Autoren wohl auch eher den Glauben an die Kraft ihrer vorgeblich besseren Argumente als eine wirkliche intersubjektive Überprüfbarkeit des Dargestellten.

Schwerer wiegt aber, dass beide Autoren aufgrund ihrer Vita und ihrer Arbeitsgebiete genau in dem argumentativen Bermudadreieck verschwinden, das sie in ihrem ‚Stufenplan’ der kollektiven Angstszenarien zuvor so treffend skizziert haben: Als Autor und Journalist (Booker) bzw. als ehemaliger staatlicher Lebensmittelkontrolleur, Forschungsleiter im Europäischen Parlament und Redakteur des EU-feindlichen Internetblogs <http://eureferendum.com> (North) sind sie in wechselnden Rollen in einen Großteil der von ihnen beschriebenen Ängste selbst aktiv ‚verstrickt’. So war North zumindest an allen im ersten Teil des Buches beschriebenen Lebensmittelskandalen als Gutachter und in anderen offiziellen Funktionen beteiligt. Das Werk basiert also zu einem erheblichen Teil auf den ‚Innenansichten’ der beiden Autoren. Bezeichnenderweise thematisieren weder Booker noch North ihr ‚Rollenspiel’ als wahlweise aktive Antreiber oder Blockierer in angemessener Weise.

Den zum Teil eklatanten Einseitigkeiten in Darstellung und Argumentation zum Trotz führt das Buch noch einmal deutlich die Mechanismen vor Augen, nach denen die Akteure im Rahmen der Mediengesellschaft in Anbetracht von kollektiven Ängsten und Katastrophenszenarien zum Handeln ‚gezwungen’ erscheinen. Dies gilt nicht zuletzt für die Aussagen über die finanziellen Folgen, die – auch bei nachweislichen Fehlalarmen – in der Regel ‚großzügig’ sozialisiert, das heißt allein den Steuerzahlern und/oder den betroffenen Agrar- und Industriezweigen aufgebürdet werden. Eine Verantwortung für die Panikstimmung möchte am Ende niemand übernehmen. Hier treffen Booker und North durchaus einen Nerv der Zeit. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt bietet das Buch gerade in seiner argumentativen Einseitigkeit einen Ansatzpunkt, sich grundlegend mit der öffentlichen Rezeption wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu befassen, gerade auch aus dem Bereich der Natur- und Technikwissenschaften.2 Für die Geschichtswissenschaft rückt es die Zeit „nach dem Boom“3 und somit verstärkt die Frage nach Sicherheit und Risiko nicht nur in den westeuropäischen Gesellschaften seit den 1970er-Jahren in den Blick. Dies ist ein Forschungsgebiet, das aus seiner Gegenwartsfixierung herausgelöst und in stärkerem Maße aus einer historischen Perspektive diskutiert werden sollte.

Anmerkungen:
1 Zur Spannweite der Rezeption siehe zum Beispiel die Beiträge von John Brignell, Our Gadarene Generation, in: Science & Public Policy Institute (SPPI), 26.11.2007, online unter <http://scienceandpublicpolicy.org/reprint/scaredtodeathreview.html> (17.11.2008); Robin McKie, What planet are these people on?, in: The Observer, 9.12.2007, S. 25, online unter <http://www.guardian.co.uk/books/2007/dec/09/scienceandnature.features> (17.11.2008).
2 Siehe dazu aus dem deutschen Kontext v.a. die Arbeiten von Peter Weingart, z.B. ders., Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist 2001; ders./Anita Engels/Petra Pansegrau, Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel im Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien, 2., leicht veränd. Aufl. Opladen 2008.
3 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008.

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