Th. Duve: Sonderrecht in der Frühen Neuzeit

Cover
Titel
Sonderrecht in der Frühen Neuzeit. Studien zum ius singulare und den privilegia miserabilium personarum, senum und indorum in Alter und Neuer Welt


Autor(en)
Duve, Thomas
Erschienen
Frankfurt a. M. 2008: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilhelm Brauneder, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien

Von manchem plakativen Buchtitel wäre man auf Grund des Inhalts reichlich enttäuscht, gäbe es nicht Untertitel wie hier „Studien zum ius singulare und den privilegia miserabilium personarum, senum und indorum in Alter und Neuer Welt“: also eine reichlich detaillierte Präzisierung. Das meist Sammelbänden reservierte Wörtchen „Studien“ mag entsprechende Assoziationen wecken, doch wären sie hier fehl am Platz. Dennoch durchzieht etwas Sammelbandartiges die Anlage der Arbeit, sozusagen ein mehrseitiges Herangehen an den Haupttitel. Der erste Teil bietet „Einführung und Perspektivenbildung“ – aber dies durchaus nicht zum Haupttitel „Sonderrecht“. Ausgangspunkt ist vielmehr die persona miserabilis, und zwar vorerst einmal „in der Neuen Welt“. Dann folgt „ein Blick auf die Alte Welt“, noch immer zur persona miserabilis, bis hin zum preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) und in der Sekundärliteratur bis zu Ferdinand Elsener. Daran schließt an der bezeichnende Abschnitt „Viele Fragen, vor allem: Was war ‚Sonderrecht’ in der Frühen Neuzeit?“ (S. 12 ff.). Das Wort taucht aber nicht erst hier auf, wie selbstverständlich wurden bereits die privilegia indorum von Duve als „Sonderrecht für Indianer“ (S. 4) bezeichnet, auch die Sekundärliteratur wurde schon mit der Wendung „Schaffung eines diskriminierenden Sonderrechts“ (S. 5) vorgestellt: Weder hier noch dort handelt es sich aber um einen Quellen- bzw. literaturmäßigen Ausdruck. Überschüttet hingegen werden wir mit Titeln, Zitaten, in denen von miserabiles personae die Rede ist. Zur Frage nach dem Sonderrecht verweist Duve auf „massenhaft Schriften zu iura singularia oder privilegia“ (S. 13 und hier insbes. in den Fn.). Die doch wohl signifikanten Beispiele zeigen aber dies: In den Titeln zu Rechten der „Alten“, „Kranken“, „Landbevölkerung“, „Witwen“, „Hausangestellten“, „Gläubigern“ ist nie vom ius singulare die Rede. Bezüglich „Frauen“ in einem einzigen Fall, ebenso in der Sammelgruppe „Von Vagabunden, …. über Musiker … bis zu den Toten“, nämlich in Hinblick eben auf Musiker (Fn. 60). Nicht überrascht hingegen, dass sämtliche Titel zu „Kaufleuten“ sowie zum „Adel“ von einem ius singulare sprechen (Fn. 54, 56). In beiden Fällen ist es Lehrbuchweisheit, sogar zutreffende, dass sich über Einzelprivilegien eine Sonder-Teilrechtsordnung gebildet hat. Kann man daher, so fragt sich ein quellentreuer Rechtshistoriker, in allen anderen Fällen schlechthin von Sonderrecht sprechen? Auch Duve fragt zu Recht: „Wo ist … das Allgemeine, vor dessen Hintergrund sich erst das Besondere konstitutiert?“ Und anschließend treffend „Was bedeutet ‚Sonderrecht’ in einer Welt, in der es eben nicht die Vorstellung einer ‚allgemeinen Rechtsfähigkeit’ gab …?“ (S. 15). Der Grundcharakter des mittelalterlichen und auch noch frühneuzeitlichen Rechts mit der Existenz von Rechtskreisen fällt wohl dazu ein, skandinavische Gesetzgebungsakte unterschieden noch im 18. Jahrhundert zwischen Landrecht und Stadtrecht, auch das ALR konnte an spezifischen Rechten für Adel, Bürger und Bauern nicht vorübergehen. Was wir schließlich über die „(f)rühneuzeitliche Theorie des ius singulare“ (S. 19–25) hören, führt letztendlich zu dem Hinweis, man habe die Frage „Was überhaupt ein Privilegium seye?“ „höchst unterschiedlich, wenn überhaupt beantwortet“ (S. 24). Ergänzt sei hier die Kommentierung Franz von Zeillers zu § 13 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach die „einzelnen Personen oder auch ganzen Körpern verliehenen Privilegien und Befreiungen“ prinzipiell „gleich den übrigen Rechten zu beurteilen“ sind: Der Gesetzestext schränke, um einen von Zeiller verwendeten Ausdruck zu gebrauchen, die „leges singularae“ wie zitiert auf solche Rechte ein, die „nicht schon durch das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch festgesetzt“ werden, wohingegen etwa die sogenannten „Privilegien der Weiber“ (nach dem erfundenen Senatusconsultum Velleianum) nicht gemeint seien.1

Da sich das Wesen des ius singulare „nicht aus der Theorie herleiten lässt, so muss es eben aus der gelehrten Praxis rekonstruiert werden“ (S. 25), was Duve im Folgenden unternimmt, und zwar „anhand der Sonderrechte der mitleidswürdigen Personen, der Indianer und der alten Menschen“ (S. 26). Darin liegt nun das Innovative der Arbeit, nämlich das „derecho indiano“ der spanischen Kolonien für die Forschung zum Haupttitel nutzbar zu machen. In einem Exkurs führt Duve grundsätzlich „Altes Recht und Neue Welt“ vor (S. 29–38): Neben dem römischen und kanonischen Recht, modifiziert für den Gebrauch in der Neuen Welt, stand das sich ausbildende derecho indiano, aber auch tatsächlich indianisches Recht. Es soll nun nicht nacherzählt werden, wie sich das Recht der persona miserabilis als „Sonderrechtskategorie“ entwickelte und schließlich deren „Sonderberechtigungen zum Sonderrecht“ verschmolzen (Teile II, III, IV der Arbeit). Duve unternimmt mit seiner Forschung das, woran Juristengenerationen von Kaufmannsprivilegien bis hin zum Handelsrecht werkten. Nach diesem methodischen Vorgehen sieht sich der Leser im abschließenden Teil V der Arbeit nahezu an den Anfang zurückversetzt, nämlich im „Versuch einer Definition“ des frühneuzeitlichen Sonderrechts (S. 269 f.). Man ist allerdings nun doch ein wenig verblüfft: Duve stellt nämlich fest, dass das „frühneuzeitliche Sonderrecht (…) in erster Linie ein Produkt der Wissenschaft“ war (S. 273) – man könnte allerdings fast hinzusetzen, ohne dass diese sich dessen bewusst war. Ob das von Duve vorgeführte Material tatsächlich tragfähig ist, darauf bereits den Begriff eines „frühneuzeitlichen Sonderrechts“ zu definieren? Noch gibt es ja in der frühen Neuzeit – verstanden als vorkodifikatorische Periode – auch andere Entwicklungslinien: Neben den erwähnten Stadt- und Landrechtsunterschieden existierte weiterhin der große Bereich des grundherrschaftlichen Hofrechts, das sich entwickelnde Handelsrecht wurde bereits erwähnt, und so stellt sich doch weiterhin die Frage, was machte das Allgemeine neben dem Besonderen aus? Wäre es nicht richtiger, von spezifischen Rechten, von derartigen Rechtskreisen zu sprechen? Kamen die Kategorien allgemeines/besonderes Recht nicht erst mit den naturrechtlichen Kodifikationen auf? Hierzu sei nicht nur auf Zeiller verwiesen, sondern auch darauf, dass neben den Kodifikationen, oft durch Verweisungen, bewusst Sonderrechte einherliefen, wobei auch der territoriale Aspekt eine Rolle spielte.

Anmerkung:
1 Franz von Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammelten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie, Bd. 1, Wien 1811.

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